In Phillin Burgh regierte das Geld und der Gewinn, auf Kosten der Moral und der Menschlichkeit. Das hatte seine Mutter einst gesagt, Darcar hatte es nicht vergessen, und jetzt fiel ihm die Bedeutung dieser Worte wie Schuppen von den Augen.
Jemand hatte den Wald zerstört, um es seinem Vater anzuhängen. Zwei Fliegen auf einen Streich.
Aber wieso? Was sollten sie davon haben? Warum sollte jemand seinem Vater etwas Böses wollen, ihm gehörte die Bahngesellschaft! Sie brauchten ihn, um die Gleise zu verlegen! Das ergab doch alles keinen Sinn.
»Der Rat wird wissen, dass nicht Ihr daran schuld wart«, versuchte Magda, Darcars Vater zu beruhigen.
Aber dieser war sich dessen weniger sicher. »Der Rat wird eine Untersuchung einleiten und nur wissen, dass Kenneth mein Stellvertreter ist. Er braucht nur zu behaupten, dass ich ihm den Auftrag gab, und er wird sich auf das Recht der Straffreiheit beziehen, weil er auf Wunsch seines Vorgesetzten handelte. Er wird behaupten, ich hätte ihn mit vorgehaltener Waffe gezwungen, den Wald roden zu lassen. Oder sie kaufen sich ein paar Leute im Rat, ich…«
»Vater?« Darcar hielt es nicht mehr im Schatten aus und trat in den Lichtschein.
Erschrocken fuhren die Erwachsenen am Tisch herum, das Gesicht seines Vaters war eine grauenhafte Maske aus müdem und fahlem Fleisch. Er sah älter aus, obwohl Darcar ihn doch erst am Morgen gesehen hatte.
»Darc, warum bist du noch auf?« Leichter Tadel klang in der Stimme seines Vaters mit, aber kein echter Zorn.
»Ich habe auf dich warten wollen«, erklärte Darcar und trat mit besorgter Miene an den Tisch. »Was ist geschehen?«, fragte er, seine Augen zuckten von Magda zu seinem Vater, immer hin und her.
Ein matter Seufzer entkam seinem Vater, als er ihm bedeutete, sich zu setzen. »Komm, Junge, trink was mit deinem alten Herrn.« Er fuhr sich mit der Hand über das braune, schüttere Haar.
Magda stand auf, als wollte sie ihnen Privatsphäre geben, drehte sich jedoch nur zum Herd um, wo sie Spülwasser in einem Topf erhitzte.
»Was ist los?«, drängte Darcar seinen Vater, als er sich zu ihm setzte.
»Ach …« Dieser schüttelte den Kopf, während er seinem Sohn ein Glas Brandy eingoss. »Nichts, nur langweilige Politik. Hier, trink.«
Er schob ihm das Glas unter die Nase, Darcar starrte in die braune Flüssigkeit, ihr Geruch brannte auf seinen Schleimhäuten. »Du hast gesagt, ich bin zu jung, zum Trinken.«
»Habe ich?« Er kippte den Inhalt seines Glases in einem Zug hinunter und lächelte Darcar anschließend warm an. »Nun, heute nicht. Ein Glas erlaube ich dir. Den ersten Schluck Brandy sollte man immer mit dem Vater trinken.«
Darcar umfasste mit ungutem Gefühl das Glas, hob es aber nicht zum Mund. »Etwas Schlimmes wird passieren, oder? Was ist mit dem Wald? Ich habe dich darüber mit Magda sprechen hören.«
»Habe ich dir nicht gesagt, du sollst nicht lauschen?«, konterte sein Vater ein wenig säuerlich.
Darcar sah zu, wie er sich ein drittes Glas einschenkte. »Du hast auch gesagt, Alkohol macht uns zu Tölpeln.«
Sein Vater stellte das Glas wieder ab, ohne davon getrunken zu haben, und verengte mit liebevollem Spott die Augen. Aber da funkelte auch Stolz im Blick seines Vaters, auf den sich Darcar immer viel eingebildet hatte. In jener Nacht machte er ihm jedoch Angst.
