Nach einer etwas mehr als einer halben Stunde entschuldige ich mich und verschwinde in der Küche. Der Wein auf leeren Magen hat mich ein wenig beschwipst gemacht, wie ich nach dem Aufstehen feststelle. Mein Bauch knurrt und ich sehne mich nach der Lasagne, die mittlerweile fertig sein müsste. Doch als ich in der Küche ankomme, bemerke ich direkt, dass der erhoffte Lasagnegeruch fehlt. Erschrocken bücke ich mich zum dunklen Backofen und stoße einen Fluch aus. Ich habe vergessen, den Ofen anzustellen!
Ich öffne die Ofentür und halte die Hand hinein. Kalt. „Oh nein“, jammere ich und schlage die Hände vors Gesicht. Wie konnte ich das nur vergessen? Doch als ich darüber nachdenke, fällt es mir wieder ein: Bill! Ich war so außer mir, wegen seinen dummen Kommentaren über meine Figur, meine Narbe und überhaupt allem, dass ich es schlicht und einfach vergessen habe.
Grübelnd hocke ich vor der kalten Lasagne. Wenn ich den Backofen jetzt noch anstelle, müssen wir weitere fünfundvierzig Minuten totschlagen. Und bis wir dann gegessen haben, ist es so spät, dass Bianca und Bill morgen früh kaum aus dem Bett kommen werden. Außerdem haben wir jetzt Hunger!
Dann kommt mir schließlich eine wahrhaft zündende Idee! Ich bin eine Hexe! Das Element Feuer ist mir untertan! Es sollte also kein Problem sein, eine kalte Lasagne in Windeseile zu backen!
Ich stelle mich also aufrecht hin, schließe die Augen und konzentriere mich auf das Element Feuer. Sofort kommt es zu mir, fließt in meinen Adern und wärmt mein Blut. Ich strecke die Hand aus, bücke mich zum Ofen und lasse eine Feuerfontäne aus meiner Handfläche schießen, die den ganzen Innenraum im Ofen erhellt. Das Feuer ist so heiß, dass meine Wangen zu glühen beginnen. Zwischen den Flammen sehe ich die rote Soße köcheln. Zufrieden schwenke ich meinen Arm hin und her, lasse die Hitze gleichmäßig über die Auflaufform gleiten, während der köstliche Geruch das Wasser in meinem Mund zusammenlaufen lässt.
„Oh mein Gott!“, stöhnt eine Stimme hinter mir und ich drehe mich erschrocken um.
Der Feuerstrahl aus meiner Hand gleitet auf die Fliesen und hinterlässt einen schwarzen, verkohlten Fleck.
Bill steht im Türrahmen. Seine Augen sind weit aufgerissen und alle Farbe ist aus seinem Gesicht gewichen. „Oh mein Gott, oh mein Gott“, sagt er immer wieder und weicht zurück.
„Bill, bitte rege dich nicht auf“, versuche ich ihn zu beruhigen und hebe die Hände, was ein Fehler war, wie ich direkt bemerke. Bill duckt sich und rennt schreiend vor mir weg. „Bill! Lass es mich bitte erklären!“, rufe ich ihm hinterher.
Ich will ihm folgen, doch im Flur sehe ich schon, dass er durch die Haustür verschwunden ist. Sie steht noch offen und ich kann die Scheinwerfer seines Autos sehen, wie sie über die in der Dämmerung liegenden Rasenfläche vor unserem Haus gleiten.
„Was ist passiert? Wo ist Bill?“ Carmen kommt aus dem Wohnzimmer und schaut fragend zur Haustür. „Bill?“
„Er ist abgehauen“, sage ich und fühle mich plötzlich schuldig.
„Was meinst du? Wieso ist er abgehauen?“ Sie rennt zur Haustür und schaut den roten Lichtern seines wegfahrenden Autos hinterher, während wir alle den Motor aufheulen hören.
Kapitel 4
„Was hat er gesehen?“, schreit Carmen hysterisch und rauft sich die Haare, nachdem ich ihr erzählt habe, was passiert ist. „Feuer aus deinen Händen? Wirklich? Oh mein Gott!“
„Das hat er auch immer wieder gesagt.“ Ich zucke mit den Schultern. „Oh mein Gott, oh mein Gott, und dann ist er kreischend weggerannt.“
Chris, der lässig mit verschränkten Beinen in der Ecke der Küchenzeile steht, lacht leise auf.
