Um mich zu provozieren, fragten meine Schwägerinnen und ihre Mutter mich, ob Bilal und Heidi auch nach unserer Hochzeit weiterhin zusammenlebten. Wie üblich wussten sie genau, wie sie mich verletzen konnten. Ich schwieg, um ihnen keine Befriedigung zu verschaffen.
Larbi, Bilals Bruder, erschien mir reumütig und bat mich indirekt um Verzeihung dafür, mich während meiner Zeit in ihrem Haus vergewaltigt zu haben. Er klebte die ganze Zeit an mir und unterhielt sich lächelnd mit mir und ließ mich keine Sekunde aus den Augen. Es war klar, dass er immer noch in mich verliebt war. Ich wusste außerdem, dass er Angst davor hatte, dass ich seinem Bruder von der Vergewaltigung erzählen würde, der ihn tot geprügelt hätte. So tat Larbi alles, um den Schaden wiedergutzumachen, aber er irrte sich, der Schaden, den er mir zugefügt hatte, hatte tiefe Spuren in mir hinterlassen und ich hatte noch viele Jahre damit zu kämpfen. Während unserer Unterhaltungen schwor mir Larbi, dass, wenn er einmal heiraten würde, es ein Mädchen wäre, das mir ähnlich sähe und dass sie aus meiner Heimat kommen und, wie ich, Berberin sein müsse. Das jedoch wäre eine weitere Katastrophe für meine Schwiegermutter gewesen, die die Berber hasste. In der Tat lernte er wenige Jahre später ein hübsches Mädchen aus meiner Heimat kennen, mit der er noch immer glücklich verheiratet ist und Kinder hat. Er hatte glücklicherweise aus dem Fehler Bilals gelernt, und hatte prinzipiell seine Frau von seinen Schwestern und seiner Mutter ferngehalten. Er zog in eine andere Stadt und kam nur noch selten vorbei, um seine Eltern zu besuchen. Auch vertraute er mir an, dass er nicht wollte, dass seine Familie zu Besuch kam, um keine Zwietracht zwischen ihm und seiner Frau zu säen. Auch Musa, der jüngste meiner Schwäger, heiratete ein Mädchen aus meiner Region. Meine Schwiegermutter war keineswegs glücklich darüber, dass die beiden mit Berberinnen verheiratet waren. Leider waren ihr auch meine neuen Schwägerinnen verhasst, jedoch nie in dem Maße, wie ich eine Schande für sie war, wo ich doch immer das Brandzeichen der Sklaverei trug und außerdem verhindert hatte, dass sie ihre Taschen mit Bilals Geld füllte.
Vor unserer Rückkehr in die Schweiz ging Bilal mit mir zu meiner Familie, um mich zu verabschieden. Bedauerlicherweise wurden wir von seiner Mutter und ihrer Tochter Soubida begleitet. Meine Schwiegermutter verachtete meine Familie, wegen ihrer Armut und ihrem sozialen Stand. Als wir in meiner Gegend ankamen und aus dem Taxi stiegen, blickte sie auf das wunderschöne Land mit seiner unberührten Natur und legte ihr Gesicht in Falten, wie das einer Hexe, und sagte: »Pfui!« Dabei spuckte sie auf die Erde. »Dieses Land und seine Bewohner sind weniger wert als eine faule Zwiebel!« Dabei sah sie mir direkt in die Augen. Ich war verletzt, durfte es mir aber nicht anmerken lassen. Meine Familie freute sich, mich wiederzusehen und zum Glück konnten wir eine Nacht bei ihnen verbringen. Bilal, seine Schwester und seine Mutter ließen sich nicht dazu herab, bei meiner Familie zu übernachten, sie schliefen bei Bekannten in einem Dorf weiter unten im Tal. Ich war sehr traurig darüber, dass Bilal die Nacht nicht mit mir und unserem Sohn in meinem Zuhause verbrachte. Ich wollte auch meine Schwester Saina treffen, so ging ich am Morgen des nächsten Tages hinunter ins Tal, wo Bilal mich erwartete. Zu meiner großen Überraschung wollte uns seine Mutter begleiten. Erst nachdem wir bei Saina angekommen waren, verstand ich den Grund dafür. Auch meine Mutter und meine Schwägerin Melhid, mit ihrem Baby auf den Rücken gebunden, kamen mit uns. Ich war froh, dass sie ein weiteres Kind bekommen hatte, das sie ein wenig über den Verlust ihrer vorherigen beiden Kinder, wie dem kleinen Brek, hinwegtröste. Beide Kinder waren an einer einfachen Infektion gestorben, die man mit zwei Euro hätte heilen können. Doch die Armut und die Tatsache, dass es im Dorf keinen Arzt gab, ließen dies nicht zu. Ein Taxi brachte uns so nahe wie möglich an das Dorf, in dem Saina lebte. Anschließend mussten wir einen weiten Weg durch die Berge zurücklegen, bis wir das Dorf erreichten. Auch Saina trug ein Baby, ihren zweiten Sohn, auf dem Rücken. Ihr erstes Kind war leider gestorben. Nach der Geburt hatte Saina keine Muttermilch und es gab kein Milchpulver oder Fläschchen, zur damaligen Zeit wusste man nichts von solchen Dingen in unseren Dörfern. Saina hatte Ziegenmilch in den Mund des Säuglings getropft, doch diese hatte nicht ausgereicht, um ihn zu retten. Zu dieser Zeit gab es nur wenige Kinder, die unter solch schlechten und grausamen Bedingungen überlebten. Saina kam mir mit Tränen in den Augen entgegen und wir drückten uns in einer herzlichen Umarmung eng aneinander. Sie war nicht wiederzuerkennen, mit ihrem traurigen Blick, dürr und leichenblass. Sie hatte schwarze Schatten unter den Augen, die tief in den Augenhöhlen lagen. Ihre Lippen waren kreidebleich. Es schien, als