Middlemarch. George Eliot. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: George Eliot
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752988956
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aufgestellt waren. »Der kürzeste Weg zum Ziele ist immer der, seinen Wert so entschieden zur Geltung zu bringen, daß die Leute uns schon nehmen müssen, wie wir sind, gleichviel ob wir ihnen schmeicheln oder nicht.«

      »Völlig einverstanden. Aber dann müssen Sie auch Ihres Wertes gewiß sein und müssen sich ihre Unabhängigkeit bewahren, und das können sehr wenige. Entweder Sie müssen sich jeder praktischen Tätigkeit enthalten und darauf verzichten, sich irgendwie nützlich zu machen, oder Sie müssen das gemeinschaftliche Joch tragen und zum guten Teil in der Richtung ziehen, in welche Ihre Fachgenossen Sie drängen. Aber sehen Sie sich doch diesen zierlichen Gradflügler an!«

      Lydgate mußte sich, wohl oder übel, doch schließlich jedes Schubfach etwas genauer ansehen, da der Pfarrer, über sich selbst lachend, in der Präsentation seiner Schätze nicht nachließ.

      »Apropos dessen, was Sie vorhin vom Jochtragen sagten,« fing Lydgate wieder an, als sie sich endlich gesetzt hatten. »Vor einiger Zeit habe ich mir fest vorgenommen, mich dieser angeblichen Notwendigkeit so wenig wie irgend möglich zu fügen. Darum habe ich mich entschlossen, mich wenigstens für eine gute Reihe von Jahren von London fern zu halten. Was ich dort als Student gesehen habe, gefiel mir nicht – so viel hinderlicher Zopf und so viel leere Scharlatanerie. In der Provinz haben die Leute weniger den Ehrgeiz, etwas zu wissen, und sind weniger gute Gesellschafter; aber dafür wird man auch von ihnen in seiner Eigenliebe weniger verletzt; man gibt weniger Anstoß und kann ruhiger seinen eigenen Weg gehen.«

      »Ja – gut – Sie haben einen guten Anlauf genommen; Sie haben sich Ihren Beruf als den Ihnen zusagendsten frei gewählt. Nicht Allen ist es so gut geworden und die Reue kommt oft zu spät. Aber Sie müssen sich Ihrer Unabhängigkeit nicht zu sicher glauben!«

      »Sie reden von Familienbanden?« sagte Lydgate, indem er wohl begriff, daß solche Bande auf Farebrother drückend lasten möchten.

      »Nicht nur von diesen. Natürlich machen sie manches schwerer. Aber ein braves Weib, eine gute, nicht weltlich gesinnte Frau kann einem Manne bei der Behauptung seiner Unabhängigkeit eher förderlich sein. Da ist unter den Mitgliedern meiner Gemeinde Einer, ein vortrefflicher Mensch, der es aber schwerlich ohne seine Frau so weit gebracht haben würde; kennen Sie die Garths? Ich glaube nicht, daß sie zu Peacock's Patienten gehörten.«

      »Nein; aber ein Fräulein Garth ist bei dem alten Featherstone in Lowick.«

      »Das ist die Tochter, ein prächtiges Mädchen.«

      »Sie ist sehr ruhig; ich habe kaum Notiz von ihr genommen.«

      »Sie hat aber sicher Notiz von Ihnen genommen, darauf können Sie sich verlassen.«

      »Ich verstehe Sie nicht,« sagte Lydgate, der doch nicht füglich antworten konnte: »Natürlich.«

      »O sie beobachtet alle Menschen sehr scharf. Ich habe sie auf ihre Konfirmation vorbereitet; sie ist mein Liebling.«

      Da Lydgate kein Verlangen äußerte, mehr über die Garths zu erfahren, rauchte Farebrother eine Weile, ohne etwas zu sagen. Dann legte er seine Pfeife bei Seite, streckte die Beine von sich und sagte, indem er Lydgate lächelnd mit seinen hellen Augen ansah:

      »Aber wir Middlemarcher sind nicht so zahm, wie Sie von uns zu glauben scheinen. Wir haben unsere Intrigen und unsere Parteien. Ich gehöre zum Beispiel zu einer Partei und Bulstrode zu einer andern. Wenn Sie mir Ihre Stimme geben, so werden Sie es mit Bulstrode verderben.«

      »Was ist denn gegen Bulstrode zu sagen?« fragte Lydgate sehr nachdrücklich.

