RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4). Indira Jackson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Indira Jackson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738093896
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      „Komm, mach es nicht schwerer als es ist und fang an“, forderte Rayan ihn auf.

      Aber Hanif starrte auf den grausam entstellten Rücken Rayans. Er wusste um das Jugenderlebnis seines Herrn und war einer der wenigen, die je seinen bloßen Rücken zu sehen bekommen hatten. Die Männer seines eigenen Vaters - Scheich Sedat Suekran al Medina y Nayran - hatten ihn damals fast zu Tode gepeitscht. Da war er gerade einmal 15 Jahre alt gewesen.

      Das hatte Hanif nicht gewusst, als er Rayan 2001 kennen gelernt hatte. Sedat hatte ihn nach dem Tode seines eigenen Vaters seiner angenommen und war daher Hanifs großes Vorbild, auf das er stolz war.

      Er hatte ihn für arrogant gehalten, weil dieser seinen Vater wie einen Fremden behandelte.

      Als er sich dann Rayan zur Treue verpflichtet hatte, hatte er sich zunächst gewundert, warum dieser stets darauf bedacht war, dass ihn niemand ohne Hemd sah. Er hatte nicht den Eindruck, dass sein Herr schüchtern war. Dann war er eines Tages unverhofft sehr früh morgens an den Brunnen gekommen und hatte den Rücken gesehen. Er konnte einfach nur starren. Rayan hatte geseufzt und gemeint: „Schöne Erinnerung an meinen Vater, nicht wahr? Nun weißt du es also …“

      Und Hanif hatte auf einmal so Vieles verstanden.

      Er hatte sich damals geschworen, er würde nie wieder zulassen, dass jemand Rayan etwas Derartiges antat. Und nun sollte er …?

      Hanif fühlte, wie ihm schlecht wurde. Sich zum zweiten Mal an diesem Tag einem Befehl zu widersetzen, kam nicht infrage.

      Das hatte er nun von seinem verdammten Stolz! Sein Herr hatte ihn ausgetrickst und mit seinen eigenen Waffen geschlagen. Er war ehrlich genug, zu erkennen, dass er Rayan jeden einzelnen Hieb, den er bekommen hätte, für immer nachtragen würde.

      Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er war inzwischen 37 Jahre alt und konnte sich nicht erinnern, wann er in den letzten 13 Jahren, seit denen er Rayan kannte, jemals geweint hätte.

      Doch als er die fünf Hiebe ausführte, rannen ihm Tränen die Wangen hinunter.

      Rayan gab bei keinem der Hiebe auch nur einen Laut von sich.

      Danach saßen beide lange einfach schweigend da. Es waren keine weiteren Worte notwendig.

      Jassim, der noch immer mit seinem Stammesbruder zusammen vor der Tür Wache hielt, hörte das Pfeifen der Peitsche und nahm an, dass Hanif für die Szene vorher bestraft wurde – was ja auch stimmte, nur nicht so, wie der Leibwächter sich das gerade vorstellte.

      Rayan jedoch wusste, dass Hanif sich beim nächsten Mal genau überlegen würde, ob er nochmals ihm gegenüber so stur sein würde. Er hatte seine Lektion gelernt.

      1991 - Rabea Akbar - Schatten der Vergangenheit

      Jack Tanner blieb im Garten stehen. So schnell, wie sein Zorn gekommen war, war er auch wieder verflogen. Er war ein fairer Mann, der sich in diesem Moment eingestand, dass er das Thema völlig falsch angepackt hatte. Wie sagte man so schön? „Im Zweifel für den Angeklagten?“ Er setzte sich auf eine steinerne Bank, um sich zu sammeln, doch er musste nicht lange nachdenken, dass er Yasin Unrecht getan hatte und er dies so schnell wie möglich wieder zu Recht rücken musste.

      Er kannte seinen Schützling und dessen Stolz inzwischen gut genug und wusste, dass Yasin reagieren würde. Der Junge war einfach zu impulsiv. Aber das war auch kein Wunder angesichts der Informationen, die er erhalten hatte - er war als Prinz geboren! Und nun arbeitete er hier wie ein Diener. Jack war klar, dass mehr hinter dieser Geschichte stehen musste.

      Zu seiner Entschuldigung war zu sagen, dass ihm Yasin inzwischen richtig ans Herz gewachsen war und er erst kurz vor seiner Abreise eine Nachricht erhalten hatte, eine frohe Botschaft, die er Yasin an diesem Wochenende hatte eröffnen wollen.

      Da war es ihm in Mark und Bein gefahren, Yasins Vater zu sehen. Oder wie sein wirklicher Name wohl sein musste. Denn ihm war nun klar, dass selbst der Name vermutlich nicht echt war.

      Er gab sich einen Ruck, er durfte nicht länger warten.

