„Ihr habt ihn gefunden?“
Sie hatte ihr Auto vor Ramóns Versteck abgestellt, aber seine Handlanger hatten den Jeep weggeschafft, damit man sie nicht fand.
„Elia hat deinen Jeep beim städtischen Abschleppdienst ausfindig gemacht, wo er gelandet war, nachdem sie dein Biest im Parkverbot abgestellt hatten.“
»Mein Biest« – so nannte sie ihren Jeep liebevoll. Aber dass John sich noch daran erinnerte, berührte sie, denn es war Monate her, seit sie das ihm gegenüber erwähnt hatte.
„Ara hat ihn heute mit Vinz abgeholt. Die Schlüssel stecken.“
„Aber brauchte sie dazu nicht meine Unterschrift?“
John zwinkerte ihr zu und hatte wieder diesen spitzbübischen Ausdruck im Gesicht. Insgeheim liebte sie das, denn es zeigte ihr den verspielten Jungen in dem tödlichen Wächter.
„Elia hat deine Unterschrift eingescannt und Ara eine Vollmacht gezaubert. Ein gefälschter Ausweis hätte etwas länger gedauert. Wir dachten, das wäre in deinem Sinne.“
„Wow! Und wann bekomme ich die Waschmaschine, die ich nicht bestellt habe?“
John runzelte verwirrt die Stirn, während sie voller Vorfreude auf ihr rotes Biest zustrebte, doch dann lenkte er sie mit seinem Arm in eine andere Richtung.
„Heute nicht.“
„Warum? Ich liebe meinen Jeep! Nur hinter dem Steuer eines Hummers zu sitzen, würde mir noch mehr Spaß machen.“ Aber dafür müsste sie wohl noch drei weitere Bestseller schreiben und ihre mickrige Altersvorsorge auflösen.
Sie stellte ihren Protest ein, weil sie dachte, er würde einen UV-geschützten Wagen bevorzugen. Doch John führte sie zu einem schwarzen Mercedes Geländewagen, der weder blickdichte Scheiben noch einen abgetrennten Teil für Vampire hatte, also machte sie ihrem Unmut Luft.
„Ach so, meiner ist euch wohl nicht exklusiv genug, was?“
„Nein, aber der hier ist sicherer.“
Sie fand das ziemlich arrogant und schimpfte leise vor sich hin, während John ihr die Beifahrertür öffnete.
„Und wie macht ihr’s dieses Mal? Gibt’s gleich einen blutigen Kampf darum, wer mich ins Land der Träume schickt oder bekomme ich zur Abwechslung mal einen Sack über den Kopf?“
Quint saß bereits auf der Rückbank und fing an zu lachen, was nicht gerade oft vorkam. „Deine Frau hat Krallen wie eine Wildkatze, langsam gefällt sie mir.“
John hielt immer noch die Tür auf, seine Miene wurde ernst. „Weder das eine noch das andere.“
„Und was ist, wenn sie mich …“ Wieder gefangen nehmen? Sie durfte gar nicht daran denken.
Da John keine Anstalten machte zu antworteten, schaute sie fragend zu Quint, der geräuschvoll seine beiden Pistolen durchlud.
„Ganz einfach, liebe Lara. Unser John hier würde eher krepieren, bevor sie dich noch mal in die Finger kriegen. Deshalb komme ich ja mit.“
Sie versuchte, das unter Machogerede abzuhaken, doch ganz wohl war ihr bei dieser Aussage nicht.
„Wenn das so ist, kannst du auch mich fahren lassen.“
John wirkte nicht sonderlich begeistert, deshalb ergänzte sie bissig: „Du befindest dich im 21. Jahrhundert! Hast du etwa die Frauenbewegung verpasst?“
„Darum geht es nicht, aber man braucht ein bisschen Übung, um den zu fahren.“
Sie war drauf und dran zu explodieren und John musste das wohl gemerkt haben, denn er warf ihr den Schlüssel zu.
Quint auf der Rückbank pfiff erneut durch die Zähne.
„Ihre Krallen sind sehr scharf, John.“
„Klappe!“ Fast synchron brachten beide ihn zum Schweigen.
