Das grüne Gesicht. Gustav Meyrink. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gustav Meyrink
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742766250
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drückt, schlägt sie Stunden, Minuten und Sekunden, und gleichzeitig erscheint auf der Rückseite ein bewegliches

       Liebespaar. Dieser Knopf löst die Rennzeiger aus; dieser stoppt sie; wenn man ihn weiter hinunterdrückt, erscheint das

       jeweilige Mondviertel; noch tiefer hinein, und das Datum klappt auf. Dieser Hebel nach links, und ein Tropfen

       Moschusparfüm spritzt hervor, – nach rechts, und es ertönt die Marseillaise. Es ist ein wahrhaft königliches Geschenk.

       Es existieren im ganzen nur zwei Stück davon."

       "Immerhin ein Trost", gab Hauberrisser höflich und doppeldeutig zu. Das Gemisch von bodenloser Frechheit und

       gänzlicher Unkenntnis weltmännischer Umgangsformen belustigte ihn auf das höchste.

       Graf Ciechonski, ermutigt durch die freundliche Miene des Ingenieurs, wurde immer zutraulicher, erzählte von seinen

       immensen Gütern in Russisch-Polen, die leider durch den Krieg verwüstet wären, (zum Glück sei er nicht darauf

       angewiesen, denn durch intime Beziehungen zu amerikanischen Börsenkreisen verdiente er in London mit

       Spekulationen ein paar tausend Pfund im Monat) – kam auf Pferderennen zu sprechen und bestochene Jockeis, auf

       Milliardärsbräute, die er zu Dutzenden kenne, auf spottbillige Territorien in Brasilien und im Ural, auf noch unbekannte

       Petroleumquellen am Schwarzen Meer, auf ungeheuerliche Erfindungen, die er in der Hand hätte und die eine Million

       täglich tragen müßten, – auf vergrabene Schätze, deren Besitzer geflohen oder gestorben seien, auf untrügliche

       Methoden, im Roulette zu gewinnen, – erzählte von riesigen Spionagegeldern, die Japan vertrauenswürdigen Personen

       auszuzahlen nur so brenne (natürlich müsse man zuerst Depot erlegen), schwätzte von unterirdischen Freudenhäusern

       in den großen Städten, zu denen nur Eingeweihte Zutritt hätten, ja sogar vom Goldlande Ophir des Königs Salomo,

       das, wie er ganz sicher aus Papieren seines Taufpaten Eugène Louis Jean Joseph wisse, im Zululande läge, berichtete

       er bis ins kleinste genau.

       Er war vielseitiger noch als seine Taschenuhr, warf tausend Angelhaken aus, einen plumper als den andern, um

       seinen Fisch zu ködern; wie ein kurzsichtiger Einbrecher, der Dietrich um Dietrich am Türschloß eines Hauses probiert,

       ohne das Schlüsselloch zu erwischen, tastete er die Seele Hauberrissers ab, aber es gelang ihm nicht, das Fenster zu

       finden, durch das er hätte einsteigen können.

       Endlich gab er es erschöpft auf und fragte Hauberrisser kleinlaut, ob dieser ihn nicht in irgendeinen vornehmen

       Spielklub einführen möchte; doch auch hierin schlugen seine Hoffnungen fehl: Der Ingenieur entschuldigte sich damit,

       daß er selber in Amsterdam fremd sei.

       Mißmutig schlürfte er seinen Sherry-Cobler.

       Hauberrisser betrachtete ihn sinnend. "Ob es nicht das gescheiteste wäre", überlegte er, "ich sagte ihm auf den Kopf

       zu, daß er ein Taschenspieler ist. Ich gäbe etwas darum, wenn er mir sein Leben erzählte. Bunt genug mag es gewesen

       sein. Eine Welt von Schmutz muß dieser Mensch schon durchwatet haben. Aber natürlich, er würde leugnen und

       schließlich grob werden." – Ein Gefühl von Gereiztheit stieg in ihm auf; "unerträglich ist das Dasein unter den Menschen

       und Dingen dieser Welt geworden; Berge von leeren Schalen überall, und stößt man einmal auf etwas, was so aussieht

       wie eine Nuß, die des Aufknackens wert wäre, – siehe da, es ist ein toter Kiesel."

