Blut für Gold. Billy Remie. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Billy Remie
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752923964
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auf ein paar leere Schnapsflaschen ausgeräumt. Eine alte Kasse war längst geplündert. Ein Türbogen führte in die Küche, sie besaß ein Fenster über dem qualmenden Ofen, ein Eintopf kochte über dem Feuer. Auf der anderen Seite führte eine Treppe hinauf, sie war mit Staub bedeckt und oben schien es stockfinster zu sein, da Elmer die Fenster abgehängt hatte.

      Im Laden stand die Tür offen und gab den Blick auf die Straße frei. Es war wie immer ein verhangener Tag, gräulich, aber hell, es lag noch etwas Tau auf den Dächern, doch der milde Wind hatte den Frost auf den Pflastersteinen vertrieben.

      Elmer saß draußen auf dem Stuhl vor der Tür, auf dem Darcar ihn zum ersten Mal vor einigen Nächten getroffen hatte, bevor er vor ihm geflüchtet war. Sein kehliges Lachen erschall in der Morgendämmerung und verursachte ein seltsames Nachbeben in Darcars Brust.

      »Was ist so lustig?«, fragte er, als er hinaustrat und Elmers Blick folgte. Es ging ein heftiger Wind, den Darcar erst draußen wahrnahm, lautstark rauschte er durch die Ruinen, war mehr ein dunkles Dröhnen als ein Pfeifen, als ob ein Riese sich über das Elendsviertel gebeugt und hineingestöhnt hätte. Die Böen hatten die Schneewolken und die eiskalte Luft davongeblasen. Darcar wurde von einem Wind getroffen, der ihn deutlichspürbar zur Seite drückte.

      Er brauchte nicht fragen, was Elmer so amüsierte, am Rande des Kanals entdeckte er Veland, der stolpernd eine Kordel festhielt. Er ließ einen grünen Drachen steigen und hatte sichtlich Freude dabei, obwohl der Wind und das schwebende Fluggerät ihn wie ein Blatt über die Straße wehten, immer hin und her. Sein haselnussbraunes Haar war verwüstet, er lachte aus purer Freude.

      »Ich dachte, er könnte etwas Spaß vertragen«, erklärte Elmer. Und für das, was er für Veland getan hatte, respektierte Darcar ihn umso mehr.

      Deutlich mehr, wobei er befürchtete, dass ihm das nicht guttat. Wie so oft seit einiger Zeit.

      »Darc!«, rief Veland breit lachend, als er seinen Bruder am Haus bemerkte. »Schau mal, was Elmer für mich gebastelt hat! Schaust du? Siehst du es? Warte, ich halte ihn … oh… das ist… oh…«

      Er wurde ein paar Schritte über die Straße gezerrt, als er versuchte, den Drachen unter Kontrolle zu bekommen.

      Darcar machte einen erschrockenen Schritt auf ihn zu. »Pass auf, V! Das ist gefährlich! Komm lieber ins Haus-«

      »Lass ihn doch«, fiel Elmer ihm ins Wort.

      Mit einem giftigen Blick fuhr Darcar zu ihm herum. »Er könnte in den Kanal fallen!«

      »Das wird nicht passieren!«

      »Das weißt du nicht!«

      »Vertrau ihm doch mal!«

      Das brachte Darcar zum Verstummen. Sorgenvoll sah er wieder hinüber zu Veland, der mit aller Kraft versuchte, den Drachen zu bändigen. Beinahe wirkte es, als ob das Gerüst aus Stöcken, Stoff und Kordel tatsächlich lebendig wäre und versuchte, in die Lüfte zu steigen. Doch Veland schaffte es, ihn ruhig zu halten und vom Kanal weg zu gehen.

      Darcar atmete mit geschürzten Lippen aus, es fiel ihm unheimlich schwer, V nicht zu bemuttern.

      »Er hat ihn Darci getauft«, verriet Elmer ihm. Verwundert sah Darcar ihn an, Wärme erfüllte ihn, als er das hörte, auch ein kleines Lächeln schlich sich auf seine Züge. »Er hängt sehr an dir«, bemerkte Elmer mit einem warmen Lächeln.

      Darcar blickte wieder hinüber zu seinem Bruder, der sich nun über die Schulter blickte, um zu überprüfen, ob sie ihm auch zusahen, er lachte glücklich.

      »Und ich an ihm«, gestand Darcar bewegt.

      »Du kannst ihn nicht vor allem beschützen«, riet ihm Elmer plötzlich ernst, »er muss lernen, zu überleben. Was soll er sonst tun, solltest du nicht mehr da sein?«

      »Ich werde immer für ihn da sein!«, warf Darcar ein und blickte Elmer entschlossen an.

