Im goldenen Käfig. Aicha Laoula. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aicha Laoula
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783906287041
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fragte: »Was hast du in der Reisetasche da?« »Ein paar gebrauchte Kleider für meine Familie« »Zeig sie mir!« Ich war nicht in der Lage, mich zu widersetzen. Natürlich hatte sie gewartet, bis Bilal das Haus verlassen hatte. Nachdem ich die Tasche auf den Boden geleert hatte, rief sie: »Ach ja? Das soll alles für deine Familie sein? Diesen Pullover behalte ich und diese Jacke nehme ich für meine Enkelin. Es wäre schade darum! Solche schönen Kleider werden von Kindern in der Stadt getragen, die zur Schule gehen, nicht von Kindern, die den ganzen Tag mit Tieren über die Hügel ziehen, wie deine Schwestern.« Sie wandte sich an ihre Tochter: »Stimmt’s, Touria?« Touria nahm die Jacke an sich, die von Hand gestrickt war, und sagte: »Ich kann die für meine Tochter haben, oder?« Ich sah sie voller Missfallen an: »Eigentlich war sie für meine Schwester Rabiha, damit sie sich auf der Weide wärmen kann. Ich finde sie für deine Tochter ein wenig zu groß.« »Ich verstehe, aber ich hebe sie einfach auf, bis sie etwas gewachsen ist.« »Lass es uns so machen, Touria, im nächsten Jahr bring ich dir eine gleiche Jacke für deine Tochter mit, in Ordnung?« Sie war beleidigt, ihre Mutter hingegen nahm einen weißen Pullover, der für meine Mutter bestimmt war. Es war unglaublich! Sie hatten bereits Geschenke erhalten, auch Kleidung, auch für die Tochter von Touria, und jetzt wollten sie auch noch diese an sich reißen. Bilal hatte ein paar Lebensmittel gekauft, um sie mit zu meiner Familie zu nehmen, doch er hatte kaum das Haus verlassen, als meine Schwiegermutter schon die Einkaufstasche auf dem Boden ausleerte, um zu sehen, was darin war. Als ich die Tasche mit den Kleidern nehmen und zu meiner Familie aufbrechen wollte, bemerkte ich, dass nur noch ein Viertel der Klamotten darin war. Die schönsten Kleider waren alle verschwunden. Ich brach in Tränen der Enttäuschung und der Wut aus. Ich fragte alle, wo die Kleider ware, aber die Antwort war immer die gleiche, nämlich, dass ich die Familie als Diebe bezeichnen und sie damit beleidigen würde. Ich verließ das Haus mit den wenigen Dingen, die sie mir gelassen hatten. Es war wie immer, aus Angst vor der Schwiegermutter erwähnte ich nichts in Bilals Anwesenheit. Er begleitete mich, und ebenso seine Schwestern, Soubida und Fttouma, die von ihrer Mutter beauftragt wurden, alles zu überwachen, was ich meiner Familie sagen würde, um ihr dann davon zu berichten. Meine Familie war außer sich vor Freude, Youns, Bilal und mich wiederzusehen. Nachdem wir gegessen und etwas Tee getrunken hatten, nahm ich die verbliebenen Kleider und breitete sie auf dem Teppich im Zimmer aus, wo wir wie in alten Zeiten im Kreis saßen. Meine Mutter verteilte sie, doch sie reichten leider nicht für alle. Dessen ungeachtet strahlten ihre Gesichter vor Freude darüber, mich in ihrer Mitte zu haben. Sie waren verrückt nach der Schweizer Schokolade, die ich mitgebracht hatte, ebenso wie einen Wecker, damit sie rechtzeitig aufstehen konnten, ohne sich auf das üblicher Kikeriki des Hahns verlassen zu müssen. Sie freuten sich auch sehr über die Lebensmittel, das Gemüse, Fleisch und Obst. Meine Schwiegermutter hatte ihrem Sohn aufgetragen, noch am selben Abend nach Hause zu kommen und die Nacht nicht bei meiner Familie zu verbringen. Sie hatte Angst, dass er Geld für meine Familie ausgeben könnte, zusätzlich zu der Tatsache, dass sie einfach nicht wollte, dass ich Zeit mit ihnen verbrachte. Ich fühlte mich nicht gut, ich hätte so gern meine Familie ein paar Tage um mich gehabt und die reine Landluft meiner Heimat genossen. Ich wollte ihnen alle Neuigkeiten aus der Schweiz berichten und die Leute aus dem Dorf und meine Bekannten besuchen. Ich wollte Youns, auf den ich so stolz war, allen zeigen, doch leider musste ich Bilal zum Haus seiner Eltern zurückbegleiten. Er tat alles, was ihm seine Mutter sagte und ich musste seinem Willen folgen, den er wiederum mir aufzwang. In Marokko verhielt er sich mir gegenüber völlig anders, ich erkannte ihn kaum wieder. Ich fühlte mich wie früher in der Sklaverei, als hätte ich einen Albtraum. Und so musste ich einen Monat Urlaub nur mit seinen Angehörten verbringen und fühlte mich die ganze Zeit über verhasst. Eine weitere Tatsache, die Bilal so gleichgültig machte, war das Gemisch, das ihm seine Mutter regelmäßig zubereitete, um ihn zu kontrollieren und ihn wie eine Marionette für ihre egoistischen Ziele einzusetzen. Es war eine Mischung, die el-mehjun genannt wurde, sie bereitete sie mit Datteln, gemahlenen Nüssen und Honig zu und fügte außerdem einen Pflanzenextrakt hinzu, der Rauschgift enthielt.

