Kunst-Kurz. Wolf Schreiber (Hrsg.). Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolf Schreiber (Hrsg.)
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748597193
Скачать книгу
im Bett mit einem stadtbekannten Künstler namens Schmitz verbracht. Sie war bester Laune, was sich bei ihr immer auch dadurch äußerte, dass sie besonders gegenüber Johannes schnippische Bemerkungen machte. Ich hatte in letzter Sekunde Zweifel bekommen, ob das Gemüse dieses Risiko wirklich wert war und rang mit mir, wollte aber auch nicht als Feigling dastehen.

      Jetzt war ich dran, denn wir hatten den Plan etwas geändert. Am späteren Nachmittag war nicht mehr viel Betrieb in dem Museum. Ich hatte eine echt aussehende Perücke auf und eine Brille an. Ich passte den Moment ab, in dem die Wärterin in einem der anderen Räume von einem Besucher in ein Gespräch verwickelt wurde, um hastig die ersten zwei Tüten zu füllen, die ich aus meiner Jackentasche zog. Dann geleitete mich Johannes zur Personaltoilette, wo ich selbst die schweren Tüten aus dem Fenster hängte. Dieses Fenster war ausschließlich von einem kleinen Innenhof aus zu sehen, auf den sonst nur die Fenster eines sonntags nicht besetztes Büros blickten und der um zwei Ecken von außen zugänglich war.

      Das ganze wiederholte ich noch einmal. Dann lief ich die Gänge in umgekehrter Richtung entlang und stand Schmiere, damit Johannes selbst noch einmal zuschlagen konnte. So hatten wir den Tisch bis auf die großen Kürbisse weitgehend abgeräumt.

      Ich beeilte mich, in den Innenhof zu kommen. Als ich dort ankam, hörte ich durch das geöffnete Fenster einen weiblichen Schrei aus dem Inneren. Schnell schleppte ich die Tüten zu meinem Auto, wo ich sie von anderen unbeachtet einlud. Unter anderem mussten wir die Kürbisse leider zurücklassen.

      Zuhause fing ich sofort an, alles zu verarbeiten. Um acht erwarteten wir die ersten Gäste, denen wir von der künstlerischen Bedeutung des Eintopfs natürlich nichts erzählen wollten – von den Mülltaucher-Punks abgesehen, denen es jedoch sicherlich besonders schmecken würde. Bald kam Johannes nach und hielt sich den Bauch vor Lachen, während er erzählte, wie sich seine Kollegin aufgeregt hatte. Er hatte angegeben, nichts gesehen zu haben und die Vermutung geäußert, seine Kollegin müsse wohl geschlafen haben. Sie würde Ärger bekommen.

      Johannes half bei den Vorbereitungen. Es schmeckte allen.

      Am folgenden Montag wurde in der Zeitung groß über den Raub berichtet. Der Autor des Artikels ergriff unverblümt Partei für die Diebe. Das erschütterte Schmitz zusätzlich, den ich am Abend anrief, um ihm mein Mitgefühl auszusprechen. Er war überzeugt, dass man ihn mit dem Diebstahl persönlich habe treffen wolle. Er fragte sich, wer ihm nur so etwas habe antun können. Ich fragte ihn, ob er das Gestohlene nicht einfach ersetzen könne. Er sagte empört, es habe sich um eine ganz bestimmte Komposition gehandelt, außerdem würde der vorgesehene Vermoderungsprozess bei frischem Obst und Gemüse in der verbliebenen Zeit womöglich nicht weit genug fortschreiten können. Ich schlug ihm vor, bei der Markthalle schon halb vermoderte Abfälle zu besorgen. Das war ihm zu eklig, aber er sagte, er würde noch einmal darüber nachdenken. Ich wollte ihn aufmuntern und sagte zu ihm: »Dass Dein Gemüse gestohlen wurde ist gut, es provoziert Gedanken, die Leute reden darüber«. Er bemerkte nicht, dass ich ihn damit zitierte. Und das Zitat bewirkte Wunder – er begann, in dem ganzen Vorteile zu sehen und ich unterstützte ihn dabei verbal. Schließlich hatte ich ihn fast soweit, nicht nur die gedankliche Provokation durch den Diebstahl gut zu heißen, sondern fast sogar den Diebstahl selbst als Teil des Kunstwerks zu begreifen. Aber nur fast. Ganz wollte er mir darin dann doch nicht zustimmen. Eigentlich mochte ich ihn sogar – abgesehen jedenfalls von seiner Gestelztheit, seiner elitären Verstiegenheit und seiner Vorliebe für zickige Museumswärterinnen.

      Ein paar Tage später hörte ich von Johannes, dass der Tisch tatsächlich mit Abfällen eines Gemüsehändlers neu bedeckt worden war. Schmitz habe ein wenig gejammert und gesagt, es sei nun nicht mehr dasselbe. Die Wärterin sei nur auf den persönlichen Einsatz des Künstlers hin nicht gefeuert worden.

