Im goldenen Käfig. Aicha Laoula. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aicha Laoula
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783906287041
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Er war sich dem Ernst der Lage überhaupt nicht bewusst, oder weigerte sich, die Wahrheit zu sehen. All diese Sorgen beeinträchtigen sowohl meine körperliche als auch meine geistige Gesundheit. Fieber und Halsschmerzen kamen wieder häufiger vor, obwohl ich lange nicht mehr daran erkrankt gewesen war. Eines Tages brachte mich Pina zu ihrem Arzt, einem älteren Herrn, der seinen Beruf in Teilzeit ausübte. Er hatte eine Lampe an seiner Stirn und trug eine Brille mit doppelten Gläsern, während er meinen Hals untersuchte. Er sagte, ich müsse meine Mandeln operieren lassen. Ich wurde von der Angst übermannt und fragte ihn auf Italienisch und mittels Gesten: »Wie soll das gehen, das Operieren, Doktor? Machen sie mir einen Schnitt im Hals und ziehen sie heraus? Tut das weh?« Der Arzt setzte seine Brille ab und brach in Gelächter aus, offensichtlich bemerkte er, dass ich ungebildet war. »Aber Frau Laoula, Sie müssen keine Angst haben, Sie werden überhaupt nichts spüren, das garantiere ich Ihnen. Die Operation wird über den Mund durchgeführt. Haben Sie das verstanden? Wir vereinbaren einen Termin im Krankenhaus und in etwa einem Monat werden Sie operiert.« Während der Wartezeit auf diese Operation ist mir etwas sehr Seltsames widerfahren. Eines Samstagmorgens erwachte ich mit einem Gefühl der Taubheit im ganzen Körper, aber vor allem konnte ich meine rechte Körperhälfte nicht mehr kontrollieren. Ich hatte Schwindelgefühl und Kopfschmerzen. Auf dem rechten Auge sah ich nur unscharf und ich konnte es nicht mehr schließen. Mein rechtes Bein gab einfach nach. Ich konnte mit der rechten Hand nicht einmal mehr ein Glas heben, sie war wie leblos. Ich wollte essen, doch meine Lippen konnten die Nahrung nicht halten und sie fiel mir aus dem Mund. Ich verstand nicht, was los war, aber ich machte mir keine Gedanken darüber. Ich war immer der Ansicht, dass die Krankheiten, die man bekommt, auf dieselbe Weise auch wieder verschwinden. Noch bis heute denke ich so.

      Wir hatten Gäste zum Mittagessen und Bilal hatte gekocht, da ich dazu nicht in der Lage war. Während des Essens sagte eine Freundin von Bilal: »Aicha, du kommst mir heute komisch vor, was hast du?« Ich lächelte mit meinem verzerrten Gesicht, während ich die Gabel mit den Nudeln in den Mund schob, aber sie fielen mir wieder heraus, sodass ich sie mit den Fingern hineinstopfte. Sie sah mich entgeistert an, da mich dies nicht zu stören schien. Nachdem ich gekaut und die Nudeln geschluckt hatte, hielt ich mir die Hand vor den Mund und erwiderte: »Ja, ich weiß, dass irgendetwas mit mir nicht stimmt, aber vielleicht ist morgen schon wieder alles gut.« Ich setzte meinen Kampf mit dem Essen fort, während die Freundin ihre Gabel auf den Teller legte und sagte: »Du machst dir keinerlei Sorgen? Vielleicht ist es etwas Ernstes? Du musst unbedingt einen Arzt aufsuchen, und zwar sofort.« »Warum sofort? Das gibt sich alles von selber, ich habe keine starken Schmerzen, außer die Kopfschmerzen, und ich spüre im Augenblick meine eine Körperseite nicht, das ist alles.« Sie sagte nichts mehr.

      Am Tag darauf hatte sich mein Zustand verschlechtert, ich fühlte mich im Allgemeinen so schlecht, als hätte ich hohes Fieber. Im ganzen Körper verspürte ich ein Kribbeln und das Gefühl von Taubheit. Wegen den Kopfschmerzen und dem anhaltenden Schwindel blieb ich auf dem Sofa liegen. Meine ganze rechte Seite schien langsam zu sterben. Am Montag kamen meine Freundinnen vorbei, die sich erschraken, mich in einem solchen Zustand vorzufinden. Pina bestand darauf, dass ich ins Krankenhaus ging, alle waren der Meinung, es würde sich um etwas Ernstes handeln. Ich gehorchte und ließ mich von ihr ins Auto führen, da ich mein rechtes Bein nicht benutzen konnte und auf dem rechten Auge schlecht sah. Ein auf solche Fälle spezialisierter Arzt untersuchte mich von Kopf bis Fuß mit Instrumenten, deren Namen ich nicht einmal kannte. Dann setzte er sich hinter seinen Schreibtisch und seufzte. Ich erkannte, dass es nicht so harmlos war, wie ich gedacht hatte. Auch Pina sah plötzlich besorgt aus. Der Arzt sagte mir, dass ich eine akute Lähmung der rechten Körperhälfte hätte. Pina fragte: »Doktor, was kann die Ursache dafür sein?« »Soweit ich das beurteilen kann, handelt es sich um ein Problem des zentralen Nervensystems. Die Dame muss einer sehr hohen Belastung ausgesetzt gewesen sein. Ich gebe ihr Medikamente und werde sie umgehend in das Universitätsklinikum Zürich einweisen, wo sie entsprechend versorgt werden kann. Sie muss dort mindestens einen Monat bleiben oder gar länger.« Pina übersetzte mir das, was ich nicht verstand. »Ich, ins Krankenhaus?«, fragte ich mit zittriger Stimme. »Ich habe ein kleines Kind zu Hause und ich hatte nicht vor, mich von ihm zu trennen, nein! Bitte, Herr Doktor, schicken Sie mich nicht nach Zürich.« Er sah mich traurig an und antwortete: »Um wieder gesund zu werden, benötigen Sie eine besondere Behandlung, und die gibt es nur in Zürich.« Pina sagte mir, sie würde sich um Youns kümmern und ich solle nur daran denken, wieder gesund zu werden. Glücklicherweise gewährte mir der Arzt eine Woche Zeit, um zu sehen, ob ich wieder auf die Beine käme, falls aber nicht, müsse ich ins Krankenhaus nach Zürich. Ich trocknete meine Tränen, nahm meine Medikamente mit und ließ mich, eingehakt in Pinas Arm, nach Hause bringen. In der Zwischenzeit wurde meine Mandeloperation nach hinten verschoben. Als der Arzt sagte, dass ich wohl unter großem Stress stehe, dachte ich sofort an das, was mir meine Schwiegermutter mit ihrem verzauberten Kaffee zugefügt hatte, den sie mich zu trinken gezwungen hatte. Es war nicht auszuschließen, dass sehr toxische oder giftige Stoffe darin enthalten waren, die mein Nervensystem geschädigt hatten. Bei uns wurden Menschen oft so getötet. Man verabreichte ihnen Pflanzenextrakte oder giftige Insekten, die die Menschen langsam töteten, ohne dass es jemand bemerkte. Nicht einmal die Ärzte konnten den Grund für den schlechten Gesundheitszustand der Personen herausfinden, die diese giftigen Getränke geschluckt hatten.