      Um mich zu provozieren, fragten meine Schwägerinnen und ihre Mutter mich, ob Bilal und Heidi auch nach unserer Hochzeit weiterhin zusammenlebten. Wie üblich wussten sie genau, wie sie mich verletzen konnten. Ich schwieg, um ihnen keine Befriedigung zu verschaffen.

      Larbi, Bilals Bruder, erschien mir reumütig und bat mich indirekt um Verzeihung dafür, mich während meiner Zeit in ihrem Haus vergewaltigt zu haben. Er klebte die ganze Zeit an mir und unterhielt sich lächelnd mit mir und ließ mich keine Sekunde aus den Augen. Es war klar, dass er immer noch in mich verliebt war. Ich wusste außerdem, dass er Angst davor hatte, dass ich seinem Bruder von der Vergewaltigung erzählen würde, der ihn tot geprügelt hätte. So tat Larbi alles, um den Schaden wiedergutzumachen, aber er irrte sich, der Schaden, den er mir zugefügt hatte, hatte tiefe Spuren in mir hinterlassen und ich hatte noch viele Jahre damit zu kämpfen. Während unserer Unterhaltungen schwor mir Larbi, dass, wenn er einmal heiraten würde, es ein Mädchen wäre, das mir ähnlich sähe und dass sie aus meiner Heimat kommen und, wie ich, Berberin sein müsse. Das jedoch wäre eine weitere Katastrophe für meine Schwiegermutter gewesen, die die Berber hasste. In der Tat lernte er wenige Jahre später ein hübsches Mädchen aus meiner Heimat kennen, mit der er noch immer glücklich verheiratet ist und Kinder hat. Er hatte glücklicherweise aus dem Fehler Bilals gelernt, und hatte prinzipiell seine Frau von seinen Schwestern und seiner Mutter ferngehalten. Er zog in eine andere Stadt und kam nur noch selten vorbei, um seine Eltern zu besuchen. Auch vertraute er mir an, dass er nicht wollte, dass seine Familie zu Besuch kam, um keine Zwietracht zwischen ihm und seiner Frau zu säen. Auch Musa, der jüngste meiner Schwäger, heiratete ein Mädchen aus meiner Region. Meine Schwiegermutter war keineswegs glücklich darüber, dass die beiden mit Berberinnen verheiratet waren. Leider waren ihr auch meine neuen Schwägerinnen verhasst, jedoch nie in dem Maße, wie ich eine Schande für sie war, wo ich doch immer das Brandzeichen der Sklaverei trug und außerdem verhindert hatte, dass sie ihre Taschen mit Bilals Geld füllte.

      Vor unserer Rückkehr in die Schweiz ging Bilal mit mir zu meiner Familie, um mich zu verabschieden. Bedauerlicherweise wurden wir von seiner Mutter und ihrer Tochter Soubida begleitet. Meine Schwiegermutter verachtete meine Familie, wegen ihrer Armut und ihrem sozialen Stand. Als wir in meiner Gegend ankamen und aus dem Taxi stiegen, blickte sie auf das wunderschöne Land mit seiner unberührten Natur und legte ihr Gesicht in Falten, wie das einer Hexe, und sagte: »Pfui!« Dabei spuckte sie auf die Erde. »Dieses Land und seine Bewohner sind weniger wert als eine faule Zwiebel!« Dabei sah sie mir direkt in die Augen. Ich war verletzt, durfte es mir aber nicht anmerken lassen. Meine Familie freute sich, mich wiederzusehen und zum Glück konnten wir eine Nacht bei ihnen verbringen. Bilal, seine Schwester und seine Mutter ließen sich nicht dazu herab, bei meiner Familie zu übernachten, sie schliefen bei Bekannten in einem Dorf weiter unten im Tal. Ich war sehr traurig darüber, dass Bilal die Nacht nicht mit mir und unserem Sohn in meinem Zuhause verbrachte. Ich wollte auch meine Schwester Saina treffen, so ging ich am Morgen des nächsten Tages hinunter ins Tal, wo Bilal mich erwartete. Zu meiner großen Überraschung wollte uns seine Mutter begleiten. Erst nachdem wir bei Saina angekommen waren, verstand ich den Grund dafür. Auch meine Mutter und meine Schwägerin Melhid, mit ihrem Baby auf den Rücken gebunden, kamen mit uns. Ich war froh, dass sie ein weiteres Kind bekommen hatte, das sie ein wenig über den Verlust ihrer vorherigen beiden Kinder, wie dem kleinen Brek, hinwegtröste. Beide Kinder waren an einer einfachen Infektion gestorben, die man mit zwei Euro hätte heilen können. Doch die Armut und die Tatsache, dass es im Dorf keinen Arzt gab, ließen dies nicht zu. Ein Taxi brachte uns so nahe wie möglich an das Dorf, in dem Saina lebte. Anschließend mussten wir einen weiten Weg durch die Berge zurücklegen, bis wir das Dorf erreichten. Auch Saina trug ein Baby, ihren zweiten Sohn, auf dem Rücken. Ihr erstes Kind war leider gestorben. Nach der Geburt hatte Saina keine Muttermilch und es gab kein Milchpulver oder Fläschchen, zur damaligen Zeit wusste man nichts von solchen Dingen in unseren Dörfern. Saina hatte Ziegenmilch in den Mund des Säuglings getropft, doch diese hatte nicht ausgereicht, um ihn zu retten. Zu dieser Zeit gab es nur wenige Kinder, die unter solch schlechten und grausamen Bedingungen überlebten. Saina kam mir mit Tränen in den Augen entgegen und wir drückten uns in einer herzlichen Umarmung eng aneinander. Sie war nicht wiederzuerkennen, mit ihrem traurigen Blick, dürr und leichenblass. Sie hatte schwarze Schatten unter den Augen, die tief in den Augenhöhlen lagen. Ihre Lippen waren kreidebleich. Es schien, als