      »Ich habe nicht behauptet, daß irgend etwas gegen ihn zu sagen ist, – nur daß Sie, wenn Sie gegen ihn stimmen, sich ihn zum Feinde machen.«

      »Ich wüßte nicht, daß ich mich darum zu bekümmern nötig hätte,« erwiderte Lydgate in etwas selbstbewußtem Tone, »aber er scheint gute Ideen über Hospitäler zu haben und verwendet große Summen zu gemeinnützigen Zwecken. Er kann mir vielleicht bei der Ausführung meiner Ideen sehr nützlich sein. Was seine religiösen Anschauungen betrifft, – nun, so sage ich mit Voltaire: Zaubersprüche können eine Herde Schafe umbringen, wenn man ihnen eine gewisse Quantität Arsenik eingibt. Ich sehe mir den Mann an, der das Arsenik eingibt, und kümmere mich nicht um seine Zaubersprüche.«

      »Sehr gut. Aber Sie dürfen nur Ihren Arsenikmann nicht erzürnen. Mich würden Sie nicht erzürnen, wissen Sie,« sagte Farebrother ganz ohne Affektation. »Ich verlange nicht von Anderen, daß sie ihre Pflichten in einer, meinen Interessen zusagenden Weise auffassen. Ich habe viele Gründe, mich in Opposition gegen Bulstrode zu befinden. Ich liebe die Art von Leuten nicht, zu denen er gehört; es sind engherzige unwissende Menschen, deren Wirken mehr zur Unbehaglichkeit als zur Besserung ihrer Nebenmenschen beiträgt. Ihr ganzes System beruht auf einer Art von weltlich-geistlichem Cliquenwesen; sie betrachten die ganze übrige Menschheit nicht anders als wie einen Leichnam, der dazu verdammt wäre, sie für den Himmel zu mästen. Aber,« fügte er lächelnd hinzu, »ich behaupte nicht, daß Bulstrode's neues Hospital ein schlechtes Unternehmen sei; und was seinen Wunsch betrifft, mich aus dem alten Hospitale zu verdrängen, so kann ich nur sagen, wenn er mich für einen verderblichen Menschen hält, so erwidert er damit nur meine Gefühle gegen ihn. Und ich bin gewiß kein Muster eines Geistlichen, sondern nur eine anständige Mittelmäßigkeit.«

      Lydgate war keineswegs gewiß, daß der Pfarrer sich mit seinem Urteil über sich selbst zu nahe trete. Ein Mustergeistlicher mußte nach Lydgate's Überzeugung ebenso wie ein Musterarzt seinen Beruf für den schönsten in der Welt halten und alles Wissen lediglich als Mittel betrachten, seine moralische Pathologie und Therapeutik zu vervollkommnen. Er sagte aber nur: »Welchen Grund gibt Bulstrode dafür an, daß er Sie beseitigen will?«

      »Daß ich nicht seine Ansichten lehre, welche er die ›Religion der Seele‹ nennt; und daß ich nicht Zeit genug habe. Beide Behauptungen sind wahr. Zeit aber würde ich mir schaffen können und die vierzig Pfund würden mir willkommen sein. Das ist einfach der Stand der Sache. Aber reden wir nicht weiter davon. Ich wollte Ihnen nur gesagt haben, daß, wenn Sie für Ihren Arsenikmann stimmen, Sie mich damit noch nicht abgeschüttelt haben. Ich kann Sie nicht entbehren. Sie sind eine Art von Weltumsegler, der gekommen ist, sich unter uns niederzulassen, und der meinen Glauben an die Antipoden aufrecht erhalten wird. Und nun, erzählen Sie mir von den Antipoden in Paris.«

      18

      Oh, sir, the loftiest hopes on earth

      Draw lots with meaner hopes: heroic breasts,

      Breathing bad air, ran risk of pestilence;

      Or, lacking lime juice when they cross the Line,

      May languish with the scurvy.

      Nach dieser Unterhaltung vergingen einige Wochen, bevor die Frage der Besetzung der Kaplanstelle eine praktische Bedeutung für Lydgate erlangte, und ohne sich selbst über die Gründe dieses Verhaltens Rechenschaft zu geben, verschob er die Entscheidung darüber, für welche Partei er stimmen werde. Die Sache würde ihm in der Tat völlig gleichgültig gewesen sein, das heißt, er würde sich unbedenklich für die bequemere Wahl entschieden und seine Stimme Tyke gegeben haben, wenn er nicht ein persönliches Interesse an Farebrother genommen hätte.

      Aber seine Neigung zu dem Pfarrer von St. Botolph hatte bei näherer Bekanntschaft nur noch zugenommen. Daß Farebrother so ganz auf seine Stellung als die eines neuen Ankömmlings, der seine eigenen Berufszwecke zu verfolgen habe, eingegangen und mehr darauf bedacht gewesen war, ihn vor der Wahrnehmung seines, Farebrother's Interesse zu warnen als dafür zu gewinnen, zeugte von einer ungewöhnlich edlen Gesinnung und Delikatesse, für welche Lydgate's Natur sehr empfänglich war.

      Diesen Eigenschaften gingen andere selten schöne Züge in Farebrother's Charakter zur Seite, welche sein ganzes Wesen jenen südlichen Landschaften ähnlich erscheinen ließen, die auf den Beschauer zugleich den Eindruck großer Naturschönheit und vernachlässigter sozialer Zustände machen. Es gibt gewiß wenige Männer, welche sich so kindlich und so ritterlich wie er gegen eine Mutter, eine Tante und eine Schwester benommen haben würden, deren Abhängigkeit