Der rote Brunnen. Rita Renate Schönig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita Renate Schönig
Издательство: Bookwire
Серия: Regionalkrimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752915150
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Nicole lächelnd. „Hatte ich auch schon in Erwägung gezogen.“

      „Nicht nur zwei Dumme“, widersprach Andy. „Helene rief an, ob wir nicht Lust auf einen Spaziergang hätten. Später würde Herbert gerne die Grillsaison eröffnen.“

      „Hört sich gut an. Klar, machen wir. Wann?“

      „Ich habe gesagt, das macht ihr Mädels unter euch aus.“

      Nicole nahm sofort ihr iPhone zur Hand. Sie freute sich, mit ihrer mütterlichen Freundin und deren Lebensgefährten ein paar schöne Stunden verbringen zu können. Viel zu lange hatten sie sich schon nicht mehr gesehen.

      Ein paar Sekunden später meldete sich Helene.

      „13 Uhr 30 passt gut … Ja, auf jeden Fall, Steak ist prima … Ok, bis dann.“

      Sonntag / 14:20 Uhr

      „Welche Bedeutung haben die Kinderfiguren beidseits am Stein; dort, wo das Wasser herausfließt?“, fragte Andy.

      Die vier saßen, mit je einem Eis in der Hand, auf der Bank gegenüber des „Roten Brünnchens“.

      „Des hat mit den Seligenstädter Babys zu tun“, antwortete Herbert verschmitzt. „Wenn die Frau, die ein Kind habe will, des Wasser aus dem Brunne trinkt und danach Würfelzucker auf die Fensterbank legt, bringt der Storch bald ein Baby.“

      „So einfach ist das?“ Nicole lachte.

      Ein etwa fünfjähriges Mädchen blieb vor dem Brunnen stehen und beugte sich zu den Sandsteingebilden. Dann drehte sie sich um, blickte Herbert direkt ins Gesicht und schüttelte dabei ihre langen blonden Haare.

      „Du bist schon so alt und weißt nicht, dass die Babys aus Mamis Bauch kommen?“

      „Bist du dir da ganz sicher?“, fragte Herbert todernst. „Also, bei uns in Seligenstadt müssen die Mamis aus dem Brunnen trinke. Des ist nämlich ein ganz besonderes Wasser. Hat dem Kurfürst Schweikert auch schon geholfe. Der hat vor ganz langer Zeit gelebt.“

      „Wollte der auch ein Baby?“, fragte das Mädchen; jetzt doch etwas verunsichert.

      „Nee. Der hat nur Angst gehabt, dass ihn die Pest erwischt.“

      „Melina!“ Eine unübersehbar schwangere Frau eilte heran. „Entschuldigen Sie bitte“, wandte sie sich an Herbert. „Meine Tochter ist immer so neugierig.“

      Der winkte ab. „Is schon gut.“

      „Was ist die Pest“, wollte Melina wissen und blieb, wie angewurzelt vor Herbert stehen.

      „Des war eine ganz schlimme Krankheit. Die gibt’s aber heut net mehr.“

      Das Mädchen schaute argwöhnisch zu ihrer Mutter, dann wieder zu Herbert. „Meine Mama hat ganz bestimmt nicht aus dem Brunnen getrunken; wir sind nicht von hier. Aber, meinst du, ich könnte trotzdem meinen Bruder, der noch da drin ist“, sie deutete auf den Bauch ihrer Mutter, „hier abgeben? Vielleicht möchte eine andere Mama den haben.“

      „Melina!“, rief die Mutter erschrocken.

      Herbert lächelte, schüttelte aber gleichzeitig energisch den Kopf. „Nein, des geht auf gar keinen Fall. Ihr kommt ja net von hier.“

      „Mist“, hörten Herbert und die anderen noch, während die Mutter alle Mühe hatte, ihre Tochter hinter sich herzuziehen.

      „Die Kleine hast du jetzt aber ganz schön an der Nase herumgeführt“, sagte Helene und schmunzelte.

      „Net ganz. Des mit dem Kurfürsten stimmt …ist schriftlich hinterlegt“, entgegnete Herbert.

      Sonntag / 17:45 Uhr

      Der Anruf kam nicht direkt überraschend. Trotzdem hatte Dr. Jochen Rössner gehofft, wenigstens am Sonntag mal Ruhe zu haben. Er seufzte.

      Seit Michael Lambrecht zurück in der „Geschlossenen“ war, stand er permanent unter speziellen starken Arzneimitteln; dennoch kam er nur stundenweise zur Ruhe.

