Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johann Gottfried Herder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066398903
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uns wiedersehen!«

      Ardinghello umwand sie fest mit seinen Armen und träufelt' ihr mit der Stimme des lebendigsten Gefühls ins Ohr: »Welche sklavische Furcht hat sich deiner bemeistert! Komme wieder zu dir, und rede mit Besinnung. Es siege die Liebe, die in der Natur allen andern vorging, und die Gerechtigkeit! Hast du keinen Blick in die Tage der Zukunft? Einem solchen bösartigen Ungeheuer wolltest du an der Seite liegen und deine glänzende Wohlgestalt von ihm schänden lassen, in lauter Gram und Ekel, da die edelsten Jünglinge voll Eifer und Feuer vor dir schmachten? Hat dies so mächtig wallende Herz in deinem Busen so wenig eigne Kraft, daß es nichts für sich tut, sondern seine angebornsten Regungen nach andrer Willen umlenkt? O Cäcilia, erhabenes Wesen, erkenne deinen Wert! Zu deinem eignen Wohl und weil ich dich kannte, vertraut ich dir das Geheimnis.

      Soll ich den Schlechten verklagen, ihn zu einem Zweikampf herausfordern? Wie albern! Warten in der äußersten Gefahr? Wie töricht! Ihn gehen lassen, dulden, leiden, schweigen und mich davonmachen? O ich wäre nicht wert, dich an meine Seele zu fassen, nicht wert, auf diesem Boden zu atmen; tief, tief unter der Erde, der armseligste halbzertretenste Wurm müßt ich sein.

      Die Zeit ist edel, wir haben keine Worte zu verlieren; ich sage dir aus dem Buch des ewigen Verhängnisses: Mark Anton, der niederträchtige Meuchelmörder, muß sterben von meiner rächerischen Hand für alle seine Bosheiten; oder du mußt mich und dich dem Tod und der öffentlichen Schmach preisgeben. Es findet hier keine Wahl statt, und ich kenne dazu genug deinen hellen Geist und deine hohen Gefühle. Meinetwegen hab in jeder Rücksicht keine Sorge: für dich wird dein scharfsichtiges Auge leicht den Ausweg finden und deine Gewandtheit ohne Verletzung und Gefahr darüber weggleiten.«

      »Nun, so fürchte denn alles, unerbittliches Felsenherz!« versetzte sie ihm aufgebracht; »und wenn du sicher sein willst, so zücke den Stahl zuerst auf mich. O herbeigeführt durch die Lüfte, steh ich an dem Kessel eines feuerspeienden Gebürgs, Verderben rund um mich, und mir vergehen die Sinnen. O könnt ich mein unabsehliches Elend aller Unschuld zur Schau aufstellen und sie damit vor dem ersten Fehltritt warnen!«

      Ardinghello konnt ihr nicht mehr antworten, so schnell riß sie sich von ihm fort nach ihrem Zimmer; doch drehte sie sich unterwegs noch einigemal um, kam aber, außer sich, nicht wieder zurück.

      Er sagte mir anfangs von dieser Unterredung nur so viel, daß sie ohngefähr den von ihm erwarteten Ausschlag genommen habe.

      Den andern Morgen in aller Frühe geschah die Trauung. Cäcilia erschien am Nachmittage, wo das Gelag war, reizender als je; Schlaflosigkeit und die beständige Überlegung dessen, was vorgehen sollte, hatte ihre Lebensgeister erhitzt und überzog ihr Gesicht mit der lieblichsten Schamröte.

      Ardinghello bereitete sich den Tag über auf die Tat: machte sich selbst auf den Notfall eine Maske, kämmte sein Haar anders, veränderte Hut und Kleidung, um einen Landmann der Gegend vorzustellen, und setzte sich in gute Verfassung zur Flucht auf jeden Fall. Meine Mutter und ich waren beim Feste.

      Eine zahlreiche Gesellschaft hatte sich eingefunden. Pracht und Überfluß, mit feiner Kunst angeordnet, herrschten an der Tafel und in Sälen und Zimmern Glanz und Freude. Die Braut schien in neuen Empfindungen verloren, antwortete aber doch leicht jedem Schalk, und immer in jungfraulicher Bescheidenheit; jedermann schien den Glücklichen zu beneiden, dessen Beute sie ward, und den Wunsch im Herzen zu hegen, mit süßer Gier im Liebesbette, statt seiner, der zarten Schönheit Blume zu pflücken.

      Gegen Abend erhob sich der Ball. Als die Kerzen brannten, vermißte man bald Braut und Bräutigam und lächelte darüber. Der Bräutigam kam nach langer Zeit zuerst wieder, und seine Unenthaltsamkeit und Enthaltsamkeit beklatschte ohne Scheu der Mutwill junger Männer. Doch hörte man zu seiner Entschuldigung von einer Stimme den frechen fescenninischen Scherz: der versuchte Ritter wird den Morgen schon bei hartem Sturm die Fahne auf die Festung gepflanzt haben. Er lachte, jedoch dünkte mich's nicht das Lächeln der Lust nach gepflogner Liebe, und winkte mit der Hand nach dem Fenster. Und sieh! Raketen stiegen auf in der Luft und kreuzten sich über dem See und zerknallten, in schönen Kreisen sinkend. Gleich hernach erschien auch die Braut wieder und wurde beglückwünscht von Müttern und Weibern, indes sie glühte wie eine Rose.

