Ein ganzes Ja. Luisa Sturm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Luisa Sturm
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738066098
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müssen wir jetzt gehen? Es ist gerade mal Mitternacht. Meine Eltern haben mir heute ausnahmsweise erlaubt, bis eins zu bleiben.“

      „Er hätte dich beinahe geküsst!“ Wütend steigen wir beide ein und Erik lässt den alten, dunkelgrünen BMW an.

      „Ich habe mich so auf dich gefreut. Heute Abend war verdammt viel los, die totale Hektik. Danach musste ich noch Kasse machen. Endlich bin ich bei dir und als Erstes sehe ich diesen Typen aus deinem Jahrgang, wie er …“

      „Du hast das in den falschen Hals bekommen. Robert weiß doch, dass wir zusammen sind! Er war halt angetrunken! Und jetzt lass mich sofort wieder aussteigen! Halt an!“

      „Nein, wir fahren nach Hause.“

      „Halt das verdammte Auto an!“

      „Nein, ich möchte jetzt nach Hause fahren. Mir ist die Lust auf Party machen völlig vergangen. Es tut mir leid, Becca, ich weiß, du wolltest Spaß haben und tanzen.“

      „Bitte halt endlich an!“

      „Nein.“ Das letzte ‚Nein’ kommt jetzt ruhiger und er blickt stur geradeaus. Er tritt aufs Gaspedal, die Felder ziehen im Dunkeln an uns vorbei und ich wüsste zu gern, was er wohl denkt. Irgendwann dreht er das Radio auf. Es läuft schon wieder ‚Losing My Religion’! Ich möchte vor lauter Wut schreien und beiße mir auf die Innenseiten meiner Wangen. Mir ist heiß und unwohl und ich könnte aus der Haut fahren.

      Irgendwann legt Erik seine Hand auf meinen Oberschenkel. Wie kann er es wagen! Am liebsten würde ich sie brutal wegschieben, aber ich kann nicht. Seine Berührung fühlt sich gut an, warm und vertraut. Wieso reagiert mein Körper so extrem auf seine Berührungen? Das ist völlig unpassend, aber seine Hand schickt kleine Stromschläge durch meinen Bauch. Ich kämpfe dagegen an. Zwecklos. Es wird immer schlimmer. Ich halte diese Spannung kaum aus! Ich muss etwas tun.

      „Erik?“, frage ich nervös, ohne ihn anzusehen.

      „Ja?“ Seine Stimme klingt zärtlich, aber an seinem Ausdruck hat sich nichts verändert.

      „Halt an und küss mich.“

      Erst jetzt dreht er den Kopf zu mir herüber, verzieht aber keine Miene und wirkt ungerührt. Ruckartig tritt er auf die Bremse, setzt den Blinker und fährt auf einen verlassenen Feldweg, genau zwischen zwei Maisfelder. Mein Herz schlägt wild gegen meine Rippen, gleichzeitig bin ich immer noch extrem wütend auf ihn.

      Sein Blick weicher, viel weicher. So weich und heiß wie eine volle Tasse Schokolade. „Gut, genau das möchte ich auch, Baby.“ Seine Stimme ist dunkel und fest, aber voller Verlangen. Erik beugt sich zu mir herüber und seine Lippen treffen meine. Heftig und wild. Ein großer Schauder überfällt mich und hält mich gefangen wie das Seil eines gordischen Knotens, der sich nie wieder lösen lässt.

      Viele Augenblicke später fährt Erik wieder los. Meine Wut ist gänzlich verraucht und dieses Mal lehne ich mich an seine Schulter. Geborgen und sicher.

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      „Und du meinst, Orange ist die richtige Farbe?“ Bille lackiert sich die Fingernägel, sitzt im Schneidersitz auf dem Bett und sieht mich fragend an. Orange ist nicht gerade meine Lieblingsfarbe, aber das würde ich Bille nicht sagen. In diesem Punkt ist sie zu sensibel.

      „Ja, Orange ist cool!“, lüge ich deshalb.

      Bille spreizt ihre Finger aus und betrachtet ihr Werk, während sie gleichzeitig auf ihre Nägel pustet.

      „Jetzt bist du also die Freundin eines Offiziersanwärters“, sagt Bille hochoffiziell und blickt mich staatstragend an.