„Findet ihr das etwa witzig?“, will Carmen mit scharfem Ton wissen und sieht uns abwechselnd an. „Was soll er denn jetzt denken? Er kommt dir hinterher, weil er sich für sein Benehmen am Anfang entschuldigen will, und findet ein feuerspuckendes Monster vor!“
Ich zucke zusammen. „Ein feuerspuckendes Monster? So siehst du mich?“
Sie schlägt die Hände vor ihr Gesicht und stampft mit dem Fuß auf. „Nein, Scarlett, natürlich nicht“, sagt sie nun etwas milder und nimmt die Hände wieder weg. „Aber für ihn muss es so gewesen sein. Versetze dich doch mal in seine Lage! Er wollte sich entschuldigen! Und dann sieht er dich und dieses Feuer aus deiner Hand! Und dabei wollte er sich doch nur entschuldigen.“
Chris stößt sich von der Arbeitsfläche ab und stellt sich neben mich. „Bill wollte sich nicht entschuldigen, weil es ihm leid tat.“ Sein Ton ist leise, aber doch harsch.
Carmen sieht ihn erstaunt an, dann zieht sie die Stirn in Falten. „Doch, natürlich! Bevor du runterkamst, haben wir das schon besprochen! Er wollte sich entschuldigen, sobald sich eine Gelegenheit ergibt.“
„Er hat Angst vor mir, deswegen wollte er sich bei Scarlett entschuldigen. Nicht, weil es ihm leid tat.“
„Was für ein Quatsch!“, entgegnet Carmen wütend. „Woher willst du das überhaupt wissen? Er hat doch keine Angst vor dir! So ein Blödsinn.“
„Bill ist ein intelligenter Mann. Er registriert schnell, wer über ihm steht, ob nun in geschäftlichen Dingen, oder in privaten. Und als er mich sah, war ihm klar, dass er sich mit mir nicht anlegen will.“
Sie schüttelt mit dem Kopf und lacht ironisch auf. „Bill hatte doch keine Angst vor dir! Er hat es schon mit ganz anderen Leuten aufgenommen, jemand wie du schüchtert ihn doch nicht ein.“
„Doch. Ich konnte seine Angst wittern.“
Ein paar Sekunden lang starrt Carmen ungläubig in seine Augen. Dann seufzt sie und greift nach ihrer Handtasche. „Ich werde jetzt gehen“, sagt sie, senkt den Kopf und geht in Richtung Haustür, ohne mich noch einmal anzusehen.
„Carmen?“, rufe ich ihr hinterher, doch sie bleibt nicht stehen. „Du kannst doch nicht allein durch den Wald zurücklaufen!“
Sie hält inne, ohne sich umzudrehen. Ihre Schultern sacken herab. Offenbar hat sie vergessen, dass sie mit Bill zusammen in seinem Auto hergekommen war.
„Ich werde sie nach Hause bringen“, beschließt Chris und zieht bereits seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche.
„Kann Scarlett mich fahren?“
Chris schüttelt mit dem Kopf. „Nein, sie darf nicht mehr fahren“, sagt er und drückt mir einen Kuss auf die Stirn, bevor er Carmen einholt.
Ich lasse mich auf den Hocker vor der Kücheninsel sacken und seufze, während Chris´ und Carmens Schritte sich von mir entfernen. Er hat recht, ich darf nicht mehr fahren. Mir war vorhin schon ganz schwummrig vom Wein. Als Mannwolf und allgemein als Mann seiner Größe, kann er weitaus mehr Alkohol vertragen und nach eineinhalb Gläser Wein kann er allemal noch fahren. Ich hingegen nicht.
Als die Haustür hinter den beiden zufällt, hole ich eine Gabel aus der Schublade vor meinem Bauch heraus und beginne die Lasagne direkt aus der Form zu essen.
Nach knapp zwanzig Minuten ist Chris wieder zurück und ein Viertel der Lasagne verschwunden.
„Hat sie noch was gesagt?“, will ich wissen, sobald er zu mir in die Küche kommt.
Er setzt sich mir gegenüber auf einen Hocker und nimmt mir die Gabel aus der Hand. „Nein, gar nichts“, sagt er, nimmt sich eine Gabel voll Lasagne und steckt sie sich in den Mund. „Sie hat schweigend aus dem Fenster gestarrt. Ich konnte ihre Unsicherheit wittern.“
Ich nicke, schüttle aber mit dem Kopf, als er mir die