Blut für Gold. Billy Remie. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Billy Remie
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752923964
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Wind und Nieselregen entgegen, wie es für Phillin Burgh üblich war, und der Morgen gewann gerade erst an Farbe, dichter Dunst stand in den Straßen über dem alles einnehmenden, schwarzen Stein, aus dem die Stadt erbaut war.

      Seit die Stadtwacht ins Haus eingedrungen war, war nicht so viel Zeit vergangen, wie es sich für ihn angefühlt hatte.

      Darcar warf einen Blick nach unten – und fluchte unterdrückt. Das war höher, als er gedacht hatte. Er würde es bestimmt schaffen, aber nicht mit Evi auf dem Arm.

      Schritte vor der Tür, jemand rüttelte an ihr, erst probehaft, dann kräftiger. Veland zuckte erschrocken zusammen. Darcar zog ihn an der Schulter zu sich.

      »Nimm Evi, ich gehe zuerst, dann springst du und ich fange euch auf!«, erklärte er.

      »Nein!«, rief Veland und drückte ihm Everett zurück an die Brust. Der Kleine fing durch die grobe Behandlung an zu weinen, spürte instinktiv, dass um ihn herum gerade ihre ganze Welt zusammenbrach, und seine Brüder Angst hatten. »Pa! Pa!«, weinte Everett. Es war das einzige Wort, das er bis zu diesem Moment je gesagt hatte.

      »Du darfst mich nicht allein lassen!«, flehte Veland aufgelöst, »Darc! Du darfst uns nicht allein lassen!«

      »V! Ich muss euch auffangen, es ist zu hoch!« Er rief die Worte aufgebracht in das Gesicht seines panischen Bruders, der daraufhin auf die Lippe biss, um nicht zu weinen. Darcar würde sich hinterher entschuldigen, gerade verlor er etwas die Geduld; hatte selbst Angst und wusste nicht, was er eigentlich tun sollte.

      Vor der Tür wurden Rufe laut. »Aufmachen! Sofort!« Sich leise zu verhalten war jetzt unnötig, sie würden diese Tür aufbrechen. Schon rumste es lautstark, als mindestens einer der Uniformierten mit der Schulter dagegen rannte. Magdas Stimme mischte sich unter den Lärm: »Lasst sie in Ruhe! Es sind doch nur Kinder! Lasst sie gefälligst in Ruhe! So habt doch ein Herz!«

      »Nimm ihn jetzt!« Darcar drückte den weinenden Evi nachdrücklich in Velands Arme, der von dem Chaos vor der Tür kurz abgelenkt war, und drehte sich zum Fenster um, ehe sein Bruder sich erneut weigern konnte.

      Doch als Darcar auf das Fensterbrett steigen wollte, bemerkte er unten etwas im Vorgarten. Fluchend ließ er sich fallen und duckte sich unter das Fenster, packte Veland und riss ihn zu sich.

      »Was?«, wimmerte Veland verwirrt. »Was ist los?«

      Darcar schüttelte nur mit grimmiger Miene den Kopf und presste seine Brüder an sich. Er wollte ihnen nicht sagen, dass Scharfschützen auf das Fenster zielten. Wollte sie nicht verstören. Ihr Leben lang – so kurz es auch gewesen sein mochte – hatten sie beigebracht bekommen, dass die Männer der Stadtwacht ihre Beschützer, ihre Helfer waren. Am heutigen Tage wurden sie zu ihrem schlimmsten Feind, und das nur, weil ihr Vater all sein Geld verloren hatte.

      Darcar war sich nicht sicher, ob die Schützen sie nur festhalten sollten, oder ob diese Mistkerle wirklich abdrücken würden. Er wäre das Risiko eingegangen, wäre er allein.

      »Darc, wir müssen fliehen!« Veland riss an seinem Hemd. »Wir müssen fliehen, Darc!«

      Darcar schüttelte erneut den Kopf, presste Veland an sich und grub die Nase in sein weiches Haar, das nach Keksen und Kaminfeuer duftete. »Das geht nicht, V.« Er schloss die Augen. »Es tut mir so leid, so leid…«

      Er wusste nicht, was er tun sollte, er wusste gar nichts mehr. Ein Gefühl der Leere breitete sich in ihm aus, er wollte doch tatsächlich weinen, sehnte sich nach jemandem, der ihm sagte, was zu tun war. Jemand, der ihn rettete. Er war doch auch nur ein Kind!

      Doch dann kam die Wut und sein Trotz zu tage. Denn er wollte nicht schwach sein, nicht verzweifeln. Er sprang auf und zückte das Küchenmesser, beschützend stellte er sich vor seine Brüder. Er wusste, dass er nicht alle überwältigen konnte, aber sie würden ihn nicht kampflos bekommen. Und auch nicht seine Brüder.