Lara bog gerade erst in die zweite Straße ein, wo der Verkehr etwas zunahm, da meinte John auch schon: „Schön Abstand halten, Lara.“
Sie schnaufte empört. „Ich bin keine Fahranfängerin mehr! Wenn du ein schlechter Beifahrer bist, geh nach hinten und lass dich von Quint auf Vampirart einschläfern.“
„Sie hat nicht nur scharfe Krallen, sondern auch Haare auf den Zähnen“, spottete Quint amüsiert von hinten.
„Klappe!“, tönte es wieder von beiden.
Sie ließ sich von John nicht beirren und hielt den gleichen Abstand, wie sie es immer tat. Als die nächste Ampel auf Rot umsprang, bremste sie wie gewohnt, aber der Mercedes schob sich dennoch mit enormer Kraft vorwärts.
„Mist!“ Entsetzt trat sie das Bremspedal ganz durch.
In Erwartung eines Aufpralls stützte sich John neben ihr bereits am Armaturenbrett ab und drückte ihren Oberkörper mit seinem anderen Arm in den Sitz.
„Gott sei Dank!“ Lara schloss kurz die Augen, als der Wagen ohne Aufprall zum Stehen kam. Das hätte ihr nach Johns Anspielungen gerade noch gefehlt! Neugierig beugte sie sich vor. Nur ganze drei Zentimeter trennten den Mercedes von der Stoßstange des vorderen Autos.
„Was zum Teufel ist mit den Bremsen los?“, fauchte sie.
„Mit den Bremsen ist alles in Ordnung, die sind sogar extra stark. Aber der Bremsweg ist natürlich länger, schließlich wiegt das Auto ganze vier Tonnen“, erklärte John in aller Seelenruhe.
„Vier Tonnen?! Willst du mich verschaukeln?“
Geduldig ließ er auf ihrer Seite das Fenster etwas herunter und sie staunte nicht schlecht. Die Scheibe war mehrere Zentimeter dick!
„Das macht die Panzerung“, erwähnte er, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.
„Das hättest du mir vorher sagen können!“
„Ich dachte, das wäre klar, als ich sagte, der hier wäre sicherer. Deshalb ist sein Fahrverhalten auch anders, weshalb man ein bisschen Übung braucht. Was ich dir ebenfalls sagte.“
Sie stöhnte entnervt, fuhr aber weiter, weil die Ampel umsprang.
„John, du solltest ihr die Sicherheitsverriegelung zeigen und den Schalter, um bei Gasangriff die Luftversorgung über die Pressluftflaschen einzuschalten.“
„Womit rechnet ihr sonst noch? Mit Napalm?“
Quint hob eine Braue. „Willst du das wirklich wissen?“
„Das reicht jetzt, Quint“, warnte ihn John, doch der fuhr ungerührt fort: „Weißt du, wie man eine Gasmaske anlegt?“
„Das, lieber Quint, beherrsche ich sogar im Schlaf!“
In den unzähligen, schlaflosen Nächten nach der Katastrophe hatte sie das geübt. Die Maske lag nun immer auf ihrem Beifahrersitz – ihre Art der Therapie, um zumindest wieder durch kurze Tunnel fahren zu können.
Damals, während des Tunnelbrands, hätte eine Gasmaske ihr Überleben gesichert. Ohne ein Wunder wäre der dicke, giftige Qualm, von dem sie bewusstlos geworden war, ihr Todesurteil gewesen. Ein Feuerwehrmann auf Urlaub hatte sie gefunden und zum nächsten Notausgang geschleift, der nur 15 Meter entfernt lag.
„Verdammt, Quint!“, schnauzte John, „Musst du auch noch Öl ins Feuer gießen?“
Den störte das aber nicht die Bohne. „Sicher ist sicher. Schließlich ist sie nur ein Mensch.“
„Jetzt reicht’s mir aber!“ Vor lauter Zorn hielt sie das Lenkrad so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. „Wir fahren doch nicht in ein Kriegsgebiet! Das ist nur mein Zuhause! Eine friedliche Mühle auf dem Land!“
„Das sind nur Vorsichtsmaßnahmen, Lara.“