Middlemarch. George Eliot. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: George Eliot
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752988956
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und Lydgate waren bald in einem lebhaften Gespräche begriffen. Er bedauerte, daß er sie neulich in Stone Court nicht singen gehört habe. Das einzige Vergnügen, welches er sich während der letzten Zeit seines Pariser Aufenthaltes gestattet, habe darin bestanden, bisweilen Musik zu hören.

      »Sie haben sich vermutlich eingehender mit Musik beschäftigt?« fragte Rosamunde.

      »Nein, ich verstehe mich nur auf den Gesang vieler Vögel und kann viele Melodien nach dem Gehör singen, aber gute Musik, von der ich durchaus nichts verstehe, entzückt und rührt mich. Wie dumm sind doch die Menschen, daß sie sich ein solches ihnen erreichbares Vergnügen nicht öfter verschaffen!«

      »Ja, und Sie werden Middlemarch sehr unmusikalisch finden. Es gibt hier kaum einen wirklich guten Musiker. Ich kenne nur zwei Herren, welche einigermaßen gut singen.«

      »Vermutlich herrscht hier auch die Mode, komische Lieder rhythmisch zu rezitieren, ungefähr wie wenn Jemand mit den Fingern auf einer Trommel spielen und es den Zuhörern überlassen wollte, sich die Melodie hinzu zu denken.«

      »Ach, Sie haben gewiß Herrn Bowyer gehört,« sagte Rosamunde mit einem bei ihr so seltenen Lächeln. »Aber wir reden sehr schlecht von unsern Nebenmenschen.«

      Lydgate war von Bewunderung für dieses liebliche Geschöpf so hingenommen, daß er darüber fast seiner Pflicht, die Unterhaltung nicht ins Stocken geraten zu lassen, uneingedenk geworden wäre; ihr Kleid schien ihm ein Stück des zartesten blauen Himmels, sie selbst von einem so reinen Blond, als wäre sie eine eben einem Blumenkelche entstiegene Elfe; und dabei trat dieses blonde Kind mit einer wunderbaren Sicherheit und Grazie des Benehmens auf. Seit er das Erlebnis mit Laure gehabt, hatte Lydgate allen Geschmack an großäugigen, schweigenden Gesichtern verloren; die »göttliche Kuh« hatte keine Anziehungskraft mehr für ihn; und Rosamunde war das grade Gegenteil eines solchen Wesens. –

      Aber Lydgate nahm alsbald die Unterhaltung wieder auf.

      »Ich hoffe, Sie erfreuen uns diesen Abend durch etwas Musik«

      »Wenn Sie es wünschen, will ich gern etwas zu singen versuchen,« sagte Rosamunde. »Papa wird gewiß darauf bestehen, daß ich singe. Aber ich werde vor Ihnen, der Sie die besten Sängerinnen in Paris gehört haben, zittern. Ich habe sehr wenig gehört, ich bin nur einmal in London gewesen. Aber unser Organist an der Peters-Kirche ist ein guter Musiker, und ich nehme noch immer Unterricht bei ihm.«

      »Erzählen Sie mir doch, was Sie in London gesehen haben.«

      »Seht wenig,« – ein naiveres Mädchen würde geantwortet haben: »O Alles.« Aber Rosamunde verstand es besser – »ein paar von den gewöhnlichen Merkwürdigkeiten, wie sie ungebildeten Mädchen aus der Provinz immer gezeigt werden.«

      »Nennen Sie sich ein ungebildetes Mädchen aus der Provinz?« fragte Lydgate und sah sie dabei mit einem Blick an, in welchem sich eine so rückhaltlose Bewunderung malte, daß Rosamunde vor Vergnügen errötete. Aber sie blieb ungeziert ernsthaft, drehte ihren schlanken Hals ein wenig, und berührte mit den Fingerspitzen ihre wunderbaren Haarflechten, eine ihr zur Gewohnheit gewordene Bewegung, die sich grade so niedlich ausnahm wie das Spielen eines Kätzchens mit seiner Pfote.

      »Ich versichere Sie, ich bin recht ungebildet,« antwortete sie ohne Weiteres, »ich passiere nur in Middlemarch. Ich kann mich wohl ungeniert mit unsern hiesigen alten Bekannten unterhalten, aber vor Ihnen bin ich wirklich bange.«

      »Eine begabte Dame weiß fast immer mehr als wir Männer, wenn auch ihr Wissen von anderer Art ist. Ich bin überzeugt, Sie könnten mich tausend Dinge lehren, wie ein zierlicher Vogel einen Bären lehren könnte, wenn es eine Beiden gemeinsame Sprache gäbe. Glücklicherweise gibt es eine Frauen und Männern gemeinsame Sprache und so können die Bären belehrt werden.«

      »Ach, da will Fred klimpern! ich muß ihm nur rasch wehren, sonst zerreißt er Ihnen die Ohren,« rief Rosamunde und ging nach dem andern Ende des Zimmers, wo Fred, nachdem er auf den Wunsch seines Vaters das Klavier geöffnet hatte, damit Rosamunde etwas singe, die Gelegenheit benutzte, mit der linken Hand »Wir winden Dir den Jungfernkranz« zu spielen. So etwas begegnet fähigen Leuten, die ihr Examen gut bestanden haben, bisweilen ebensogut, wie dem durchgefallenen Fred.

