Profan. Dennis Herzog. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dennis Herzog
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752930160
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davon ging, versuchte er nicht sie aufzuhalten. Er blickte ihr nur nach und bewunderte ihre anregende Kehrseite. Irgendwie kam er sich anschließend vor, als wäre er hypnotisiert worden, und man habe vergessen mit dem Finger zu schnippen, um ihn in einen normalen Zustand zurück zu versetzen.

      Die letzten Tage hatte er unentwegt an diese Frau denken müssen. Seine Arbeit litt unter seiner fehlenden Konzentration. Er verlegte Schraubenschlüssel, ihm misslangen die einfachsten Handgriffe und vorgestern hatte er sich sogar einen kleinen Schnitt an der linken Hand zugefügt, als er beim Justieren einer Ansaugpumpe abgerutscht war.

      Der Boss hatte ihn mehr als einmal ermahnt sich nicht so dämlich anzustellen.

      Als sie heute Nachmittag, als er Feierabend machte und die Werkstatt verließ, in einem atemberaubend kurzen Minirock, knie-hohen Lederstiefeln und einem olivgrünem Tanktop auf dem Gehsteig direkt vor ihm stand, hatte er seinen Augen nicht zu trauen gewagt. Er wandte den Kopf und blickte dümmlich hinter sich. Er überlegte ernsthaft, ob es ein grotesker Zufall wollte, dass dieses berauschende Geschöpf nicht wegen ihm, sondern wegen einer Reparatur ihres Wagens dort war.

      Doch sie trat direkt vor ihn und mit den Worten:

       "Oh gut, du bist schon umgezogen."

      Er war eigentlich auf dem Weg zu seinem alten grauen Civic, der einige Meter neben ihnen am Straßenrand geparkt war. Doch sie versperrte ihm den Weg.

       "Wir nehmen meinen Wagen, Süßer!"

      Konnte sie etwa auch Gedanken lesen?

      „Ähm, ja, ok. Wo soll´s denn hingehen?“

      Mehr fiel ihm beim besten Willen nicht ein. Weder begriff er, wie sie ihn hatte ausfindig machen könne, noch was sie jetzt vorhaben konnte.

      „Na komm, spring rein.“

      So selbstverständlich als würde sie jeden Tag auftauchen und ihn von der Arbeit abholen, kamen ihr diese Worte über die an diesem Tag dezent weinrot-geschminkten Lippen. Sie benahm sich als wäre sie seine Frau, oder feste Beziehung.

      "Nun steig schon ein!" Wiederholte sie ein weiteres Mal, denn er war wie angewurzelt stehen geblieben und gaffte sie ungläubig an.

      Hypnotisierten ihn ihre Worte schon wieder?

      Schließlich tat er, wie auf einen Befehl hin, wie ihm geheißen und folgte ihrer Aufforderung, ohne dass seine Frage beantwortet worden war.

      Was beinahe wie eine Entführung anmutete, erschien ihm wie die wahr gewordene Fantasie seiner kühnsten Träume. Er ließ einfach seine Zweifel verrauchen. Weder fragte er wie sie ihn hatte finden können, noch was sie eigentlich mit ihm vorhatte.

      Er dachte nur: „Was für ein Glück. Erst dieser spendable Kerl, der mir letzte Woche die fünfhundert für die manipulierten Bremsen gegeben hat und jetzt diese Schönheit!“

      Sie war wie eine Falltürspinne aus ihrer Grube hervor gesprungen. Er war nunmehr das hilflose Opfer, dass von ihrem Gift paralysiert, willenlos in ihre Fänge geraten, auf ihre nächsten Schritte wartete. Frei von Angst oder Zweifeln.

      Mehrere seiner Kollegen, die ebenfalls Feierabend machten, blieben mit offenen Mündern stehen und sahen ihm zweifelnd nach, wie er ihr folgte und in den Punto einstieg. Vielmehr sahen die meisten bloß den Rock und die provokant reizenden Stiefel.

       *Seltsam, dass sich später keiner der Kfz-Experten an das Fabrikat des Wagens erinnern konnte. Die Frau konnte von allen Befragten nur sehr wage beschrieben werden. Ein Phantomzeichner hätte eine Mischung aus Sandra Bullock, Miley Cirus und Xena erfinden müssen, um den unterschiedlichen Beschreibungen der Männer ansatzweise gerecht werden zu wollen. Alle meinten aber eine Frau mit "toller Ausstrahlung" gesehen zu haben. „Ein erfreulicher Anblick“ sagte einer, „herausfordernd attraktiv“ ein anderer.

