Epilog - Avna
„Das Programm wird in wenigen Stunden starten. Ich habe Zweifel, ob es das Richtige ist. Ob es genügt. Verlängere ich nur das Leid unserer Rasse? Doch habe ich überhaupt eine andere Wahl?“
Programmierer 2083
Dunkelheit umgibt mich und ich existiere nicht. Bin nicht mehr. Und es ist gut. Ich bin ein Fehler, eine Versagerin. Es ist besser, wenn ich nicht lebe. Die Maschine hat in mich geblickt und nichts außer Leere gefunden. Ich bin nicht mehr als eine schöne Hülle.
Meine Gedanken wandern zu Lean und etwas bewegt sich in mir. Ein Gefühl. Wärme und Sehnsucht. Es ist nur eine zarte Version von Liebe. Ein erstes Erkennen, ohne viel Tiefe und doch ist es ein Gefühl. In der Knospe sehe ich das Potenzial zu lieben. Kann ich ein Fehler sein, wenn ich fähig bin zu lieben?
Worin habe ich versagt?, schreit mein Ego gegen die Mauern der Verzweiflung an. Will Fragen in die Welt brüllen, in der es nur eine Antwort gibt. Ich kann das nicht akzeptieren. Nicht so. Ich muss wissen, worin ich versagt habe, brauche eine Begründung, um verschwinden zu können.
Und mein Kopf durchstößt die Schwärze, die wie eine Wasseroberfläche bricht, Wellen wirft. Wo Dunkelheit mal war, dringt sachte Licht durch.
Das Licht ist zu grell. Blendet und schmerzt. Doch ich zwinge meine Augen wieder auf, will der Dunkelheit entkommen. Um mich herum ist alles weiß. Kein Himmel, keine Erde. Nur Weiß.
Ich blicke an mir herunter und sehe ebenfalls nur Weiß. Eine Schicht bedeckt meine Hände, meine Arme, meinen Torso, meine Beine und meine Füße. Mein Kopf schmerzt und meine Hand fährt zu meiner Stirn, will das Pochen und Ziehen wegwischen und Entspannung einmassieren.
Doch ich komme nicht zu meinem Kopf. Eine Schicht blockiert meine Stirn. Panisch schießt meine zweite Hand hoch und ich taste das Material ab, suche nach einem Loch, einem direkten Zugang zu meinem Kopf – zu mir. Aber ich bin gefangen. Jeder Teil von mir ist verdeckt und ich bin getrennt von mir selbst.
Meine Atmung geht schneller, mein Herz rast. Ich versinke in Panik und je tiefer sie mich zieht, desto weniger Luft bekomme ich.
„Beruhige dich! Atme ganz normal! Ein und aus. Ein und aus. Du trägst einen Schutzanzug“, dringt eine Stimme zu mir vor. Tief und ruhig zieht sie mich aus der Spirale der Angst heraus und gibt mir Halt.
„Schutzanzug?“, frage ich leise.
„Es ist schon ein Wunder, dass ihr es bis hierher geschafft habt. Wie kann man so unwissend nur existieren?“
Unwissend? Ich bin nicht unwissend. Ich bin gebildet. So gebildet man in meinem Alter sein kann.
„Ich bin nicht unwissend!“, sage ich deshalb auch laut und höre das trotzige Kind in mir aufstampfen.
„Nicht unwissend? Bist du nicht hier, weil du mehr wissen wolltest? Weil du erkannt hast, dass deine Welt dir etwas vormacht? Dass es mehr da draußen geben muss, als eine perfekte Welt, in der all deine Wünsche erfüllt werden und du dich trotzdem nicht erfüllt fühlst? Seid ihr nicht alle deswegen hier?“
Ihr? Alle?
Ich setze mich auf, blicke herum und sehe Menschen reglos daliegen. Ich glaube zumindest, dass es Menschen sind. Sie heben sich in ihren weißen Schutzanzügen kaum vom gleichfarbigen Boden ab.
„Sind … sind sie tot?“, frage ich entsetzt.
Ein tiefes, grollendes Lachen erreicht mein Ohr.
„Du bist witzig. Sie sind noch nicht wach. Das ist alles. Du bist die Erste, die wieder zu sich gekommen ist.“
„Wer bist du?“, frage ich und blicke mich wieder um, suche den Sprecher und finde ihn doch nicht.
„Ich? Ich bin das Empfangskomitee.“
Ich suche weiter und sehe nur reglos am Boden liegende Körper.