      Und wie recht er damit hatte, sah er, als er Yasins Zimmer betrat.

      Dieser hatte eine Tasche auf dem Bett stehen, die er bereits gut gefüllt hatte – offenbar packte er, um sie zu verlassen.

      Einige Sekunden sah er ihm dabei zu und wartete, ob Yasin von sich aus etwas sagen würde. Doch der ignorierte ihn einfach, was Jack nicht im Mindesten überraschte.

      Also ergriff er das Wort: „Hör zu. Es tut mir leid! Ich hätte dich nicht angreifen dürfen.“

      Doch Rayan packte einfach weiter, er war so sehr verletzt, dass er das Gefühl hatte zu ersticken, wenn er noch einen Moment länger hier blieb. Er hatte Jack vertraut und nun fühlte er sich wie damals bei seinem eigenen Vater. Der hatte auch nie gefragt, sondern sofort sein Urteil gefällt.

      „Bitte! Lass uns Reden, gib mir noch eine Chance.“

      Als Yasin ihn noch immer ignorierte, meinte Jack Tanner etwas lauter: „Nun gut. Falls du es dir anders überlegst, bin ich unten im Garten im Pavillon.“ Dann drehte er sich um und ging.

      Nun unterbrach Rayan seine hektische Packaktion und sah ihm hinterher. Was sollte er tun? Wie würde Jack reagieren, wenn er die Wahrheit erfuhr? Würde er ihn dann auch hassen, dass er ihm verschwiegen hatte, dass er ein Verräter war? Von seinen eigenen Leuten ausgestoßen und geächtet? Der Stachel der Vergangenheit saß so tief in ihm, dass ihm der Unsinn seiner Gedanken gar nicht klar wurde. Denn welchen Verrat hatte er letztendlich begangen? Und außerdem hielten ihn alle für tot. Aber sein unbändiger Stolz, der ihm so reichlich in die Wiege gelegt worden war, ließ ihn seine Vergangenheit als Scham empfinden. Aus diesem Grund konnte er mit niemandem darüber reden. Nicht einmal mit Clara hatte er das gekonnt.

      Aber auf einmal fiel ihm auf, dass er schon wieder dabei war, davonzulaufen. Weglaufen war feige und er war noch nie ein Feigling gewesen.

      Dieser Gedanke gab den Ausschlag, dass er langsam hinunter in den Garten und zum Pavillon ging.

      Jack stand unter dem kleinen Holzdach, hatte seine Ellenbogen auf die Umrandung gestützt und die Hände ineinander verschränkt. Er blickte nicht auf, als Rayan neben ihn trat. Er war sehr erleichtert, dass der Junge gekommen war, aber er wusste auch, dass er jetzt behutsam sein musste. Einige Minuten lang schwiegen beide.

      Dann sagte Jack schließlich: „Schön, dass du gekommen bist. Es tut mir wirklich leid, was ich vorhin zu dir gesagt habe …“

      Wieder schwiegen beide und schließlich sagte Jack mit trauriger Stimme: „Weißt du, eigentlich hatte ich für meine Heimkehr etwas ganz Besonderes geplant. Ich habe in letzter Minute vor meiner Abreise eine gute Nachricht erhalten, die Julie und ich dir dieses Wochenende mitteilen wollten …“. Er brach ab und erklärte nicht weiter, wie er dies genau meinte. Leise begann er, von seinem Erlebnis zu berichten: „Wir waren in der Oase von Farah, als Krieger eines der Wüstenstämme plötzlich ankamen. Wir waren einen Moment nicht sicher, ob sie angreifen würden, doch sie ignorierten uns einfach.

      Meine Aufmerksamkeit haben dann die Banner erregt, die diese Männer mit sich führten. Dieses Motiv hatte ich doch schon gesehen? Und dann fiel es mir ein: Es war das gleiche Abbild wie deine Tätowierung auf der Brust. Daher beobachtete ich diese faszinierenden Krieger genauer. Allen voran Scheich Sedat Suekran. So stolz! Und plötzlich sah ich die Ähnlichkeit. Ich wusste es einfach. Der gleiche Stolz!

      Also fragte ich einen alten Mann, was das Motiv bedeutete, und dass ich meinte, es als Tätowierung schon einmal irgendwo gesehen zu haben.

      Doch der Beduine erklärte mir, dass das ein Irrtum sein müsse, diese Tätowierung zu tragen, wäre ein Privileg der Fürsten aus Zarifa … so beließ ich es dabei und sagte ihm, dass es sicher ein ähnliches Motiv gewesen sein müsse.“

      Er schwieg wieder. Rayan war während seiner Worte blass geworden, er hatte schon so lange nicht mehr den Namen seines Vaters gehört. Aber er blieb weiter stumm. Was hätte er auch sagen sollen?