Kunst-Kurz. Wolf Schreiber (Hrsg.). Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolf Schreiber (Hrsg.)
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748597193
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      Ich bin außer Rand und Band. Meine Gefühle drehen durch.

      Volles Adrenalin. Ich wechsele das Fach

      und schleiche als fieser Mörder im Regio-Krimi durch den Raum.

      Blutrünstig. Unbarmherzig. Mächtig.

      Ich stehe regungslos im Flur an der Garderobe

      und warte, dass das ahnungslose Opfer den Raum betritt.

      Ich starre auf die Tür. Gleich ist es soweit.

      Gleich. Ich bebe innerlich. Schnaufe durch.

      Ich spüre, dass gleich etwas passiert.

      Mein Blick fällt auf die Wanduhr.

      11.20 Uhr. Es müsste Zeit sein.

      Ende der Vorstellung.

      Ich verlasse unvermittelt meine Wohnung.

      Der Hausflur ist kalt und dunkel.

      Und schmutzig. Die Wände beschmiert.

      Niemand unterwegs.

      Leise und angespannt schleiche ich die Treppe hinunter.

      Zum Briefkasten.

      Der Schlüssel dreht sich im kleinen Schloss.

      In meinem Kopf hämmert der Satz »The winner is!«

      Zittrig klappe ich die Briefkastentür auf.

      Leer. Leer. Leer.

      Wie kann das sein?

      Mein Agent hatte doch für heute einen Brief angekündigt.

      Die Einladung zu einem Castingtermin und genaue Infos dazu.

      Mein Herz rast. Es pocht bis zum Hals hinauf. Adrenalin pur.

      Nein, ich mache jetzt nicht das Rumpelstilzchen.

      Vom Theater habe ich für heute genug.

      Deprimiert erreiche ich meine Wohnung.

      Jetzt spielt Jonny Walker die Hauptrolle.

      Und um 12.30 Uhr ist wieder

      ein Termin bei der Agentur für Überlebenskünstler.

      [aus: Siegfried Grosse »Auch Schritte wachsen – Reibungen und Reifungen« edition federleicht 2018.]

      Höhlen-Kritzelei von Nobi Umsonst

CCII.60

      Gudrun Güth

      − Lightshow

      Wieder war hinten an der Garagentür das Licht an. Sie stand auf der Terrasse, zog an der für heute letzten Zigarette und starrte auf den hellen Punkt an der dunklen Wand.

      Sie musste Strom sparen, also durch den nächtlichen Garten hindurch, um zwischen den Ästen des Walnussbaums nach dem Schalter zu tasten. Und dann in vollkommener Finsternis zurück zur Terrassentür.

      Der, der seit Wochen jeden Abend das Licht anmachte, würde hinter ihr her schleichen, ihr von hinten das Kabel um den Hals schlingen oder ihr mit einem stumpfen Gegenstand die Schädeldecke zertrümmern.

      Sie drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, atmete tief dreimal ein und aus und trat in den Garten, wie gebannt den Blick auf das Licht gerichtet.

      Etwas Schwarzes huschte vor ihren Füßen durch das Gras. Nachbars Katze vielleicht oder der Marder, der neulich abends seelenruhig über das Geländer spaziert und zu ihr in das Wohnzimmer hinein geschaut hatte. Aber weder Katzen noch Marder knipsten nachts Lichter an.

      Die Dunkelheit wurde noch dunkler, als sie zum Haus zurück ging. Ihr war, als verfolgten sie Augen, brennende Augen, auf den günstigsten Moment lauernd.

      Obwohl sie eigentlich ins Bett hatte gehen wollen, kochte sie sich einen Melissentee. Noch eine Zigarette erlaubte sie sich nicht. Vom Tisch aus starrte sie in den Garten. Das Licht an der Garage ging nicht wieder an. Auch glühende Augen waren nirgends zu sehen.

      Lange konnte das so nicht weiter gehen, doch sie traute sich nicht, die Polizei einzuschalten. Was für Beweise hatte sie schon, dass sich jeden Abend, jede Nacht jemand in ihrem Garten herumtrieb.

