Schulsozialarbeit. Karsten Speck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karsten Speck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846358702
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erwiesen sich die Bildungsreformdebatten Ende 1960er Jahre, der gestiegene Betreuungsaufwand im Freizeitbereich an Schulen sowie der wahrgenommene Zuwachs an Problemen und Verhaltensauffälligkeiten bei SchülerInnen. Die Bedeutung der zusätzlichen sozialpädagogischen Fachkräfte wurde also in erster Linie in ihrer Absicherungsfunktion des Schulbetriebes gesehen. Die spezifischen Ziele, Zugänge, Methoden und Kompetenzen der sozialpädagogischen Fachkräfte hingegen wurden vernachlässigt (Kentler 1972; Kath 1973). Vor diesem Hintergrund verwundert nicht, dass Hornstein bereits 1971 kritisierte, dass die Bildungsplanung ohne sozialpädagogische Bezüge und Perspektiven erfolgt (z. B. Strukturplan, Bildungsbericht der Bundesregierung).

      Die 1980er Jahre bedeuteten für die Schulsozialarbeit in Deutschland auf der einen Seite eine klare Stagnation, da die Bildungsreform als gescheitert betrachtet wurde und in diesem Zuge Projekte der Schulsozialarbeit quantitativ reduziert wurden (Tillmann 1987). Auf der anderen Seite entwickelte sich eine vielfältige Fortbildungs-, Forschungs- und Publikationslandschaft zur Schulsozialarbeit. Erwähnenswert sind hier vor allem wissenschaftliche Begleitungen zu Einzelprojekten der Schulsozialarbeit (Tillmann 1982a; Staufer/Stickelmann 1984; DJI 1984b; Kersting 1985; Salustowicz 1986; Frommann et al. 1987) sowie vielfältige Untersuchungen, Tagungen, Materialien und Publikationen des Deutschen Jugendinstituts (DJI) mit Bestandsaufnahmen und Beiträgen zur fachlichen Weiterentwicklung der Schulsozialarbeit in Deutschland (Raab/Rademacker 1981 und 1982; Schneider et al. 1982; DJI 1984a, 1984b und 1985 und als Überblick Raab et al. 1987). Konzeptionell waren die 1980er Jahre durch eine Vielfalt an Trägerschaften und Ansätzen von schulbezogenen Angeboten der Jugendhilfe gekennzeichnet. Dies führte letztlich dazu, für alle Kooperationsformen von Jugendhilfe und Schule die Bezeichnung Schulsozialarbeit als Oberbegriff einzuführen.

      In den 1990er Jahren kam es dann zu einem deutlichen Ausbau der Schulsozialarbeit und darauf bezogenen Forschungsaktivitäten in Deutschland und der Schweiz (Baier/Heeg 2011; Speck/Olk 2010a und b; Drilling 2009; Olk et al. 2000). Hierfür gab es im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen entwickelte sich auf der konzeptionellen Ebene ein verändertes Aufgabenverständnis und Problembewusstsein in der Jugendhilfe und Schule, das gegenseitige Öffnungen zwischen beiden Institutionen erleichterte. Aufseiten der Jugendhilfe waren eine Verringerung der Schulkritik und eine Öffnung für Schule spürbar. In dieser Richtung sind insbesondere hervorzuheben:

      a das Fachkonzept einer offensiven und präventiven, „lebensweltorientierten Jugendhilfe“ (BMJFFG 1990, 122ff.; Thiersch 1997; Grunwald/Thiersch 2004),

      b das sozialpädagogisch und auf eine Kooperation mit der Institution Schule ausgerichtete Kinder- und Jugendhilfegesetz (1990/1991) sowie

      c die zunehmende Fachdiskussion und die vielfachen Plädoyers zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule bzw. Schulsozialarbeit (Brenner/Nörber 1992; Aden-Grossmann 1995; Flösser et al. 1995; Hurrelmann 1996; Gilles 1996 und 1998).

      Aufseiten der Schule erfolgte parallel dazu eine umfassende Schulentwicklungs-, Professionalisierungs- und Qualitätsdebatte, in der der Auftrag und die Aufgaben von Schule und LehrerInnen diskutiert wurden (Helsper et al. 1996; Terhart 1996a und 1996b; Wenzel 1998; die Beiträge in Grossenbacher et al. 1997; Horster 1998; Fend 1998). Die Diskussionen führten sukzessive zu einer stärkeren Öffnung von Schule gegenüber außerschulischen Partnern und damit auch der Sozialpädagogik. Erkennbar ist dies unter anderem

      a an den sozialpädagogischen Themen in „Schulpublikationen“ (z. B. die Beiträge in Fatke/Valtin 1997; Deinet 1998a, 338 ff.),

      b den vielfältigen Programmen zur Öffnung von Schule sowie

      c der Berücksichtigung von außerschulischen Kontakten bei der Formulierung von Qualitätskriterien für Schulen.