      Ich sah mir das neue Arrangement an und fand, dass es wirklich nicht mehr dasselbe war. Aus diesem moderigen Zeug konnte man beim besten Willen keinen Eintopf mehr kochen.

      Schmitz konnte dennoch zufrieden sein: die Aufmerksamkeit, die ihm der Diebstahl beschert hatte, wirkte sich sehr positiv auf seinen Bekanntheitsgrad aus. Er war schon zuvor recht gefragt gewesen, nun aber nahm die Zahl der Anfragen nochmals zu. Ein paar Jahre später las ich ein Interview mit ihm, in dem er tatsächlich den Diebstahl zu einem – freilich von ihm nicht geplanten – Teil des Kunstwerks erklärte. Im selben Interview berichtete er von neuen, den halben Globus überspannenden Plänen für Vermoderungskunstwerke. Eines davon sollte in Tokio ausgestellt werden und aus Sushi bestehen. Wir hatten das Gegenteil von dem bewirkt, was wir bewirken wollten. Ich legte die Zeitschrift weg.

      Höhlen-Kritzelei von Nobi Umsonst

CC.89

      Sabine Frambach

      − Willkommen in Art World!

      »Zwei Erwachsene, bitte.«

      Die Verkäuferin musterte sie durch die Glasscheibe, tastete nach den Eintrittskarten und lächelte. »Willkommen in Art World! Möchten Sie auch den Survival Guide kaufen?«

      »Nein, danke. Wir finden uns so zurecht.«

      Das Lächeln verschwand. Mit zitternden Händen hielt die Verkäuferin das Heftchen hoch und starrte sie an. Eindringlich flüsterte sie: »Schauen Sie, Hochglanzaufnahmen jeder Attraktion, ein Übersichtsplan, Hinweise und Verhaltensregeln. Ich empfehle Ihnen dringend, den Survival Guide zu kaufen! Erst gestern ist ein unvorsichtiger Besucher in Monets Seerosenteich ertrunken. Unsere Art World läuft außerdem derzeit noch im Test-Modus.«

      Das Paar lachte. »Was kostet das Heftchen denn?«

      »Dreißig Euro.«

      »Dreißig? Nein, wirklich nicht. Wir nehmen nur die Eintrittskarten.«

      Die Verkäuferin schob ihnen zwei Karten durch den Schlitz im Fenster.

      »Das macht dann zwanzig Euro. Viel Vergnügen in der Art World, Europas erstem Freizeitpark der Kunst. Der Ort, an dem Bilder Wirklichkeit werden!«

      Das Paar steckte die Karten ein und ging den staubigen Weg entlang. Die Hinweisschilder wiesen in verschiedene Kunstrichtungen: Impressionisten, Kubisten, Moderne, Expressionisten. Er starrte auf die Begriffe und kratzte sich am Bauch. »Es war deine Idee«, murmelte er. »Wohin möchtest du?«

      Sie knuffte ihn sanft in die Seite. »Ein wenig Begeisterung, bitte! Ich brauche das für mein Referat über die Renaissance. Hiermit bekomme ich bestimmt den Schein! Ich will erst in den Hieronymus-Bosch-Garten. Die Figuren sollen so beeindruckend sein!«

      »Den Garten der Lüste!« Seine Stimme bekam den Klang nach Zweisamkeit und Federbett. »Wir sind die einzigen Besucher, soweit ich sehe.« Seine Hand tastete unter ihr Oberteil.

      Sie kicherte und schob ihn weg. »Lass das, du Flegel!«

      Kurz darauf traten sie vor eine Kugel, die sich wie von Zauberhand vor ihnen öffnete und den Blick freigab auf einen Bogen, über dem mit verschnörkelten Buchstaben stand: Garten der Lüste.

      Eine riesige Landschaft lag ihnen zu Füßen; in der Ferne sahen sie blaue Berge. Vögel rauschten über ihnen, krächzend flatterten sie durch eine entfernte Skulptur.

      Sie trat weiter hinein, als er sie ruckartig zur Seite riss. »Vorsicht!«

      Neben ihnen ringelte sich eine Schlange an einem Baumstamm entlang. Sie trat einen Schritt zur Seite und starrte hinauf. »War die echt? Sie sah echt aus.«

      Er lachte schallend. »Und das Einhorn da vorne ist auch echt?«

      Sie griff nach seinem Arm und folgte ihm in Richtung des plätschernden Wassers. »Das ist fantastisch animiert! Man glaubt, mitten im Bild zu stehen!«

      Im selben Moment begann ihr Begleiter, nach etwas zu treten.

      »Was hast du?«

      Er klopfte seine Beine ab und schaute hektisch um sich. »Da war etwas, es ist an mir hochgekrochen. Schwarz und klein.«

      Sie