Der rote Brunnen. Rita Renate Schönig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita Renate Schönig
Издательство: Bookwire
Серия: Regionalkrimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752915150
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die Tür zur Agentur aufschloss, und nur weil sein Chef gerade an diesen Tagen einen Außentermin hatte, fiel sein Zuspätkommen nicht auf.

      Was in diesen Fehlstunden geschehen war – er konnte sich nicht erinnern, so sehr er sich auch anstrengte. Auch konnte er sich nicht erklären, wie er an die Orte gelangt war, an denen er wieder zu sich kam.

      Einmal stand er vor dem Brunnen im Klostergarten der ehemaligen Benediktinerabtei – ein anderes Mal befand er sich an der Fähre am Mainufer und letzte Woche kam er, auf der Treppe der Basilika sitzend, in die Gegenwart zurück.

      Waren es Anzeichen, dass er wieder in der Psychiatrie musste … in diese kalte, emotionslose Einrichtung, zu den apathisch dahinvegetierenden Menschen?

      Lange hatte er gezögert mit seiner Ärztin, Dr. Claudia Scherer, darüber zu sprechen. Als er sich letzte Woche doch dazu überwand, beruhigte diese ihn jedoch schnell.

      Jedem von uns wäre es doch schon mal passiert, dass er in Gedanken wahllos in der Gegend herumspaziert sei. Und, nach dem was er durchgemacht hatte, wäre das nicht verwunderlich und schon gar nicht besorgniserregend.

      Durchgemacht hatte Philipp wahrlich eine ganze Menge. Ohne Claudias Hilfe – wenn er an sie dachte, nannte er sie beim Vornamen – hätte er es niemals geschafft; davon war er überzeugt. Ein Grund mehr, weshalb er Angst hatte, irgendwann … vielleicht schon bald, ohne sie auskommen zu müssen. Er wusste selbst, dass dies ein Widerspruch in sich war. Einerseits wollte er diese dunkle Seite hinter sich lassen – andererseits fürchtete er sich vor einem Leben ohne sie.

      Die Gefühle, die er für Claudia Scherer mittlerweile empfand, gingen weit über das hinaus, was man eine Patienten-Therapeuten-Beziehung nennen mochte. Ihm war aber auch bewusst, dass es keine andere Beziehung geben würden … schon gar keine romantische.

      Claudia war verheiratet.

      Es wird Zeit, dass du dein Leben wieder selbst in die Hand nimmst, maßregelte er sich. Du bist ein erwachsener Mann von fünfunddreißig Jahren und kein pubertierender Teenager.

      Entschlossen ging er ins Schlafzimmer, tauschte seine Jogginghose und sein zerknittertes Shirt gegen eine Jeans und ein kariertes Kurzarmhemd. Im Flur warf er seinem Pendant im Spiegel ein Lächeln entgegen.

      Es gelang nur halbwegs.

      Die warme Abendluft trieb mehr Menschen aus ihren Häusern, als er angenommen hatte. Der Außenbereich des von ihm bevorzugten Restaurants war entsprechend voll besetzt oder nur noch einzelne Plätze an Tischen frei. Ihm war aber nicht danach, sich zu wildfremden Leuten setzen, weshalb er seinen Weg fortsetzte, zu der einige Meter entfernten Pizzeria.

      Im dortigen Biergarten fand er einen leeren Tisch und bestellte ein großes Weizenbier.

      Er sah sich um. An den Tischen saßen fröhlich plaudernde Menschen und auch einige verliebte Pärchen.

      Philipp stellte sich vor, hier mit Claudia zu sitzen. Was wäre das wohl für ein Gefühl sie in den Armen zu halten, ihre warme Haut zu spüren und sich in ihren magischen grünblauen Augen zu verlieren?

      „Ihr Weizenbier, bitte sehr.“

       Eine etwa dreißigjährige Frau mit großen dunkelbraunen Augen stellte das Getränk mit einem herzlichen Lächeln vor Philipp ab. Dabei fiel ihr langer, dunkler Zopf über ihre Schulter.

      „Möchten Sie vielleicht auch etwas essen?“

      „Oh, eh … danke … nein“, stammelte Philipp. „Ich muss gestehen, ich hatte gerade eine halbe Pizza. Microwelle“, fügte er schnell hinzu.

