Das grüne Gesicht. Gustav Meyrink. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gustav Meyrink
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742766250
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Laquedem; man hat in einem Mann,

       der diesen Namen trug, den Ahasver vermutet, weil er lange vor einem steinernen Christuskopf stehengeblieben war

       und ausgerufen hatte: 'Das ist er, das ist er; so hat er ausgesehen!' – In den Museen von Basel und Bern wird sogar je

       ein Schuh gezeigt, ein rechter und ein linker, kuriose Dinger, aus Lederstücken zusammengesetzt, einen Meter lang und

       zentnerschwer, die an verschiedenen Orten in den Gebirgspässen der italienisch-schweizerischen Grenze gefunden und

       wegen ihrer Rätselhaftigkeit in unklare Verbindung mit dem Ewigen Juden gebracht wurden. Übrigens – –"

       – Pfeill zündete sich eine Zigarette an –

       "Übrigens merkwürdig, daß du gerade jetzt auf die ausgefallene Idee gekommen bist, nach dem Ewigen Juden zu

       fragen, wo mir ein paar Minuten früher – und zwar außergewöhnlich lebhaft – ein Bild in der Erinnerung aufgetaucht

       war, das ich einmal vor vielen Jahren in einer Privatgalerie in Leyden gesehen habe. Es soll von einem unbekannten

       Meister stammen und stellt den Ahasver dar: ein Gesicht von olivbronzener Farbe, unglaublich schreckhaft, ohne

       schwarze Binde um die Stirn, die Augen ohne Weiß und ohne Pupillen, wie – wie soll ich sagen – fast wie Schlünde.

       Es hat mich noch lange bis in die Träume verfolgt."

       Hauberrisser fuhr empor, aber Pfeill achtete nicht drauf und erzählte weiter:

       "Die schwarze Binde um die Stirn, las ich später irgendwo, gilt im Orient als sicheres Kennzeichen des Ewigen

       Juden. Angeblich soll er damit ein flammendes Kreuz verhüllen, dessen Licht immer wieder sein Gehirn verzehrt, wenn

       dieses bis zu einem gewissen Grade der Vollkommenheit nachgewachsen ist. – Die Gelehrten behaupten, es seien das

       lediglich Anspielungen auf kosmische Vorgänge, die den Mond beträfen, und der Ewige Jude heiße auch deshalb:

       Chidher, das ist: der 'Grüne', aber das scheint mir Blech zu sein.

       Die Manie, alles, was man am Altertum nicht begreifen kann, als Lesart für Himmelszeichen zu deuten, ist heute

       wieder sehr beliebt, – eine Zeitlang hat sie gestockt, als ein witziger Franzose eine satirische Abhandlung schrieb:

       Napoleon hätte nie gelebt, auch er wäre ein Astralmythos, hieße eigentlich Apollon, der Sonnengott, und seine zwölf

       Generäle bedeuteten die zwölf Tierkreiszeichen.

       Ich glaube, die alten Mysterien haben viel gefährlicheres Wissen verborgen als das Wissen von Sonnenfinsternissen

       und Mondgezeiten, nämlich Dinge, die wirklich verborgen werden mußten; – Dinge, die man heute nicht mehr zu

       verbergen braucht, weil die dumme Menge sie, Gott sei Dank, sowieso nicht glauben würde und darüber lacht, –

       Dinge, die gleichen harmonischen Gesetzen gehorchen wie die Sternenwelt und dieser daher ähnlich sind. Nun, sei es,

       wie es mag, vorläufig schlagen die Gelehrten den Sack, ohne daß der Esel damit gemeint wäre."

       Hauberrisser war in tiefes Nachdenken versunken.

       "Was hältst du von den Juden überhaupt?" fragte er nach längerem Stillschweigen.

       "Hm. Was ich von ihnen halte? Durchschnittlich sind sie wie Raben ohne Federn. Unglaublich listig, schwarz,

       krummer Schnabel, und können nicht fliegen. Aber zuweilen kommen Adler unter ihnen vor, das ist keine Frage. Zum

       Beispiel Spinoza."

       "Du bist also nicht Antisemit?"