      Die Tür brach mit einem lauten Knall und krachte schwungvoll gegen die Wand. »Auf den Boden!«, brüllten dunkle Stimmen. »Lass das Messer fallen!« Unwillkürlich zuckte Darcar zusammen, aber als er die ersten drei Männer in ihren dunkelblauen Uniformen und den eimerförmigen Hüten sah, die nur mit Knüppeln, statt mit Schusswaffen auf ihn zutraten, gewann er an Mut. Er stürzte sich auf die Männer, Magda schrie im Türrahmen überrascht auf, Veland kreischte Darcars Namen. Es ging schnell, beinahe zu schnell. Blindlings stach er zu, schlitzte einem ausweichendem Uniformierten den Ärmel auf, Wolle quoll hervor. Als er erneut ausholte, packte ihn ein anderer am Handgelenk und verdrehte ihm schmerzhaft den Arm auf den Rücken, wodurch er sich aufschreiend nach vorne krümmte und die Finger öffnete. Er verlor das Messer. Und diese Typen waren jetzt wütend.

      »Darc!«, brüllte Veland verzweifelt, als Darcar von einem Knüppel im Nacken getroffen und zu Boden geworfen wurde. Für einen Moment drehte sich alles und ein helles Klingeln dröhnte in seinen Ohren, er sah nur verschwommen, und sein Magen drehte sich um. Dabei spürte er zunächst keinen Schmerz, das Adrenalin in seinem Blut verhinderte das, jedoch spürte er, wie ihm etwas Warmes in den Nacken floss.

      Sie traten und knüppelte auf ihn ein, instinktiv krümmte er sich zusammen. Es dauerte nicht lange, sie wollten ihn nicht töten, nur niederprügeln. Magda riss an einem der Kerle, der sie so grob wegstieß, dass sie zu Boden stürzte. Zwei andere rissen Veland und Everett auseinander. Wie benommen konnte Darcar nur machtlos zusehen, wie denen, die er liebte, wehgetan wurde, spürte und sah die Angst seiner Brüder – und konnte nichts tun.

      »Bringt sie raus.« Der Kommandant erschien wieder in der Tür, winkte sie ungehalten aus dem Raum.

      Jemand packte Darcar ins Haar und riss ihn brutal auf die Beine. Er schrie auf, stolperte hinter dem Wachtmeister her, der ihn über den Flur und dann die Treppe hinunterzog. Trotz Schmerz, trotz Wut, versuchte er, sich nach seinen Brüdern umzusehen. Veland war am Arm gepackt, schluchzte, aber lief brav mit. Everett wurde zumindest auf den Arm genommen, aber er kreischte lauthals und sein Kopf war bereits ganz rot.

      Draußen vor dem schwarzen Gitter hatten sich ein paar Schaulustige versammelt, die zu dieser frühen Stunde bereits unterwegs gewesen waren. Darcar hatte keine Augen für sie, er erblickte nur das Chaos. All ihre Sachen, Kleider, Schmuck- und Kunststücke, die seiner Mutter gehört hatten, alles aus dem Haus war achtlos im Vorgarten verteilt worden, wie üblich bei einer Räumung. Die Wachtmaster würden sich gewiss noch ein paar wertvolle Dinge einstecken und den Rest dann verbrennen. Darcar überkam ein seltsames Gefühl des Unglaubens, als er daran dachte, dass alles, was sie je besessen hatte, zu Asche verbrannt wurde. In diesem Moment, als er am Haar aus seinem eigenen Haus geschliffen wurde, wusste er mit einer Endgültigkeit, dass nichts mehr so sein würde wie je zuvor, dass ihm übel und kalt zugleich wurde. Er fühlte sich, als würde er in einen tiefen, schwarzen Abgrund stürzen. Er fiel… und fiel … und fiel…

      Und als wäre der Schmerz nicht schon groß genug, warf man ihn auf den Rasen, durchsuchte ihn von Kopf bis Fuß und riss ihm das Medaillon mit dem Bild seiner Mutter vom Hals. Er versuchte, sich zu wehren, tobte und klammerte verzweifelt die Faust um die Kette. Er weinte nun doch, teils aus Wut, teils aus Trauer, es war ihm gleich, was man von ihm hielt. Er konnte es nicht ertragen, dass ihm das Einzige, was ihm von seiner Mutter geblieben war, weggenommen wurde.

      Sie schlugen ihm mit den Knüppeln auf die Arme, bis er losließ und sich schmerzerfüllt und heulend im Gras krümmte. Irgendwo schluchzte Veland seinen Namen, aber er konnte seinen Bruder jetzt nicht ansehen, sich sein Versagen nicht vor Augen führen.

      Zum ersten Mal wusste er, was es hieß, wirklich allein zu sein.

      »Genug!«, ertönte plötzlich eine erboste, bekannte Stimme. »Ja seid ihr denn von Sinnen? Habt ihr kein Mitgefühl, ihr Tiere?! Das sind Kinder!«

      Tränenverschmiert hob Darcar den Blick. Der Sheriff trat durch das Tor und gebot seinen Männern Einhalt. Für einen Moment glaubte Darcar, sie seien gerettet, doch dann hörte er Vic sagen: »Ihr hättet ihnen wenigstens ihre Würde lassen können! Es ist schon schlimm genug für sie!«

      »Vic…«, wimmerte Darcar. Doch er wusste, dass selbst der Sheriff sie nicht retten konnte.

      Der