"I"- Achtung Spyware!. Til Erwig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Til Erwig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738022308
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bestätigt Carlito mit geschwellter Brust und hat wohl vergessen, dass die Zirkusleute nach seinem Auftritt öfter einen Menschen zu Grabe trugen. Natürlich mit megatrauriger Blasmusik und viel lautem Blech ´Tschingderassa Bummbumm` wie im Film ´Der Pate` zum Beispiel, als die junge Frau von Al Pacino beerdigt wird. Bei Carlito aber war es kein Film, es war das richtige Leben. „Idiota! Alle gehen tot!“ zischt Giacomo und tritt seinem Partner auf den Fuß um ihn mal wieder an sein Mafiosi Schweigegelübde zu erinnern. Aber da die Puppe keinerlei Reaktion zeigt, fühlt sich Fred zu einer Erklärung verpflichtet „Das meint der nicht so“. Und ob er das meint, Carlito will sich seine Erinnerungen nicht nehmen lassen und zischt deshalb „Alle tot! Bravo. Bravissimo!“ „Dida dadadadidadaaa“ ertönt es nun doch - und zu aller Überraschung redet die Puppe plötzlich „Volltreffer … immer Volltreffer! Bravissimo Idiota!“ Jetzt ist Giacomo erst recht alarmiert, nicht dass der Kollege noch mehr ausplaudert, wer weiß wo der Typ mit der Baseball Kappe herkommt und was er vielleicht im Schilde führt. Zumindest eines ist Giacomo aufgefallen.

      „Hat er Piepsstimme - wie kleines Mädchen!“ Das wollen die Italiener nun genauer wissen und rücken deshalb der Puppe auf die Pelle. Giacomo zückt sogar sein SEK-Messer und spielt professionell damit herum. Fred versucht erneut zu vermitteln. „Nur die Ruhe, Leute. Der Typ hat auch einen an der Waffel. Aber vom Feinsten“. Er steckt Geld in einen der Spielautomaten und fordert DAS ETWAS auf die rotierenden Scheiben anzuhalten. „Los, zeig’s ihnen!“ Die Puppe hat damit kein Problem. Die Glückszeichen stoppen auf ´Jackpot`. Münzen rasseln in das Ausgabefach. „Mitten in Brust. Volltreffer, Idiota! Bravissimo!“ sagt die Puppe, bevor sie zum nächsten Automaten weitergeht, eine der eben gewonnenen Münzen einwirft und: ´Jackpot`! Wieder rasseln Geldstücke in das Ausgabefach. Carlito und Giacomo sind höllisch überrascht und wollen sich sogleich bedienen. Das findet Fred wiederum nicht komisch und knurrt drohend. „Pfoten weg ihr Arschlöcher, das ist meine Kohle!“ „Pfoten weg ihr Arschlöcher, das ist meine Kohle!“ echot die Puppe ohne das bisher übliche ´Dida dadadadidadaaa`. Jetzt ist aber auch Schluss mit lustig. Jeder der drei will einen Anteil am Gewinn haben. Der Geschäftsführer des Spielsalons, ein Riesenkerl Marke Ganzkörper tätowierter ´Wrestler`, mischt sich ein. Er hatte sowieso schon die ganze Zeit misstrauisch zu dem Geschehen hingeschielt. Nun will er echt wissen, was hier abgeht. Auf lange Diskussionen können sich aber weder die Italiener noch Fred einlassen. Keiner weiß ja, wie lange die Glückssträhne mit dem Gewinnertypen noch anhält. Weshalb jetzt eine Rangelei entsteht, die bald in Handgreiflichkeiten ausartet. Dabei wird die Puppe hin und her geschubst, ihre Baseballkappe unsanft heruntergerissen. Selbst ein Blinder mit Krückstock würde nun am Schnitt und den langen Haaren erkennen, dass der Junge ein Mädchen ist. „Deine Tussi?“ schreit der Geschäftsführer Fred an „Das geht ja gar nicht!“ Aber Fred hat die Taschen voller Geld, damit die Ruhe weg, er fühlt sich stark „Und wenn schon, Mann!“„Viel junges Mädchen für altes Fred!“ keucht Giacomo und Carlito assistiert „Ist verboten! Sex mit Kinder!“ Beide aber verstummen, als jetzt die Puppe lautstark wiederholt „Ist verboten … kleine Tussi Sex mit Kinder?! Was … heißt … verboten?“ Carlito und Giacomo scheint das zu amüsieren, sie krächzen sich einen ab vor Lachen. Nur der Geschäftsführer weiß, dass Kinder im Spielsalon verboten sind und es mindestens eine Geldstrafe einbringt wenn nicht Schlimmeres, zum Beispiel Lizenzentzug und damit Schließung des Casinos. Das ist Existenz gefährdend für den ehemaligen ´Wrestler` , der aus Altersgründen nun Geschäftsführer ist, weshalb er umgehend versucht das Problem auf seine Weise zu lösen. Er komplimentiert, nein, er schiebt die Bande gewaltsam nach draußen und flucht dabei „Alles in diesem Land ist verboten! Und deshalb raus jetzt! Avanti, dilletanti, Fred. Und nimm deine Spaghettis gleich mit!“ Das wollen sich Fred und die Italiener nun gar nicht gefallen lassen. Das war ja eine Diskriminierung allerschlimmster Sorte von diesem ungehobelten Fettsack. Deshalb beginnen sie jetzt erst recht ein großes, lautstarkes Palaver mit dem Geschäftsführer. DAS ETWAS scheint davon unberührt. Nicht einmal ein ´Dida dadadadidadaaa` lässt die Puppe hören. Das heißt wohl, sie hat alles was interessant oder vielleicht auch uninteressant war abgespeichert, echte Menschen würden sagen: sie langweilt sich. Und da sie durch Crash in Schnurres Modelädchen gelernt hat wie Türen geöffnet werden, verlässt sie das Spielcasino ohne sich umzusehen und ohne dass die Streithähne es bemerken.