      »Bitte Fred, warte mit Deinem Üben bis morgen,« sagte Rosamunde, »Du machst Herrn Lydgate, der zu hören versteht, ganz elend.«

      Fred lachte, ließ sich aber nicht irre machen, und spielte seine Melodie zu Ende.

      Rosamunde wandte sich sanft lächelnd nach Lydgate um und sagte: »Sie sehen die Bären lassen sich nicht immer belehren.«

      »Nun komm, Rosy!« sagte Fred, welcher sich wirklich auf den Gesang seiner Schwester freute, indem er vom Klavierbock aufsprang und denselben für sie in die Höhe schraubte. »Sing' uns erst einmal ein paar hübsche muntere Melodien.«

      Rosamunde spielte sehr schön. Ihr Lehrer in Frau Lemon's Pension (welche sich in der Nähe einer Landstadt befand, an deren denkwürdige Geschichte noch ein Schloss und eine Kirche erinnerten), war einer jener vortrefflichen Musiker, welche man hie und da in unsern Provinzialstädten findet und welche den Vergleich mit manchem bekannten »Kapellmeister« in einem Lande, welches reichlichere Gelegenheit zur Erwerbung musikalischer Zelebrität darbietet, sehr wohl aushalten können. Rosamunde hatte sich mit einer seltnen Nachahmungsgabe seine Art zu spielen angeeignet, und gab seine großartige Auffassung klassischer Musik mit der Genauigkeit eines Echo's wieder.

      Ihr Spiel hatte, wenn man es zum ersten Male hörte, fast etwas Unheimliches. Eine verborgene Seele schien Rosamunden's Fingern zu entströmen, wie ja auch dem leblosen Echo eine Seele inne wohnt; auch war der Eindruck, den ihr Spiel hervorbrachte, nicht lediglich die Wirkung ihres Nachahmungstalentes; denn jedem schönen Vortrage liegt irgendwie eine selbständige Geistestätigkeit zu Grunde, wäre es auch nur eine reproduktive.

      Lydgate war völlig hingenommen und fing an, in Rosamunden ein ganz ungewöhnliches Wesen zu erblicken. Am Ende, dachte er, braucht man sich nicht zu wundern, unter scheinbar so ungünstigen Umständen die harmonische Vereinigung der seltensten Naturgaben zu finden; denn diese Vereinigung hängt doch unter allen Umständen von nicht leicht erkennbaren Bedingungen ab. Er saß in ihren Anblick vertieft da und stand, als sie geendet hatte, nicht auf, um ihr Komplimente zu machen; sondern überließ das Anderen, seine Bewunderung war zu tief dazu.

      Ihr Gesang war weniger ausgezeichnet, aber auch gut geschult und angenehm zu hören wie ein vollkommen rein gestimmtes Glockenspiel. Sie sang freilich diesen Abend nur die damals beliebten Lieder »Land meiner seligsten Gefühle« und »Als ich auf meiner Bleiche, ein Stückchen Garn begoß,« denn alle Sterblichen müssen sich der Mode ihrer Zeit fügen und nur die Alten können immer klassisch sein. Aber Rosamunde konnte auch »Das Veilchen« von Mozart, oder Haydns Chansonetten, oder »Voi che sapete« und »Batti, batti« effektvoll singen, wenn sie nur wußte, daß ihre Zuhörer an solcher Musik Geschmack fänden.

      Ihr Vater sah mit dem Ausdruck des Entzückens über die Bewunderung der Gäste im Kreise umher. Ihre Mutter saß von Glück strahlend mit ihrem jüngsten Töchterchen auf dem Schoße und schlug mit der Hand des Kindes leise den Takt zur Musik. Und auch Fred hörte trotz seiner im Allgemeinen gegen Rosy's Vollkommenheiten so skeptischen Stimmung, doch ihrem Spiele und Gesang mit vollkommener Hingebung und mit dem Wunsche zu, er möchte dasselbe auf seiner Flöte leisten können.

      Es war der angenehmste Familienkreis, den Lydgate, seit er nach Middlemarch gekommen war, noch gesehen hatte. Die Vincy's wußten sich von allen Seelenbeklemmungen frei zu halten, und sich ihres Lebens zu freuen, eine Weltanschauung, welche in allen Provinzialstädten sehr vereinzelt in einer Zeit dastand, wo die herrschende streng kirchliche Richtung die wenigen Vergnügungen, welche es in der Provinz noch gab, wie eine ansteckende Krankheit ängstlich meiden ließ. Bei den Vincy's wurde auch immer Whist gespielt, und auch heute standen die Spieltische bereit und ließen einige Mitglieder der Gesellschaft das Ende der Musik im Geheimen ungeduldig erwarten.

      Noch ehe es soweit war, trat Herr Farebrother ein. Er war ein hübscher breitschultriger, übrigens nur kleiner Mann, von ungefähr vierzig Jahren; sein schwarzer Anzug war sehr fadenscheinig, aller