      Man führte sie an den Erker zum besten Platz, das Schauspiel anzusehen: und auf einmal rauschte die Girandola gen Himmel wie ein ungeheurer brennender Palmbaum. Darauf folgten mancherlei neue Feuerwerkskünste. Der Ort dazu war auf einem hohen felsichten Ufer des Sees nicht weit vom Palaste; der Bräutigam, welcher dergleichen verstand und es angeordnet hatte, lief hernach selbst hinunter, um die Leute, die es abbrannten, zum Eifer zu treiben, weil einigemal starke Pausen vorgingen: und gerad am Ende der Stiege wurd er vom Ardinghello an der Kehle fest gepackt und empfing den schärfsten mörderlichsten Dolchstich von unten auf ins Herz. Derselbe sagt' ihm schleunig noch ins Ohr: »Bin der junge Frescobaldi! Deine Braut war meine Geliebte, die Frucht unsrer Liebe wird dein Vermögen erben statt dessen meines Vaters.«

      Er lag da und regte sich nicht mehr: Ardinghello entwischte. Niemand bemerkte ihn, die Bedienten unten sperrten alle, weit von dem Palaste, Augen und Mäuler auf über das Feuerwerk und jubelten und lärmten; und oben plauderte man gleichfalls und betrachtete.

      Er lag da, solange das Feuerwerk dauerte. Wie es vorbei war und die Bedienten wieder hereinsprangen, erscholl auf einmal ein Zetergeschrei. Man drängte sich zu den Türen heraus: »Der Bräutigam ist ermordet!« lief plötzlich von einem Mund zum andern. Cäcilia rennte mit Geheul hervor, und wie sie deutlich vernahm: »unten an der Stiege mit einem Stoß in die Brust ermordet!« sank sie auf der Stelle nieder in Ohnmacht, und Arm' und Beine welkten, ihr Antlitz entfärbte sich, und der Kopf hing im Nacken. Man hob sie auf und brachte sie auf Sitze und besprengte sie mit starken Wassern; es war ein allgemeines Gewühl und Lärmen.

      Der Tote ward unten in ein Zimmer gebracht; man zog die Kleider weg und besichtigte die Wunde: sie ging nett ins Herz, und da war an keine Hülfe mehr zu denken. Cäcilia kam wieder zu sich. »Was ist mir? wo bin ich?« sprach sie stöhnend mit verirrten Blicken. »Ach, tot, tot! Wer hat ihn umgebracht! o ich Unglückselige!« und so zerraufte sie sich die schönen blonden Locken und riß die Kleidung vom Leibe und wütete wie eine Bacchantin.

      Ich darf sagen, daß, bei Kummer und Sorge für Ardinghellon, mich doch dies entzückte. O ihr Weiber, welch ein Mann erreicht je eure Verstellung! Sie wollte mit Gewalt zu ihm, aber man hielt sie ab. »O Gott, welch ein Vermählungsfest!« schluchzte sie, und die Tränen stürzten ihr aus den Augen. Hätt ich aber alles gewußt, so würd ich tiefes Mitleiden mit ihr gehabt haben.

      Die Verwandten des Mark Anton, worunter eine verheuratete Schwester von ihm war, verstummten und machten allerlei Gesichter und wußten nicht, wo sie angreifen sollten: die Brüder und Eltern der Cäcilia verloren aber den Kopf nicht; und der älteste, auch schon verheuratet, ergriff sie bei der Hand und sagte zu ihr: »Fasse dich, was geschehen ist, kann man nicht ändern, und sei vernünftig, für dich ist jetzt ein kritischer Zeitpunkt! Sprich, und rede laut: hat Mark Anton schon wirklich seinen Bund in der Tat mit dir vollzogen oder nicht? Das andre soll hernach, soviel menschmöglich ist, aufs schärfste untersucht werden.« Sie warf den Kopf in die Arme und bedeckte die Augen und sagte seufzend und weinend: »Ach, wär es nicht geschehen und ich noch, was ich war!«

      Die Schwester antwortete hierauf: »Wir sind hier auf einmal in sonderbare Umstände geraten und werden schwerlich so friedlich auseinandergehen können, als wir zusammengekommen sind.«

      »Damit Sie erkennen«, versetzte der Vater der Cäcilia, »daß wir nichts Unbilliges verlangen, soll meine Tochter gleich in sichre Verwahrung gebracht werden, und einige von Ihren Verwandten und meine Söhne mögen sie begleiten. Der Fall ist außerordentlich. Wir ergeben uns dann in den Ausspruch des hohen Rats. Inzwischen wollen wir alles aufs strengste ausfragen und untersuchen.«

      Die Ältesten und Angesehensten von der Republik, die hier zugegen waren, versammelten sich gleich auf ein Zimmer allein und machten einen Kreis; die Verwandten blieben in der Nähe, die übrigen Gäste im Tanzsaal, und unten wurden die Türen gesperrt. Die Bedienten kamen erst einzeln nacheinander vor. Keiner wußt etwas, und man fand nirgendwo die geringste Spur. Der Gäste waren viel und mancherlei. Man hatte zwar auf ein paar derselben Argwohn, weil sie vor dem