      „Ja. Erik hat die Aufnahmeprüfungen alle bestanden.“

      „Tja, und jetzt?“

      „Seine blaue Luftwaffenuniform steht ihm ziemlich gut. Ich weiß nicht warum, aber so eine Uniform ist wirklich anziehend. Bei seiner Vereidigung stand er mit vielen Soldaten in einer Reihe und wirkte so stolz, weil er endlich die Ausbildung zum Jetpiloten machen kann. Maria und Conrad haben mich mitgenommen. Er hat sich wahnsinnig gefreut.“

      „Hat der Bund ihn schon irgendwie verändert?“

      „Charakterlich nicht, nur seine Haare! Ratzeputz kurz haben sie sie geschoren. Er sieht wirklich anders aus, aber gut.“

      „So wie in Top Gun?“

      „Ja genau so! Er sieht exakt so aus wie einer dieser Jetpiloten. Und Top Gun ist sein absoluter Lieblingsfilm. Ich musste ihn schon mindestens sechs Mal mit ihm ansehen. Inzwischen kann ich die meisten Passagen synchron mitsprechen.”

      „Mustang, hier ist Maverick mit der Bitte um Überflug.“

      „Negativ, Ghostrider, der Luftraum ist voll.“

      „Goose, du toller Hengst, schaff mich ins Bett oder ich wechsle das Revier.“

      Danach spiele ich ihr den Ausschnitt von der ersten Flugbesprechung vor, wie die blonde, sexy Ausbilderin den Gebrauch des Mittelfingers diskutiert.

      Bille bekommt einen langen, hysterischen Lachanfall. „Oh je, du Arme!“

      Ich grinse kurz zurück, zucke mit den Schultern und schaue dann nachdenklich aus dem Fenster.

      „Hey, Becca, was ist?“

      „Auf der Schlossbergkeller Party ist etwas passiert, das mich verwirrt.“

      Bille nimmt besorgt meine Hand. „Was hast du denn? Was Schlimmes?“

      Meine Stimme ist ganz leise. „Robert hat kurz seine Arme um mich geschlungen.“

      „Habe ich gesehen. Ja und?“

      „Ich fand das Gefühl toll.“

      „Aber du stehst doch nicht auf ihn?“

      „Nein! Um Gottes Willen! Gar nicht. Das ist es ja! Aber warum hat es mir trotzdem gefallen?“

      „Vielleicht weil du noch nie etwas mit einem anderen hattest? Vielleicht musst du dich austoben?“

      „Nein, das ist es nicht“, wehre ich sofort ab.

      „Du und Erik, ihr seid seit über zwei Jahren zusammen. Er wohnt bei euch. Ich meine, er ist tatsächlich bei euch eingezogen. Mit Schrank und Ordnern und Pullis und allem Drum und Dran. Erik repariert die kaputten Küchenregale deiner Mum, kocht für alle Nudelauflauf und geht mit deinem Pa in den Baumarkt. Und ja, er bringt dich zum Lachen. Aber euch gibt es nur im Doppelpack. Es gibt kein anderes Thema als ihn! Erik, Erik, Erik! Du bist 17 und lebst wie in einer Ehe. Und wenn wir Freundinnen weggehen, klinkst du dich immer aus.“

      „Aber das stimmt doch gar nicht!“

      „Oh doch, das stimmt!“

      „So ein Quatsch“, zische ich wütend und springe auf. „Du übertreibst!“

      Bille bleibt sitzen, dreht den Nagellack zu und sagt: „Ihr seid viel zu eng! Ja, er ist ein toller Freund, aber es ist ein Wunder, dass ihr dem Anderen überhaupt erlaubt, allein zu atmen.“

      „Allein zu atmen? Das ist nicht wahr! Spinnst du? Nimm das zurück!“

      „Tut mir leid, Becca, aber genau so ist es.“ Jetzt steht sie demonstrativ auf, ihr Kinn in die Höhe gereckt, packt die schmutzigen und stinkenden Nagellack-Wattebäusche und rauscht aus ihrem Zimmer.

      Ich bleibe aufgewühlt, aber auch ein bisschen verwirrt zurück. Quatsch, sie hat Unrecht, das ist überhaupt nicht wahr! Aber gut, ich werde ihr hinterherlaufen. Sie beruhigt sich schon wieder. Erik und ich, wir sind … Meine Gedanken verheddern sich. Ein seltsames Gefühl überkommt mich, wie ein unheilvoller böiger Wind, der einem um die Beine streicht, kurz bevor der Himmel gewitterschwarz wird.

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      „Na, stehst du wieder im Gang mit