       "Juden! Chassiden!" brummte der Hochstapler verächtlich und deutete auf einen Trupp zerlumpter Gestalten, die

       eilig – die Männer mit wirren Bärten und schwarzen Kaftans voran, die Frauen, ihre Kinder in Bündel geschnürt auf

       dem Rücken, hinterdrein – lautlos, mit weit aufgerissenen, irrsinnig in die Ferne starrenden Augen die Straße

       vorbeizogen. "Auswanderer. Keinen Cent in der Tasche. Sie glauben, das Meer wird eine Gasse bilden, wenn sie

       kommen. Verrückt! Neulich in Zandvoort wäre eine ganze Menge beinahe ersoffen, wenn man sie nicht noch

       rechtzeitig herausgezogen hätte."

       "Meinen Sie das im Ernst, oder machen Sie bloß Spaß?"

       "Nein, nein, mein voller Ernst. Haben Sie denn nicht davon gelesen? Der Religionswahnsinn bricht jetzt überall aus,

       wohin man schaut. Vorläufig sind's ja meist nur die Armen, die davon befallen werden, aber" – Zitters ärgerliche Miene

       hellte sich auf bei dem Gedanken, daß vielleicht bald eine Zeit kommen könne, wo sein Weizen blühen würde – "aber

       es wird nicht lange dauern, dann packt's die Reichen auch. Ich kenne das." – Froh, wieder ein Gesprächsthema

       gefunden zu haben, denn Hauberrisser hatte gespannt aufgehorcht, wurde er sofort wieder geschwätzig. "Nicht nur in

       Rußland, wo von jeher die Rasputins und Johann Sergiews und andere Heilige aus dem Boden wuchsen, – in der

       ganzen Welt breitet sich der Wahnsinn aus, daß der Messias kommt. Sogar unter den Zulus in Afrika gärt's schon; da

       läuft zum Beispiel dort ein Nigger herum, nennt sich 'der schwarze Elias' und tut Wunder. Ich weiß das ganz genau von

       Eugène Louis" – er verbesserte sich rasch – "von einem Freund, der kürzlich dort auf Leopardenjagd war. Einen

       berühmten Zuluhäuptling kenne ich übrigens selber von Moskau her" – sein Gesicht wurde plötzlich unruhig – "und,

       wenn ich's nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde ich's nie geglaubt haben: Der Kerl, in allen andern Tricks ein

       Mordsesel, kann wahrhaftig, so wahr ich hier sitze, zaubern. Ja ja: zaubern! Lachen Sie nicht, lieber Hauberrisser; ich

       hab' selber gesehen, und mir macht kein Artist was vor", er vergaß einen Moment ganz, daß er die Rolle eines Grafen

       Ciechonski zu spielen hatte, – "das Zeug kann ich selber auf dem ff. Wie er's macht, weiß der Teufel. Er sagt, er habe

       einen Fetisch, und wenn er den anruft, wird er feuerfest. Tatsache ist: Er macht große Steine rotglühend – Herr, ich

       hab' sie selbst untersucht! – und schreitet langsam drüber weg, ohne sich die Füße zu verbrennen." In der Erregung fing

       er an, an seinen Fingernägeln zu beißen, und brummte in sich hinein: "Aber wart nur, Bursche, ich komme dir schon

       dahinter." – Erschreckt, daß er sich möglicherweise zuviel habe gehenlassen, nahm er schnell wieder die polnische

       Grafenmaske vor und leerte sein Glas, "Prost, ljieber Hauberrisser, prost, prost. Vielleicht sehen Sie ihn einmal selber,

       den Sulu; ich chöre, er ist in Cholland und tritt in einem Zirkus auf. Aber wollen wir jetzt nicht nebenan im Amstelroom

       einen Imbiß –"

       Hauberrisser stand rasch auf, der "Graf" interessierte ihn an Herrn Zitter Arpád ganz und gar nicht. "Bedaure lebhaft,

       aber ich bin für heute vergeben. Vielleicht ein anderes mal. Adieu. Sehr gefreut."

       Verblüfft durch den kurzen Abschied, sah ihm der Hochstapler mit offnem Munde nach.

      Drittes Kapitel

      Von einer wilden innern Aufregung ergriffen, über deren Ursache er sich keinerlei Rechenschaft zu geben vermochte,