      „Aus der Mikrowelle?“ Die junge Frau schüttelte verständnislos den Kopf und lächelte. „Kein Wunder, dass Sie nur die Hälfte gegessen haben.“

      Sie reichte Philipp eine kleine Speisekarte. „Wenn Sie doch noch ein wenig Hunger verspüren …“

      „Sie verstehen Ihr Geschäft.“

      „Wenn es nicht so wäre, hätte ich schon lange schließen müssen.“

      „Ach, Sie sind die Inhaberin?“

      „Ich bekenne mich schuldig.“ Nun lachte sie. „Deshalb muss ich mich jetzt auch um meine anderen Gäste kümmern.“

      „Eine Kleinigkeit könnte ich doch noch vertragen“, sagte Philipp, als sie sich bereits abwandte. „Was würden Sie mir empfehlen?“

      „Vielleicht eine Vorspeise? Unser „Italienischer Teller“ mit Parmaschinken, Käse und Salami. Oder auch das „Krabbenpfännchen“ in Öl und Knoblauch.“

      „Krabbenpfännchen hört sich sehr verlockend an. Aber, ich muss morgen wieder arbeiten. Eine Knoblauchfahne macht sich da nicht so gut. Mit dem Parmaschinken könnte ich mich anfreunden.“

      „Kommt sofort, der Herr.“

      Gerade eben noch wünschte Philipp sich Claudia an seiner Seite, ihr tief in die Augen zu schauen und ihrer samtartigen Stimme zu lauschen und nun starrte er dieser italienischen Schönheit hinterher.

      Zwei total verschiedene Frauen, aus gänzlich unterschiedlichen Welten und doch spürte er, dass beide eine geheimnisvolle Ausstrahlung umgaben.

      Mit der Vorspeise brachte ihm die Inhaberin des italienischen Restaurants auch ein Glas Rotwein.

      „Auf Kosten des Hauses und natürlich aus meiner Heimat.“

      „Und wo ist das?“, fragte Philipp.

      „Die Toskana, Bella Italia.“

      Ein sehnsüchtiges Lächeln überzog das hübsche Gesicht.

      Sonntag / 23:57 Uhr

      Michael Heinze war auf dem Rückweg von einer Feier mit seinen Freunden in Frankfurt und fuhr in Richtung Mainkai, als er im Radio von dem Unfall hörte.

      Ein Radfahrer war von einer Straßenbahn erwischt worden, weshalb die Polizei einen Teilabschnitt der Straße sperrte, und bat die Unfallstelle zu umfahren.

      Das galt nicht für ihn. So schnell es der Verkehr zuließ, fuhr er zum Unfallort und schob sich durch die schaulustige Menschenmenge nach vorne. Der Schwerverletzte wurde gerade vom Rettungsdienst behandelt und Minuten später in den Krankenwagen geschoben. Michael Heinze hatte eine schöne Großaufnahme vom Opfer und etliche Aufnahmen vom Unfallort. Das Video würde ihm etliche Follower bringen und damit seine Finanzen aufstocken.

      Nun saß er an seinem Computer und bearbeitete die Aufnahmen, als ein Schrei ihn aufhorchen ließ. Vielleicht hatte ein Pärchen wieder ein bisschen Spaß. Kam in der engen Gasse am „Roten Brunnen“ öfter vor.

      Er schnappte sich seine Kamera und rannte durch die offene Terrassentür. Auch dieses Video wäre fürs Internet bestens geeignet. Es gab so viele Perverse, die sich solche Bilder gerne anschauten und auch noch dafür bezahlten.

      Natürlich würde er die Gesichter derer, die sich in der nur von wenigen Häusern einzusehenden Gasse amüsierten, wie immer, verpixeln. Er wollte ja niemandem schaden oder gar denunzieren.

      Er suchte sich sein Ziel. Es befanden sich tatsächlich Personen am „Roten Brunnen“. Aber irgendwie stimmte da etwas nicht. Er zoomte näher ran, filmte und stand wie gelähmt. Ein wegfahrender Wagen befreite ihn aus seiner Starre. Er spurtete an seinen Rechner.

      Das Video hatte er schnell hochgeladen und sah sich das Ganze noch einmal an. Er vergrößerte die Aufnahmen, bis sie den gesamten Bildschirm einnahmen. Eine der zwei Personen, die in Minutenabständen um die blutende und scheinbar leblose Frau herumschlichen, erschien ihm bekannt.

      Er holte das Letzte an Kontrast aus der Aufnahme heraus.

      „Das kann doch nicht sein“, murmelte er dann vor sich hin. „Das ist doch der Typ aus der Nachbarschaft.“

      Hatte er gerade einen Mord gefilmt … und den oder die Täter gleich mit dazu?

      Dieses