Kunst-Kurz. Wolf Schreiber (Hrsg.). Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolf Schreiber (Hrsg.)
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748597193
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Ich habe gelesen, dass die Landschaften so authentisch nachgebildet sind, dass unsere Sinne die fehlenden Elemente hinzufügen; wir nehmen auch den Geruch wahr. Ich rieche die …«

      »Etwas ist an meinem Bein hochgekrabbelt!«, beharrte er.

      »Es ist, als ob du an Läuse denkst und dein Körper den Juckreiz erzeugt. Dein Gehirn vervollständigt das Bild.« Unwillkürlich schrie sie auf. »Ein Elefant!«

      Er stürzte, sie fiel auf ihn; der gigantische Fuß strich knapp an ihrem Kopf vorbei, sie spürte den Luftzug und zitterte. Als sie es wagte, die Augen zu öffnen, stand der Elefant friedlich am Wasser und trank.

      »Wahnsinn! Täuschend echt!« Sie erhob sich und klopfte die Erde von den Beinen.

      Reglos lag er da, die Arme über den Kopf gelegt.

      Sie fasste ihn an der Schulter. »Komm, wir gehen weiter!«

      Als er sie ansah, ließ sie die Hand sinken. »Hilf mir!«, flüsterte er, und der Klang erinnerte an verwelkte Blumen. Seine Haut färbte sich gräulich; darunter huschten Schatten entlang, ringelten sich über sein Gesicht und verdunkelten seine Augen, füllten sie aus mit sattem Schwarz. Sein Mund war ein endloser Schrei. »Hilf mir!«

      Sie taumelte zurück, rannte los, wich der herabbaumelnden Schlange aus und erreichte das Tor. Zunächst prallte sie gegen das Innere der Kugel, doch als sie mit prasselnden Fäusten dagegen schlug, öffnete sie sich und gab den Weg frei. Hektisch zerrten ihre Finger das Handy hervor. Kein Empfang. Sie keuchte, rannte weiter, den Weg zurück bis zum Eingang, dort, wo die Verkäuferin hinter ihrem Schalters saß. »Schnell! Mein Freund, er ist verunglückt!

      Wir brauchen einen Notarzt!«

      »Ich bedaure. Unsere Anschlüsse sind noch nicht alle ausgebaut – selbst ich kann hier noch nicht senden. Freies W-Lan und einen Notrufknopf finden Sie im Kommunikationsbereich.«

      »Wo?«

      »Laufen Sie geradeaus über die Edward-Munch-Brücke, dann werden Sie es sehen. Das weiße Gebäude, an dem es Tag und Nacht zugleich ist.«

      Sie rannte; das Wasser unter ihr toste, der Himmel tobte, die Sterne glänzten wie erstarrt, alles verschwamm in tiefem Blau. Da sah sie es, direkt vor sich. Sie presste die Hände an ihr Gesicht und schrie.

      Die Verkäuferin schüttelte den Kopf. Dieser Themenpark war wirklich ein Reinfall. Reihenweise starben die Besucher; dabei hätten sie wissen müssen, welche Schrecken in der Kunst auf sie warteten. Schrecken, die sich die Natur nicht vorstellen kann, haben die Maler aller Zeiten auf Leinwand gebannt.

      Diese Besucher hatten wirklich keine Ahnung, sie rutschten auf den zerflossenen Uhren aus, sie stürzten von unmöglichen Brücken im Escherhaus, wurden von blauen Pferden zu Tode getrampelt. Und die Betreiber des Parks hatten offenbar an Schutzmaßnahmen nicht gedacht. Wie sollte dieser Park dann jemals ein Geschäft werden? Vielleicht wäre es angezeigt, dass sie sich vorsichtshalber schon mal nach einem neuen Job umsah.

      Und ihren Survival Guide wollten die meisten Besucher auch nicht kaufen.

      »Geizige Kunstbanausen!«, murmelte die Verkäuferin, schüttelte den Kopf und holte einen Eimer, um die Reste von der Brücke zu entfernen.

      Höhlen-Kritzelei von Nobi Umsonst

CC.13-b

      Siegfried Grosse

      − Morgenritual

      Ich wache auf.

      Durch die Ritzen der Jalousie erhellt die Sonne mein spartanisches Zimmer.

      »Sein oder Nichtsein« schießt es mir durch den Kopf.

      Hamlet springt aus dem Bett

      und windet sich in voller Körpergröße zum Mephisto.

      »Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft«.

      Wohlan.

      Den Weg ins Bad nehme ich als König Lear

      in einer vom Alter fürchterlich gebeugten Haltung:

      »Du jüngste, nicht geringste«.

      Der gütige Satz verleiht mir Kraft.

      Ich richte mich auf und schaue in den Spiegel.

      »Spieglein, Spieglein an der Wand« höre ich mich äffen.

      Soll ich nun den charmanten Märchenprinz abgeben,

      der die böse Schwiegermutter verführt?

      »Oh nein, oh nein!« Ich reiße voller Entsetzen die Arme in die Höhe,

      tue es Michael Kohlhaas gleich,

      den das Schicksal erneut gebeutelt hat.

      Grimassiere Trauer und Verzweiflung in den Spiegel.

      Charakterwechsel. Emotionswechsel.

      Ich tänzele in die Küche ganz im Stile Charlie Chaplins.

      Mit imaginiertem Stock in der rotierenden Hand.

      Bewegung ist alles. Und die habe ich voll drauf.

      Ich schaue mich um und höre mich mit heiserer Stimme Satchmo singen:

      »What a wonderful world!«

      Ja, so souverän kann es weitergehen.

      Ich kann überzeugend schauspielern und glänzend singen!

      Warum nicht als Graf Krolov im Musical »Phantom der Oper«?

      Ich schmettere aus voller Brust »Die unstillbare Gier«.

      Ich bin eben auch ein Musicalstar. Und was für einer!

      Ich finde mich einfach toll. So Leute wie mich will der Zuschauer haben.

      Was bin ich heute wieder gut! Applaus, Applaus!

      Beim Gang an den Kühlschrank fällt mir spontan Moliere ein.

      Als eingebildeter Kranker krümme ich mich von Koliken geplagt

      alleine schon beim Gedanken ans Essen.

      Ich zucke und stöhne voll hypochondrisch geimpft

      und rufe mit durchdringender Forderung »Jedermann. Jedermann!«

      Ich sehe mich auf der großen Bühne in Salzburg.

      Natürlich bin ich für die großen klassischen Rollen geboren.

      Das Brotmesser in der Hand erinnert mich an Othello. Warum nicht?

      Ich bin Othello: »Die Bosheit wird durch Tat erst ganz gestaltet«.

      Nahtlos bin ich wie auf das Stichwort bei James Bond.

      Ich blase mich auf, befeuchte die Lippen und springe aufs Sofa,

      wo ich – inzwischen voll in der Rolle von Tarzan -

      Jane aus den Armen des Biestes rette.

      Ich trommele wild entschlossen auf die Brust und rufe:

      »Ich fühle mich wie neu geboren!"

      Energisch spiele ich Riffs auf meiner Luftgitarre

      und gröle »We will, we will rock you!«

      Das kracht. Das groovt.

      Es ist eben alles immer nur eine Frage der Übung.

      Und ich bin voll im Saft.

      Als junger Liebhaber. Als unwiderstehlicher Don Juan.

      Als umschwärmter Popstar. Als Weltstar.

      Es ist Zeit für eine Telenovela:

      »Irgendwoher kenne ich dich. Wollen wir einen Kaffee trinken gehen?«

      Der Spruch