      2- Zwei -

       " I ... ich st..."

      Er muss husten, spuckt ekelhaft metallisch schmeckendes Blut auf den Teppich, der sich schon vollsaugt. "...sterbe..." Seine Stimme versagt, er bringt lediglich ein leises Röcheln zustande.

      Er liegt flach auf dem Rücken, seine Hose bis zu den Knien heruntergezogen, doch die spürt er ebenso wenig wie alles andere unterhalb von seinem Kinn. Er verspürt auch keinerlei Schmerz mehr im Fuß. Und doch ist ihm klar, dass das Leben aus seinem Körper rinnt, wie Sand durch den schmalen Hals einer Sanduhr. Als aus der panischen Angst, die er zuvor empfunden hatte, die Gewissheit wurde, dies würde sein Ende sein, war er seltsam ruhig geworden.

      Die Angst vor dem Tod scheint nach der Erkenntnis der Unabwendbarkeit in Gleichgültigkeit umzuschwingen.

      Wie unangenehm blendend und gleichzeitig erfreulich hell ihm die Deckenleuchte in die Augen strahlt.

      Giselle steht breitbeinig über ihm. Ihr Blick zeigt eine Mischung aus Neugier und... - Mitleid? Könnte er nur den Kopf anheben, so würde er unter den Minirock spähen können.

       "Scharfsinnig bemerkt mein Junge!"

      Ist ihre reichlich überflüssige Antwort auf seine geröchelte Bemerkung, dass er wohl sterben werde. Agonie in reinster Form.

      Er versucht zu lachen. "Wahnsinn!" Denkt er: "Ich lieg´ hier sterbend im eigenen Blut und versuche meiner Mörderin unter den Rock zu seh´n?“

      Das Lachen steckt ihm buchstäblich im Hals, es ist aber Blut, das ihm die Speise-und Luftröhre verstopft. Er bringt keinen weiteren Laut mehr über die Lippen.

      Er dachte immer, wenn man stirbt passiert dieses "Das-Leben-läuft-wie-ein-Film-vor-deinen-Augen-ab-Ding", doch stattdessen erinnert er sich plötzlich nur an diesen einen Tag:

      An den einzigen Tag in seinem Leben, den er die letzten vier Jahre erfolgreich verdrängt hat:

       Sonntag vor vier Jahren.

      Er war arbeitslos, pleite, schlecht gelaunt. Eine gefährliche Mischung.

      Ganz spontan, völlig ohne Planung oder gar Taktik, hatte er damals seine unaufgeräumte Ein-Zimmer-Subterrain-Wohnung verlassen.

      Als er den nur dreihundert Meter von seiner Haustür entfernten Wald erreicht hatte, zog er sich eine dicke Wollmütze über und setzte die Brille auf, die er sonst niemals trug. Nach nur etwa hundert Schritten schlug er sich vom schmalen Wanderweg ins Unterholz. Er stolperte über abgefallene Äste und blieb wenige Meter vom Weg entfernt, mit der Schulter an die knorrige Rinde gelehnt, hinter einer massiven Eiche stehen. Seine Nervosität ließ ihn schwer atmen. Seine Brille beschlug und die Mütze war für diese Jahreszeit definitiv zu warm, und der Schweiß rann ihm hinter den Ohren herab.

      Er konnte bei seinem Vorhaben aber nicht riskieren „erkannt“ zu werden.

      Stewart musste allerdings nicht lange warten. Eine Dame in den Siebzigern führte ihren Hund aus. Sie kam aus der entgegengesetzten Richtung, sehr langsam. Alle paar Meter ließ sie ihren Köter an irgendetwas schnüffeln und schien ihrerseits verschnaufen zu müssen. Gut für ihn, ein willfähriges Opfer.

      Er putzte seine Brillengläser am Saum seines Pullovers ab, setzte sie wieder auf und spähte vorsichtig um den Baum herum.

      Als die Frau endlich auf gleicher Höhe mit seinem "Versteck" war, sprang er hervor.

      "Ich hätte ein Messer oder so etwas mitnehmen sollen." Fiel ihm noch ein, als er laut aber nicht schreiend, und so bedrohlich wie möglich aus-spie:

       "Hallo Oma! Hast du Geld dabei?"

      Spontan! - Aber plump! Eine Frage? Hatte er auf dem Weg hierher nicht genügend Zeit gehabt sich was Knackiges, Bedrohlicheres auszudenken?

      Oma war erschrocken, ja. Aber anstatt direkt einen Herzanfall