Profan. Dennis Herzog. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dennis Herzog
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752930160
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als grobe Umrisse zu verraten.

      Recht gut erkennbar, allerdings nur weil er wusste wen er dort sah, war hingegen die Frau, etwa einen Meter vor ihm. Er war ihr schließlich die letzte halbe Stunde gefolgt.

      Erst saß er artig auf dem Beifahrersitz ihres Wagens. Ein ramponierter, altersschwacher Punto, mit schrecklich kitschiger Petrol-farbener Lackierung. Stetig den Drang unterdrückend sie anzustarren oder gar zu berühren, anschließend auf dem langen Fußmarsch vom Parkplatz auf dieses Haus zu.

      Das leicht violette Zwielicht im Innern schmeichelte ihrer Silhouette, die ihm bereits bei Tageslicht atemberaubend erschien, hier aber noch dank einer Aura des Geheimnisvollen für einen Bonus an prickelnder Spannung sorgte. Der hell geflieste Boden warf ein wenig Restlicht zurück, so dass ihre Beine unterhalb der Knie aussahen, als würde sie durch feinen Nebel laufen, ja eher schweben.

      Auffällig langsam, mit geschmeidigen Schritten, der Begriff "lasziv" schoss ihm kurz durch den Kopf, ging sie weiter auf einen türlosen Rahmen zu, hinter dem er das Wohnzimmer vermutete. Jener Raum lag in noch tieferen Schatten als die Küche. Sie musste dort zuvor die Vorhänge zugezogen haben, insofern es welche gab, denn das wenige Dämmerlicht, dass noch die Küche erreichte, schien gänzlich ausgesperrt.

      Ohne einen klaren Grund machte keiner von beiden das Licht an. Er hatte sich nicht einmal nach einem Schalter umgesehen. Leise folgte er ihr vorbei an Spülmaschine, Herd und den leise summendem Kühlschrank zu seiner Rechten. Die Schatten links von ihm formten einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen.

      Das Gefühl ein Einbrecher würde sich ganz ähnlich verhalten, kam in ihm auf. Auch an Teenager, die sich daheim einschlichen, weil sie zu spät und alkoholisiert von einer Party kamen, erinnerte ihn die jetzige Situation. So heimlich und verstohlen hatte er sich zuletzt als Halbstarker bewegt, wenn er unbemerkt in sein Zimmer huschte, um einer Standpauke seiner Eltern entfliehen zu wollen, nachdem er unerlaubt fort gewesen war.

      Die Frau deren Namen er bislang nicht kannte, über die er im Grunde genommen nicht das Geringste wusste, hatte sich, seit beide im Inneren des Hauses waren, noch kein einziges Mal zu ihm umgedreht.

      Auch zuvor, auf dem rustikalen Sandsteinplattenweg, der ums Gebäude herum zu besagter Hintertür führte, hielt sie es nicht für nötig sich seiner steten Gegenwart durch Blicke zu vergewissern. Sie vertraute zurecht darauf, dass er hinter ihr her trottete, wie ein braver Köter, dem zur Belohnung für Gehorsam ein Leckerli versprochen wurde.

      Sofort erschien ihm dieser Vergleich gar nicht so abwegig. Äußerst zutreffend sogar. Musste er sich eingestehen, wenn er bedachte, was sie; - hoffentlich; - im Folgenden tun würden. Seine Begierde auf Das woran er dachte, bzw. die körperlichen Auswirkungen dieses Denkens wären in besserem Licht sicherlich für jedermann deutlich sichtbar gewesen. Er konnte es tatsächlich kaum erwarten die Beule in seiner Hose auf die einzig richtige Art loszuwerden, die ihm dafür einfiel. Ob das Grinsen in seinem Gesicht wohl so dämlich aussah, wie es sich anfühlte?

      Sie waren allein in diesem Haus. Er wusste nicht ob dieses Gebäude das ihre war, oder sie hier zur Miete wohnte. Es hätte auch das Haus eines Freundes sein können.

      Hatte sie an der Hintertür einen Schlüssel verwendet? Er erinnerte sich nicht. Einen Atemzug später war es ihm auch scheißegal.

      Getroffen hatten sie sich vier Tage zuvor, am Freitag, auf einer Ausstellung. Eine ungewöhnliche Ausstellung sollte man sagen. "Körperwelten" nennt sich diese Mixtur aus wissenschaftlichen und, mit Verlaub gesagt, bizarren, wenn nicht gar perversen Ansammlungen von "echten" menschlichen Körpern, Gliedmaßen, Organen, Knochen und vielem Mehr.

      Der Schöpfer dieser "Kunst", vielen aus der Presse unter dem treffenden Pseudonym Dr. Tod bekannt, plastifiziert tote Körper. Mit nihilistischer Hingabe und einer teils humorvollen, teils warnenden Herrichte von beispielsweise krebskranken Lungen, Plastizitäten von Muskelgruppen in sportlicher Tätigkeit, oder Myokardinfarkt-Herzen bringt Dr. Tod so Manchen zum wortlosen Staunen. Alles natürlich mit der "angeblichen" Zustimmung, der Personen zu deren Lebzeiten, für die spätere Verwendung als "Anschauungsobjekt", oder wie auch immer man so Etwas nun betiteln sollte.