„Hinter dir, du Blindfisch!“, brummt die Stimme, erfüllt voll unterdrücktem Lachen und vibrierend.
Ich robbe auf meinem Hintern, so dass ich mich um mich selbst drehe und sehe ihn. Ein Mensch, genauso in weiß gekleidet wie die anderen, die am Boden liegen. Wie ich. Er steht breitbeinig über mir und als ich ihm verwirrt entgegenzwinkere, geht er in die Knie. Grüne Augen funkeln mich hinter durchsichtigem Plastik interessiert an.
Er legt den Kopf schief und sagt leise: „Vielleicht hat mich das Glück doch nicht verlassen. Ich habe die Wette verloren, um dich kennenzulernen. Diese Begrüßung scheint ausnahmsweise keine Bestrafung zu sein.“
Ein Stöhnen kommt von irgendwoher und der Mensch in dem Schutzanzug seufzt. „Nun, wenn es nur du wärst, die ich begrüßen dürfte und ich nur dein Händchen halten müsste, während deine Welt zerbricht, dann wäre es eine Belohnung. Doch diese Anzahl … Das ist eine Bestrafung. Aber du, mein Engel, du wirst mich trösten, wenn all das hier vorbei ist und ich es geschafft habe, niemandem eine Kugel durch den Anzug zu jagen.“
Mir wird kalt, als er so einfach über das Erschießen und den Tod spricht, als wären es Banalitäten, als wären sie ein Witz. Und ich weiche zurück, zerreiße den Bann, in den mich seine funkelnden Augen gezogen haben.
„Ich bin nicht dein Engel. Such dir jemand anderen zum Trösten! Ich bin vergeben!“
„Wie schade … Wo liegt er denn? Ich könnte es wie einen Unfall aussehen lassen und du wärst wieder verfügbar.“
„Lean ist nicht hier“, sage ich und bin erleichtert darüber. Der Mann in dem Anzug runzelt die Stirn und fragt: „Du hast deinen Freund zurückgelassen? Er ist weiter da oben und du hast dich entschieden, hierher zu kommen? Das muss ja eine glückliche Beziehung sein. Du brauchst dir keinen imaginären Freund ausdenken, Püppchen. Für die eine oder andere Gefälligkeit kann ich dir die Männer vom Hals halten.“
„Ich habe ihn nicht zurückgelassen. Ich …“ Ich halte den Mund.
„Dann wolltet ihr beide herunter, aber er war nicht Manns genug und hat den Schwanz eingezogen? Vergiss ihn! Du findest hier einen richtigen Mann. Eine wie du hat hier die Qual der Wahl, Püppie. Und ich hätte gern den Job.“ Er greift nach meiner Hand, ist augenblicklich über mir. Meine Hüfe ist zwischen seinen Knien und sein Gesicht kommt immer näher.
Ich kann ihn nur anstarren. Dann verziehen sich seine Lippen zu einem schiefen Lächeln, als unsere Helme aufeinanderprallen.
„Dein Gesichtsausdruck ist ein Bild für die verfluchten Götter. Was glaubst du, kann ich schon mit dir tun, wenn wir unsere Schutzanzüge tragen?“
Ein leises Kichern entschlüpft meinem widerstrebenden Mund. Ein furchtbares Geräusch, bei dem sich alles in mir zusammenzieht.
„Aber stell dir vor, was ich ohne die Schutzanzüge mit dir anstellen könnte …“, murmelt er und seine Stimme vibriert dabei wie das Schnurren einer Katze. Mein Gesicht brennt lichterloh und hat sicher die Farbe einer Leuchtrakete angenommen.
„Bist du noch Jungfrau?“, fragt er leise.
Das geht zu weit. Ich hole aus und stoße meinen Helm gegen seinen. Er verliert das Gleichgewicht. Ich schubse ihn von mir und er landet verblüfft dreinschauend auf seinem Hosenboden.
„Ich habe einen Freund!“, zische ich ihn an.
„Das heißt wohl nein“, sagt er seufzend. „Zu schade. Aber ich kann dir bestimmt noch das ein oder andere beibringen.“
„Ich könnte dir ein paar Manieren beibringen. Wie redest du mit mir? Und überhaupt, bevor man ein Gespräch anfängt, stellt man sich erst einmal vor!“, tadle ich ihn und fühle das Brennen heiß auf meinen Wangen.
Er sieht mich eine Weile wortlos an. Dann erhebt er sich und als er auf mich herunterblickt, muss ich hart schlucken. Habe