      Eine Woche später musste ich erneut zum selben Arzt. Nach einer sorgfältigen Untersuchung sagte er: »Nun, es ist zu früh zu sagen, ob Sie ohne Hospitalisierung wieder gesund werden, aber zumindest hat sich Ihr Zustand nicht verschlechtert, und das ist, was im Augenblick zählt. Nehmen Sie weiterhin die Medikamente und kommen Sie in einer Woche wieder.« Dieses Mal verließ ich die Praxis etwas hoffnungsvoller. Tief in meinem Herzen hoffte ich, dass ich nicht nach Zürich und meinen Sohn nicht für wer weiß wie lange allein lassen musste. Im Augenblick versorgte ich Youns so gut ich konnte und er war glücklich wie immer. Alle waren besorgt um mich. Meine eigenen Sorgen waren seltsamerweise nicht größer, als wenn ich Fieber oder Halsschmerzen hätte. In meinem Kopf drehte sich alles nur darum, gesund zu werden, bevor mich der Arzt nach Zürich schicken würde. Außerdem hatte ich vollstes Vertrauen in ihn und seine Medikamente. Ich betete jeden Tag zu Gott, dass er mich gesund machen möge. »Um was soll ich mich sorgen? Ich weiß doch, dass ich wieder gesund werde. Ich war auch in Marokko immer wieder gesund geworden, auch wenn es mir noch schlechter ging, und das ganz ohne Medikamente. Und jetzt habe ich ja wenigstens Medizin«, sagte ich zu Bilal, während ich an die vielen Male dachte, als ich bei meinen ehemaligen Herrschaften krank gewesen war und sie mich trotz Krankheit und ohne Schmerzmittel weiter arbeiten ließen. Jetzt hatte ich zum einen Medikamente und zum anderen die Fürsorge der lieben Menschen um mich herum, und vor allem: die Liebe, die ich immer verspürte, wenn ich meinen Sohn in die Arme nahm. Dies half mir mehr als alle Medizin der Welt.

      Einmal begleitete mich Bilal zu einer Untersuchung ins Krankenhaus. Er hielt mich am Arm, damit ich nicht stolperte, da mir mein Bein noch immer nicht gehorchte. Als wir im Stadtzentrum angekommen waren, bat ich ihn darum, ein Foto in der Fotokabine zu machen. Ich wollte es als Erinnerung haben, für die Zeit, wenn ich wieder gesund wäre. Aber er rief aus: »Nein! Ich möchte nicht, dass du in diesem Zustand ein Foto machst. Siehst du nicht im Spiegel, wie schlecht du aussiehst? Wie ein Monster! Und außerdem, wer sagt, dass du gesund wirst?« Ich ließ seinen Arm los und sagte wütend: »Ich werde ganz sicher wieder gesund! Warum glaubst du etwas anders?« Ich weinte und stammelte, da die eine Hälfte meines Mundes gelähmt war. Er sagte: »Ich habe von Menschen gehört, die ein ähnliches Problem hatten und sie sind nie wieder die alten geworden.« »Ich aber schon! Hast du verstanden?« Ich war von seinem mangelnden Vertrauen in mich enttäuscht. Ich wusste, dass er sich Sorgen machte und Angst hatte, aber er schämte sich auch, mich in der Öffentlichkeit zu begleiten, da ich so aussah. Auch ich schämte mich wegen meines Zustands. Mein rechtes Auge war Tag und Nacht geöffnet und tränte ständig. Ich musste Tropfen und Salben anwenden, um es feucht zu halten. Ich fühlte mich abstoßend, wie – da hatte Bilal schon recht – ein Monster. Ich fühlte mich von ihm abgewiesen. Zum ersten Mal kamen mir Zweifel und ich wurde sehr traurig, doch gleich danach baute ich meine innere Stärke wieder auf, die mich glauben ließ, dass ich wieder gesund würde, auch wenn ich diese Schlacht allein zu schlagen hatte. Ich frage mich, ob sich Bilal von mir scheiden lassen würde, wenn ich nicht mehr gesund würde. Nachdem mich der Arzt untersucht hatte, lächelte er und sagte: »Junge