      Als er diese umwerfende Frau in der großen Lagerhalle, die für die Ausstellung hergerichtet worden war, erspähte, wie sie aus einigen Metern Entfernung auf ihn zugekommen war.

      Zunächst hatte er aufmerksam in die Runde geschaut, um ausmachen zu können, wo sich wohl ihr Begleiter aufhielt.

      Es war ihm schlicht und einfach unwahrscheinlich vorgekommen eine solche Schönheit dort, oder irgendwo anders, ohne einen entweder sehr gut aussehenden, oder wenigstens reichen Typen zu sehen. Seiner Meinung nach gab es derart Männer mit beiden Eigenschaften eher selten.

      Einige Minuten später hatte er sie bereits wieder aus den Augen verloren.

      Seine Gedanken hingen dennoch nicht vollständig an den Ausstellungsstücken, obgleich diese durchaus mühelos den jeweiligen Betrachter in ihren Bann zogen. Es gab wirklich interessante Dinge zu sehen, doch der Anblick dieser Frau hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt. Es lenkte ihn sogar zusehends mehr ab, je intensiver er anschließend versuchte seine Konzentration von ihr fort zu bewegen.

      Als sie plötzlich direkt neben ihm auftauchte erschrak er nicht.

      Als hätte Irgendetwas in seinem Unterbewusstsein fest damit gerechnet sie wiederzusehen.

      Ein Wunsch, der sich zur Gewissheit gewandelt hatte. Mindestens zwei Minuten war er mehr oder minder blind für seine Umgebung gewesen, hatte diesen Moment herbeigesehnt. Und war schlussendlich belohnt worden.

      Dann murmelte sie etwas:

       "Schaut aus wie bei Alien versus Predator, oder wie das hieß."

      Beide standen zu diesem Zeitpunkt über ein Exponat gebeugt, das in einem geschlossenen Glaskasten, der wage an den Sarg aus dem Märchen Dornröschen erinnerte, ausgestellt war.

      Er stand bereits einige Zeit dort und war durchaus versucht gewesen fasziniert vom Inhalt des "Sarges" zu sein, bevor seine Gedanken abgedriftet waren.

      Er studierte das kleine Stück Papier, das erklärte was man hier sah. Las es mehrmals, ohne den Text tatsächlich zu begreifen. Im Innern lag eine einzelne menschliche Wirbelsäule. Am oberen Ende war, statt des Schädels, nur das freigelegte Gehirn nebst der damit verknüpften Sehnerven und Augäpfel erhalten worden. Die Augen starrten, seltsam lebendig erscheinend, ins Leere, gehalten von künstlich versteiften Sehnen. Vom rückwärtigen Teil des Gehirns ausgehend waren sämtliche Nervenstränge zu sehen, die wie superdünne, blass-rot eingefärbte Bindfäden wirkten und sich an der Wirbelsäule herab und um sie herum wanden.

      So eine Arbeit musste Monate oder gar Jahre in Anspruch nehmen.

      Er hatte nicht den blassesten Schimmer, wie jemand ein solches Maß an Geduld aufbieten konnte. Dr. Tod musste über den, mit Geld kaum aufzuwiegenden, Luxus von viel Zeit und einer unfassbaren Gelassenheit verfügen. Würde er jemals diesen Mann treffen, so ginge er jede Wette ein, dass dieser keine Uhr am Arm trug.

      Ihre gemurmelten Worte, obgleich ihm nicht einfallen wollte, worin sie den Zusammenhang zwischen dem was sie sahen und dem genannten Sciencefiction Film herstellte, hatten eine gewisse Wirkung auf ihn.

      Es war möglicherweise einfach nur der Klang ihrer Stimme. Es war wie Viagra für seine Ohren. Sie stand ihm kurz so nahe, dass sie mit ihrem rechten Ellenbogen seinen linken Unterarm streifte.

      Er wünschte sich augenblicklich, dies sei nicht unabsichtlich geschehen. Ob sie ihn ansah oder nur das Ausstellungsstück betrachtete, konnte er nicht feststellen. Aufgrund der eigenen Unfähigkeit sie seinerseits direkt anzusehen.

      Wie ein Teenager vor seinem ersten Date mit dem schönsten Mädchen der Schule fühlte er sich plötzlich. Wurde sogar richtig nervös. Er wähnte sich meist nicht als schüchterner Typ. Im Gegenteil. Aber hier passierte etwas „Anderes“. Als hätte ihre bloße Anwesenheit die Luft in der Umgebung mit gewissen Pheromonen versetzt.

      Etwas ratlos, nicht wissend, was eine passende Erwiderung hätte sein können,