      *

      Im Schnurre Haus, in Amelies Zimmer, ist die Luft zum schneiden dick, so fühlbar ist die Anspannung von Mick und Amelie. Denn erneut tut sich was auf dem i-Pad. „Da! Daaaa!“ schreit Amelie und tippt aufgeregt mit dem Finger auf den Schirm, was leider einen Fettfleck zur Folge hat. „Was daa?!“ wischt Mick ärgerlich den Fleck wieder weg, „die Puppe latscht über die Straße, ja und?“ „Ist doch süüüß, wie sie geht, wie ein richtiger Mensch, guck doch!“ Aus dem Blick der Puppe ist allerdings etwas anderes zu erkennen. Nämlich, dass die Fußgängerampel gerade ROT hat und man deshalb lieber auf dem Trottoir warten sollte, bis der Verkehr vorbeigerast ist und die Ampel wieder grünes Licht zeigt. Nur woher soll eine fehlgeleitete Schaufensterpuppe das wissen?

      Sie kennt offenbar keine Verkehrsregeln und geht einfach weiter, obwohl genau in diesem Augenblick ein alter VW-Bus mit der Aufschrift Schnurres Modelädchen in hohem Tempo heranfährt, in letzter Sekunde versucht auszuweichen, mit quietschenden Reifen bremst, ins Schleudern kommt, die stur geradeaus weiterlaufende Puppe touchiert und zur Seite schleudert. „Von wegen süß“, ist die trockene Stimme von Mick zu hören, „die ist Matsch!“ In Amelies Zimmer starren die Kinder einigermaßen entsetzt auf den i-Pad. Und jetzt erst erkennen sie, was für ein Auto DAS ETWAS angefahren hat. „Boah, Scheiße, Mann! Das ist Papa!“ flüstert Mick und Amelie schreit „Mamaaa! Schnell, unser Auto!“ Sie reißt die Tür auf und schreit nochmal in höchster Not „Mamaaa! Kommm …“ Auf dem i-Pad sieht man, aus der Sicht der am Boden liegenden Puppe, einen sich nähernden Krankenwagen mit Sirene und rot/gelb blinkenden Warnlampen heranfahren. Notarzt und Sanitäter beugen sich über DAS ETWAS, sie tragen Handschuhe und versuchen erste Hilfe zu leisten. Bernhard ist völlig unter Schock, er kann nichts für den Unfall, will dennoch seine Pflicht tun und helfen. Vorsichtig betastet er das Mädchen, sieht das Freundschaftsband an ihrem rechten Arm. Leichte elektrische Entladungen lassen ihn zurückschrecken. Ganz so schlimm scheint es die Puppe aber nicht erwischt zu haben, denn sie richtet sich auf und sagt genau das, was sie gerade abgespeichert hat. „Pfoten weg, ihr Arschlöcher. Das ist meine Kohle!“ Trotzdem wird sie von den einigermaßen verdutzten Sanitätern gepackt und auf eine Bahre verfrachtet. Unbeachtet liegt ihr Ohrring im Straßengraben. Bernhard hebt ihn auf, betrachtet das Teil nachdenklich und steckt es dann in die Hosentasche. Darüber hört man Amelie sagen „Mein Freundschaftsband hat sie noch am Arm! Ich glaub‘ ich dreh durch!“ Im Schnurre Haus schleppt Mick den großen Flachbildschirm aus der Wohnstube hinüber in Amelies Zimmer. Monika hält ihm widerstrebend die Tür auf. „Mit dem Teil ist der Fall übersichtlicher“, meint Mick in der Sprache der weltberühmten deutschen Fernseh-Kriminal Kommissare und fährt wichtig fort. „Übersicht trägt immer zur Klärung des Sachverhalts bei!“ „Was denn für ein Fall?“ mokiert sich Amelie über den Bruder, „ist das vielleicht ein Film in dem wir alle mitspielen?“ „Das ist live!“ sagt Mick stolz über die neu gewonnene Erkenntnis und „Klar spielen wir mit! Das ist was Ähnliches wie ´Versteckte Kamera` oder ´Bauern, Freundschaft und das liebe Vieh`!“ „Unser Schaufenstermädchen ist doch kein Bauer“, widerspricht Amelie in einem Ton, der keinen Widerspruch zulässt. Damit ist der nächste Streit der Geschwister schon vorprogrammiert, weshalb Monika schnell daran erinnert, was jetzt in der Realität ansteht. „Bevor ihr mir Philosophie Unterricht in Sachen Liebe erteilt, darf ich daran erinnern, dass wir gleich Besuch kriegen und noch einiges vorbereitet werden muss. Kleine Hilfen – immer gern. Und Fernsehgeräte, i-Pads und so weiter bitte aus!“ „Wuff!“ macht Crash und zeigt damit deutlich, dass er ebenfalls Bedürfnisse hat. Mit einer Pfote öffnet er die Tür, eine diskrete Aufforderung endlich Gassi zu gehen.

      *

      DAS ETWAS liegt auf einem Operationstisch und wird von weiß und grün gekleideten Damen und Herren, die alle Gesichtsmasken tragen, versorgt. Außerdem haben sie Gummihandschuhe an, genau wie in der Fernseh ´Sachsenklinik`. Eine gründliche Untersuchung steht offenbar kurz bevor. Tatsächlich befinden wir uns in der Havelstein Klink, einem echten und gar nicht mal schlechten Krankenhaus.