       "Fällt mir nicht im Schlaf ein. Schon deshalb nicht, weil ich die Christen für zu wenig wertvoll halte. Man wirf den

       Juden vor, sie hätten keine Ideale. Jedenfalls haben die Christen nur falsche. Die Juden übertreiben alles: Gesetze

       halten und Gesetze brechen, Frömmigkeit und Gottlosigkeit, Arbeiten und Faulenzen, bloß das Bergeklettern und das

       Wettrudern, das sie "Gojjim naches" nennen, übertreiben sie nicht, und vom Pathos halten sie nicht viel; die Christen

       übertreiben das Pathos und – hintertreiben so ziemlich den Rest. In Glaubenssachen sind mir die Juden zuviel Talmud,

       die Christen zu sehr Talmi."

       "Glaubst du, die Juden haben eine Mission?"

       "Freilich! Die Mission, sich selbst zu überwinden. Alles hat die Mission, sich selbst zu überwinden. Wer von andern

       überwunden wird, hat seine Mission verfehlt; wer seine Mission verfehlt, wird von andern überwunden. Wenn einer

       sich selbst überwindet, merken die andern nichts davon; wenn aber einer die andern überwindet, wird der Himmel –

       rot. Der Laie nennt diese 'Licht'erscheinung: Fortschritt. Ein Trottel hält ja auch bei einer Explosion das Feuerwerk für

       das Wesentliche. – Aber verzeih, ich muß jetzt abbrechen", schloß Pfeill und sah auf die Uhr, "erstens muß ich

       schleunigst nach Hause, und zweitens könnte ich auf die Dauer soviel Gescheitheit vor dir nicht verantworten. Also:

       'Servus' – wie die Österreicher sagen, wenn sie das Gegenteil meinen – und falls du Lust hast, besuch mich recht bald

       in Hilversum."

       Er legte ein Geldstück auf den Tisch für den Kellner, winkte seinem Freunde lächelnd einen Gruß zu und schritt

       hinaus.

       Hauberrisser bemühte sich, seine Gedanken in Ordnung zu bringen.

       "Träume ich denn noch immer?" fragte er sich voll Erstaunen. "Was war das? Zieht sich durch jedes Menschenleben

       ein solcher roter Faden merkwürdiger Zufälle, oder bin ich der einzige, dem derartige Dinge passieren? Greifen die

       Ringe der Geschehnisse vielleicht erst dann ineinander und bilden eine Kette, wenn man ihre Zusammenhänge nicht

       dadurch stört, daß man sich Pläne schafft, denen man tölpelhaft nachjagt und infolgedessen das Schicksal in einzelne

       Stücke reißt, die sonst ein fortlaufendes, wundersam gewebtes Band gebildet hätten?" –

       Aus alter ererbter Gewohnheit und den Erfahrungen gemäß, die er bisher im Leben für – scheinbar richtig befunden

       hatte, versuchte er, das gleichzeitige Auftauchen ein und desselben Bildes in seinem Gehirn und dem seines Freundes

       auf Gedankenübertragung zurückzuführen und damit zu erklären, aber die Theorie wollte sich diesmal nicht mit der

       Wirklichkeit decken wie sonst, wo er derlei Dinge auf die leichte Achsel genommen und sie möglichst rasch wieder zu

       vergessen getrachtet hatte. Pfeills Erinnerung an das olivgrün schimmernde Gesicht mit der schwarzen Binde über der

       Stirn hatte eine greifbare Grundlage gehabt: Ein Porträt, das angeblich in Leyden hing, – aber woraus war die

       Traumvision, ebenfalls von einem olivgrün schimmernden Gesicht mit einer schwarzen Binde über der Stirn, die er kurz

       vorher im Laden des Chidher Grün gehabt hatte, entsprossen?

       "Die Wiederkehr des seltsamen Namens 'Chidher' in dem kurzen Zeitraum von einer Stunde, – einmal als

       Firmenschild, dann als sagenhafte Bezeichnung für die Figur des Ewigen Juden, wunderbar genug ist es ja", sagte sich

       Hauberrisser, "aber es gibt wohl wenig Menschen, die nicht derartige Beobachtungen in Menge gemacht hätten.

       Woher es kommen mag, daß Namen, die man früher nie gehört hat, plötzlich serienweise auf einen losprasseln, daß

       ferner die Leute auf der Gasse, wie das so häufig