      Der Ausbau der Schulsozialarbeit in den 1990er Jahren in vielen deutschsprachigen Ländern (Deutschland, Schweiz, Österreich) wurde jedoch nicht nur durch konzeptionelle Debatten gefördert. Durch konkrete Förderprogramme zur Schulsozialarbeit auf der Landes- und Kommunal-/Kantonsebene kam es in den 1990er Jahren auch zu einem quantitativen Ausbau der Schulsozialarbeit. Ausschlaggebend für die Förderprogramme war vor allem der Versuch, die negativen Folgen gesellschaftlicher Transformations- und Veränderungsprozesses für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen zu kompensieren sowie Belastungen und Probleme zu verringern (Drilling 2009, 19 ff.; Olk et al. 2000; Rademacker 1996, 226 ff.; Prüß/Bettmer 1996, 240 ff.). Die Förderprogramme wurden durch eine Vielzahl an wissenschaftlichen Forschungsprojekten und Begleitungen unterstützt.

      Dass die Öffnung von Schule zur Jugendhilfe auch in den 1990er Jahren keineswegs selbstverständlich war, erkennt man – wie Nieslony (1996) zu Recht kritisierte – an der vielfach zitierten Denkschrift der Bildungskommission des Landes Nordrhein-Westfalen zur „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“, die nur am Rande auf die Jugendhilfe einging (Bildungskommission NRW 1995).

      Auf der fachlichen Ebene zeichnet sich im deutschsprachigen Raum seit Ende der 1990er/Anfang der 2000er Jahre eine deutliche Weiterentwicklung zur Schulsozialarbeit ab. Veröffentlichungen zur Schulsozialarbeit konzentrieren sich seltener auf projektbezogene, evaluierende Fragestellungen im Rahmen von wissenschaftlichen Begleitungen sowie die als schwierig eingeschätzte Kooperation von LehrerInnen und SozialarbeiterInnen. Stattdessen stehen häufiger auch

      

das Konzept und Profil von Schulsozialarbeit (Deutscher Verein 2014a; Kooperationsverbund 2006; GEW 2003; Rademacker 2002; Maykus 2001; Olk et al. 2000; Braun/Wetzel 2000; Hollenstein/Tillmann 2000),

      

das Bildungsverständnis und der Bildungsertrag der Schulsozialarbeit (Kooperationsverbund Schulsozialarbeit 2013; BAG JSA 2005),

      

die Verortung der Schulsozialarbeit in multiprofessionellen Ganztagsschulen, Sozialraumkonzepten und Bildungslandschaften (Spies 2013; Speck et al. 2011b und c; Bolay et al. 2003),

      

die Professionalität und das methodische Handeln der SchulsozialarbeiterInnen (Baier/Deinet 2011; Hollenstein/Nieslony 2012; Pötter/Segel 2009; Braun 1999 und 1997; Verein für Kommunalwissenschaften 1997; Wulfers 1994 und 1991) sowie

      

die Wirkungspotenziale und Wirkungen der Schulsozialarbeit (Baier/Heeg 2011; Speck/Olk 2010a und b; Olk/Speck 2009; Drilling 2009; Speck 2006a; Bolay 2004a und 2004b; Elsner/Rademacker 1997; Hentze et al. 1997) im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

      Auf der fachpolitischen Ebene ist unbestritten, dass es einen hohen Bedarf für Schulsozialarbeit gibt. Dementsprechend gehört das Arbeitsfeld Schulsozialarbeit seit Anfang der 1990er Jahren (BMJFFG 1990; BMFSFJ 1994 und 1998) zunehmend zu einem festen Bestandteil der Kinder- und Jugendpolitik und der Kinder- und Jugendberichte (z. B. BMFSFJ 2002a; 2005; 2009). Der 14. Kinder- und Jugendbericht verweist unter anderem auf die hohe Anerkennung der Schulsozialarbeit in den Schulen, den deutlichen personellen Zuwachs in der Schulsozialarbeit in den letzten Jahren sowie den eigenständigen sozialpädagogischen Auftrag der Fachkräfte der Schulsozialarbeit in den Schulen (BMFSFJ 2013, 329 ff.). Viele jugend- und vereinzelt auch schulpolitisch bedeutsame Verbände, Organisationen, Kommissionen und Arbeitsgruppen auf der Bundesebene haben zudem in den 1990er und 2000er Jahren ausführliche Stellungnahmen und Empfehlungen zur Schulsozialarbeit veröffentlicht (siehe Kasten).

      Stellungnahmen und Empfehlungen zur Schulsozialarbeit auf der Bundesebene

      • Arbeiterwohlfahrt Bundesverband (AWO 2013),

      • AvenirSocial und SchulsozialarbeiterInnen-Verband (2010a und b),

      • Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter (BAGLJÄ 2014; 1993),

      • Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit (BAG