      Nun hatte er einen der Pfleger angegriffen und dessen herbeigeeilten Kollegen hatten ihre Mühe, den 35 Jahre alten, fast 1 Meter 90 großen und kräftigen Mann zu bändigen.

      Auch wenn Dr. Rössner es weitgehend vermeiden wollte, in diesem Fall würde er wohl nicht umhinkönnen, den Patienten in einem Kriseninterventionsraum – volkstümlich Gummizelle genannt – zu verwahren.

      Bevor er wegfuhr, schaute er noch kurz ins Schlafzimmer, wo Claudia, seine Frau, mit starken Kopfschmerzen im Bett lag. Leise schloss er die Tür hinter sich.

      Wenig später kam Dr. Rössner in der Klinik an und guckte in besagten Kriseninterventionsraum. In einer Ecke der Weichzelle kauerte Michael Lambrecht und starrte mit leeren Augen vor sich hin.

      „Wir mussten ihm die doppelte Dosis verabreichen“, informierte Peter Foster, ein langjähriger Mitarbeiter der Einrichtung. „Ich verstehe das nicht. Er war doch früher, bevor er von hier abgängig wurde, nicht so. Jetzt brabbelt er ständig so Zeugs wie … nicht meine Schuld und böse Menschen vor sich hin. Wissen Sie, was er damit meinen könnte? Seine Opfer vielleicht?“

      Dr. Rössner schüttelte den Kopf. „Ich kann es mir auch nicht erklären. Auch nicht, weshalb die Medikamente nicht anschlagen. Wir machen nochmals einen TDM.“

      Peter Foster eilte davon, um die erforderlichen Utensilien zu besorgen. Danach führte Dr. Rössner die Blutentnahme durch und reichte die Röhrchen dem Pfleger.

      „Schicken Sie die morgen früh als erstes ins Neurochemische Labor der Universitätsklinik in Mainz, damit wir in maximal 48 Stunden ein Ergebnis vorliegen haben und schauen Sie, in regelmäßigen Abständen nach Herrn Lambrecht. Wenn er sich in den nächsten Stunden noch immer ruhig verhält, bringen Sie ihn wieder in sein Zimmer. Ansonsten … Na ja, Sie wissen schon.“

      Peter Foster nickte und Dr. Rössner ging noch schnell in sein Büro, wo er sich einige Notizen machte. Er musste mit Claudia über den Fall sprechen. Letztendlich war Michael Lambrecht, bis zu seinem Verschwinden aus der Klinik, ihr Patient gewesen und, nur aus rein juristischen Gründen und auf Anraten ihres Anwalts, hatte er sich um die weitere Behandlung von Lambrecht gekümmert.

      Sonntag / 19:15 Uhr

      Philipp Keilmann räumte die Reste seiner Pizza in den Kühlschrank. Danach stellte er die Teetasse in die Spüle und sammelte die Krümel vom Küchentisch und warf sie in den Abfalleimer. Er wunderte sich über sich selbst. Früher war er nie so ordentlich gewesen. Da kam es häufig vor, dass das Geschirr einer ganzen Woche in der Küche verteilt stand und er kaum noch ein sauberes Hemd im Schrank hatte.

      Wenn er jetzt seinen Kleiderschrank öffnete, hingen dort seine Hemden und Hosen auf Bügeln, die Shirts akkurat zusammengelegt im Regal und selbst seine Socken waren paarweise zusammengerollt.

      Früher, dachte er. Klingt, als sei es eine Ewigkeit her, und dennoch ist kaum ein halbes Jahr vergangen.

      Bereits vier Monate arbeitete er jetzt im Immobilienbüro und Bernd Maurer, der Inhaber, schien mit seinen Leistungen zufrieden. Aber, noch wichtiger war, Maurer stellte keine Fragen; genau wie Dr. Claudia Scherer es vorausgesagt hatte.

      Weder wollte Herr Maurer wissen, weshalb Philipp seinen vorherigen Arbeitsplatz aufgegeben hatte, noch weshalb er in psychotherapeutischer Behandlung gewesen war. Die kleine Wohnung, nahe der Seligenstädter Altstadt, verdankte Philipp ebenfalls seinem neuen Chef.

      Alles lief wie am Schnürchen. Fast alles. Wären da nicht noch immer diese Albträume und – was noch schlimmer war – die Stunden, die ihm fehlten … wo er nicht wusste, was zwischenzeitlich geschehen war.

      Im Normalfall stand er um sieben Uhr auf, machte sich fertig und kam zwischen halb neun und