      Doch dieser lächelte entschuldigend. »Das hast du doch gar nicht in der Hand, Darcar. Außerdem bist du viel älter. Sie werden dich früher holen als ihn.«

      »Wie meinst du das?«, fragte er irritiert. »Holen?«

      Elmer lehnte sich mit den Armen auf die Schenkel, in seiner Hand hielt er eine dampfende Tasse, ebenso wie Darcar, der seinen Becher mit allen zehn Fingern umfasst hielt, um sie warm zu halten.

      »Hier leben nur Kinder, nur Jungen«, erklärte Elmer. »Das weißt du doch sicher.« Darcar nickte stumm, jeder wusste das. »Was glaubst du denn, was passiert, wenn man zu alt wird? Alle drei bis fünf Jahre kommt die Armee und räuchert hier alle Löcher aus, sie nehmen die ältesten Burschen mit, zwischen achtzehn und fünfundzwanzig Jahren. Je nachdem wie stark man ist. Manche werden Sklaven auf Militärdampfern und schippen Kohle in die Brennöfen, andere müssen an der Front und gegen die Wilden kämpfen, und wenn du für gar nichts zu gebrauchen bist, schmeißen sie dich auf eine einsame Insel, tausende von Seemeilen entfernt in Richtung Süden. Zumindest sagt man das so.«

      Darcars Herz geriet in Aufruhr. Einerseits könnte man ihn in drei Jahren von V wegreißen, andererseits wusste er nun, dass es einen Weg gab, von hier wegzukommen. Wenn er sich nur lange genug versteckte, könnten er und V von der Armee geholt werden.

      »Gibt es hier nur Jungen?«, fragte Darcar nachdenklich.

      Elmer nickte. »Selbstverständlich. Das ist ja der Grund für… Hennings… Na ja.«

      »Hat er dich…?« Darcar rutschte die Frage halb heraus, er war zu neugierig, das spürte er sofort. Er sprach nicht weiter, und Elmer schwieg dazu.

      Darcar wandte den Blick ab, sah wieder hinüber zu Veland, winkte ihm zu.

      Nachdem Elmer eine Weile seine Fußspitzen angestarrt hatte, hob er tief durchatmend wieder den Blick. »Hab euch letzte Nacht gesehen.«

      »Und?« Darcar wusste wirklich nicht, worauf er hinauswollte.

      Elmers Blick lag starr auf Darcars Profil. »Küsst du ihn immer so?«

      »So?« Verwundert sah er den anderen wieder an. »Wie ist denn so

      »Auf den Mund.« Elmer betrachtete ihn verwirrt.

      Aber Darcar zuckte nur mit den Schultern. »Ja.«

      »Das ist…« Elmer schüttelte den Kopf, sah zu Veland. »Das ist seltsam. Das solltest du nicht tun.«

      Irgendetwas zog sich in Darcars Magengegend wieder zusammen, Verärgerung stieg in ihm auf.

      »Was soll das bedeuten? Und was geht es dich an? Er ist mein Bruder, ich darf ihn ja wohl küssen!« Elmer konnte es nicht wissen, aber diese Worte hörte Darcar nicht zum ersten Mal, wenn auch in einem anderen Zusammenhang. Du bist nicht normal! Das ist unnatürlich! Du bist widerwärtig…

      Aber bisher hatte sich noch niemand darüber gewundert, dass er Veland küsste. Er hatte auch Evi geküsst. Sie waren seine Brüder. Und er hatte das von seinen Eltern, sein Vater und ebenso seine Mutter hatten ihm und V immer einen Schmatzer gegeben. Er verstand absolut nicht, was Elmer daran missfallen könnte.

      Elmer verzog die Lippen. »Ich weiß ja nicht. Ich hatte auch Brüder, aber wir haben uns nie geküsst. Das ist irgendwie… nicht normal.«

      »Was weißt du schon davon, was normal ist?«, giftete Darcar, er wollte sich die Verbindung zu seinem Bruder nicht schlecht reden lassen. »Was gibt dir das Recht, über uns zu urteilen? Nicht normal?! Was ist denn deiner Meinung nach normal? Wenn ich ihm grob auf die Schulter klopfe wie einem Hund? Glaubst du, das tröstet ihn? Ist das normal? Er ist mein Bruder, und für uns ist das, was wir tun, schon immer normal gewesen! Ich küsse ihn, er küsst mich, wir haben uns eben lieb!«

      Sie starrten sich an, Darcars Augen glitzerten gefährlich und er hätte Elmer zu gerne noch ein paar harsche Worte an den Kopf geworfen, doch diese grünen Augen bezähmten ihn auf eine Art, die ihm noch weniger gefiel als das, was er zu ihm gesagt hatte. Er drehte das Gesicht zur Seite.

      Da lenkte Elmer ein, atmete geräuschvoll aus.