      Der Tee war schön heiß und entfaltete seine beruhigende Wirkung. Im Tageslicht morgen würde der Garten weniger bedrohlich erscheinen. Der Fliederbaum hatte schon Knospen, die nach ein paar Sonnentagen aufgehen würden.

      Als sie am nächsten Morgen – es war noch sehr früh, da die Tageszeitung noch nicht einmal im Briefkasten steckte – sich ihre erste Zigarette ansteckte und nach dem Flieder sah, sah sie auch das Licht an der Garage. Es war wieder an.

      Sie hastete zurück ins Haus, zog Schuhe und Mantel an, riss die Handtasche vom Garderobenhaken, knallte die Tür hinter sich zu und fuhr los. Sie nahm die A42 Richtung Westen. Immer wieder schaute sie in den Rückspiegel. Autos fuhren vorbei, überholten sie. Nur ein uralter weißer VW-Bulli schlich hinter ihr her. Er konnte nicht anders.

      Bismarck, Erle, Schalke, Neue Mitte...

      Sie sollte ins Centro fahren, um sich nach Bewegungsmeldern oder nach Videoüberwachungen zu erkundigen. Sie könnte auch im Gewühl untertauchen und sich etwas Schönes zum Anziehen kaufen. Das ganze Lichttheater einfach vergessen.

      Aber da war sie schon an der Ausfahrt vorbei.

      Zum Glück tauchte plötzlich der Gasometer links von ihr auf. Da war er, ihr Ankerpunkt mit der Ausstellung »Der schöne Schein – Meisterwerke der Kunstgeschichte«! Der schöne Schein!

      So schön war das Leben eigentlich nicht, wenn man die täglichen Nachrichten verfolgte und wenn jeden Abend jemand in ihrem Garten das Licht anmachte, aber ein bisschen Schönes könnte einem nicht schaden.

      Sie fuhr auf den Parkplatz, der weiße VW-Bulli auch.

      Sie löste eine Eintrittskarte und ging los. Es war dunkel im Bauch des Gasometers, und sie fror.

      Das erste Bild, das sie sah, war Mitri der Schreiber. Er hatte zersprungene Lippen, hervorquellende, blau umrandete Augen, die glühten.

      Die Schönheit des Schreckens, dachte sie und rieb sich die weiß gewordenen Fingerspitzen warm. Sie hätte den Mantel nicht im Auto liegen lassen sollen. Hinter sich hörte sie, wie die Eingangstür zufiel. Es war windig heute.

      Sie lies sich von den sphärischen Klängen treiben. Zum Glück waren kaum Besucher hier. Sie versenkte sich in die Betrachtung des sterbenden Galliers, den Tod des Marat, Böcklins Toteninsel und der Fotografie Knifed to Death II von Andreas Serrano. Knifed to Death I entdeckte sie nicht. Wahrscheinlich hing das im Leichenschauhaus.

      Gerade als sie sich das Haupt der Medusa ansah, erstarrte sie zu Stein. Es waren nicht die glühenden Augen, die aus dem Schlangen umzingelten abgeschlagenen Kopf heraus stierten, sondern es hatte sie etwas Kaltes im Nacken berührt.

      Sie konnte sich nicht umdrehen, fürchtete sich, im Dunkeln an die schwarzen Stahlgerüste zu stoßen. Sie hörte Schritte.

      Endlich löste sich ihre Schockstarre. Sie hastete zum Aufzug und fuhr nach oben unter das Dach. Die Farbspiele an den Gasometerwänden waren durch das Aufzugglas gut zu sehen. Allmählich wurde sie ruhiger.

      Der Wind riss ihr die Tür aus den Händen, aber sie hatte sich schon während der Fahrt fest vorgenommen, bis ganz nach oben zu gehen, um das Ruhrgebietspanorama auf sich wirken zu lassen. Gleise, Autobahnen, Kühltürme, ein Kanal, Bäume und Wiesen.

      »Dat hat was«, sagte plötzlich jemand hinter ihr, der noch ein paar Stahlstufen höher stand..

      Sie drehte sich um. Glühende Augen.

      Sie rannte die Stufen hinunter. Der Fahrstuhl war glücklicherweise da. Auf der dritten Etage stieg sie aus. Über die Wände geisterten Punkte, Wellenlinien,