»Vater, bitte!« Darcar langte über den Tisch und drückte seines Vaters Arm. »Ich weiß, dass etwas nicht stimmt.«
Sein Vater nickte auf das Glas. »Trink, Darc! Trink dein erstes Glas mit mir. So hat es mein Vater mit mir gemacht, und sein Vater mit ihm, tu mir den Gefallen.«
Darcar zog seine Hände zurück, starrte in sein Glas und nahm es anschließend mit schwermütigem Blick. »Warum ist das jetzt wichtig?«
Er erhielt keine Antwort.
»Auf die Familie, Erstgeborener, auf die Dynastie.« Sein Vater hob das Glas und lächelte müde. »Mach Schweiß zu Geld und Blut zu Gold.«
Auch Darcar hob sein Glas und stieß notgedrungen mit seinem Vater an, da es ihm wichtig schien. Er wiederholte den Leitspruch ihrer Stadt: »Schweiß zu Geld und Blut zu Gold.«
Sie tranken, der Brandy war scheußlich, aber Darcar würgte ihn herunter und musste sofort husten. Magda lächelte über die Schulter, und sein Vater schlug Darcar lachend auf den Rücken. »So ist es recht, mein Sohn, so ist es recht.«
Er würde nie wieder trinken, es sei denn, sein Vater würde ihn darum bitten. Nie wieder, schwor er sich, während ihm Tränen in seine Augen stiegen. Gleichzeitig genoss er die aufkommende Wärme in seinem Bauch, die sich glühend wie ein anheimelndes Feuer in seinen Gliedmaßen ausbreitete.
Plötzlich tätschelte sein Vater ihm liebevoll die Wange, verwundert sah Darcar auf.
»Du siehst deiner Mutter ja so ähnlich, mein Junge, das gleiche schwarze Haar, die gleichen braunen Augen, die gleiche unverfrorene Klugheit. Ich vermisse sie sehr, das weißt du, ja?«
Darcar war es unangenehm, über sie zu sprechen, weil er den Schmerz in den Augen seines Vaters nicht ertrug. Er erinnerte ihn an das, was sie verloren hatten, sie alle. »Ich weiß, Vater«, gab er mit belegter Stimme zurück.
»Meine Heirat mit Ilona hat dich unglücklich gemacht, aber…«
Darcar sah wütend zur Seite.
»Aber nach dem Tod deiner Mutter verlor ich die Gunst ihrer Familie. Du weißt, sie gaben mir die Schuld für …«
»Es war nicht deine Schuld«, presste Darcar durch die Zähne. Er hasste seine Großeltern, schon vor dem Tod seiner Mutter. Geld war ihnen immer am wichtigsten es waren kalte Menschen, die seinen Vater kalt behandelt hatten. Darcar mochte sie nicht, er hatte mit der Familie seiner Mutter nie viel zu tun gehabt.
Sein Vater atmete vernehmbar aus, dann nahm er die Hand von Darcars Wange. »Wir hatten Schulden, nach der Abfindung, die ich deinem Großvater zahlen musste. Und Ilonas Familie ist reich, ich hatte keine andere Wahl, ich hätte viele gute Menschen entlassen müssen, um uns über Wasser zu halten. Das konnte ich ihnen doch nicht antun, ihre Familien hätten gehungert.«
Sicher hatte es noch einen anderen Grund für die Hochzeit gegeben, Ilona war die stadtbekannte schönste Frau – und sein Vater war einsam gewesen, auf der Suche nach Trost. Da war seine Mutter noch nicht lange unter der Erde gewesen. Doch das versuchte Darcar, ihm zu verzeihen.
Darcar nickte nur. Was sollte er auch dazu sagen? Seine Stiefmutter war für seinen Vater viel zu jung und nur auf sein Geschäft aus, sie hatte sogar Darcar und seine Brüder aus dem Elternhaus verbannt, weil sie angeblich von ihnen krank wurde. Es war ihr zu viel Aufregung, sich um drei Kinder zu sorgen, obwohl Magda sich doch um sie kümmerte.
Diese Heirat war ein Fehler gewesen, und irgendwann würde Darcar seinen Vater dazu bewegen, sie rückgängig zu machen.
Aber zunächst standen ihnen andere Probleme ins Haus.
Wie auf ein Stichwort hin, sagte sein Vater plötzlich nachdenklich. »Du passt auf deine Brüder auf, Darc, ja? Gleich, was noch geschieht, du bist ihr großer Bruder und für sie verantwortlich. Pass immer auf sie auf, selbst wenn ich nicht mehr bin.«
Darcar