Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johann Gottfried Herder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066398903
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und das Gesträuch hinein, den Felsen hinunter. Niemand war schon längst mehr auf dem Felde und es schon finster; und der Ort ist überhaupt, wie du weißt, völlig abgelegen. Den Kerl erkannt ich noch, wie ich ihn näher besah; ich habe vor kurzem in einem Wirtshause zum Zeitvertreib mit ihm a la Mora gespielt und ihm nicht allein seinen Verlust geschenkt, sondern die Zeche obendrein bezahlt.«

      Dies entsetzte mich; ich sah die gräßlichen Folgen bei seiner kühnen Entschlossenheit voraus und wußte nichts zu antworten als: »Es ist ungeheuer!«

      »Du sollst nichts dabei zu tun und nichts dabei zu verantworten haben«, fuhr er fort; »nur beschwör ich dich beim Himmel und deinem letzten Tropfen Liebe zu mir, laß mich's ausführen, einen häßlichen politischen Meuchelmörder mehr aus der Welt zu schaffen. O Vernunft, breit allen deinen heitern Äther in meinem Verstand aus, daß ich kalt genug zu Werke schreite! Wenn er morgen auf der Hochzeit mit dir von mir sprechen sollte, so sage nur, du habest mich die letztern Tage nicht gesehen, ich streiche so oft im Lande herum und suche Schönheit in Gegenden und unter Menschen; und gib im übrigen auf alles acht, was vorgeht, besonders auf dem Ball in der Nacht.«

      Ich war betäubt von allen diesen Dingen und wußte mir nicht zu helfen. Es war da kein Rat, als entweder ihn oder den andern aufzuopfern; und vor dem ersten Gedanken schauderte meine Seele wie vor ihrem Nichtsein; den königlichen Jüngling vom rächerischen Arm der Natur bewaffnet, voll innerm Gehalt, der überall hervorstrahlt: oder den mißgeschaffnen Boshaften, der das Vortrefflichste aus kleinlicher Leidenschaft und elendem Interesse wegtilgt? Es fand weder Wahl noch ein ander Mittel statt.

      Ich gab ihm nach der Überlegung zur Antwort: »Du sollst mich als deinen Freund erkennen; an deinem Mut und deiner Klugheit im übrigen darf ich nicht zweifeln. Jedoch bedenke vorher, was du tust und daß dein Leben selbst dabei in äußerster Gefahr ist.«

      »Was soll mir ein Leben, das Sklaverei duldet und Unrecht leidet?« erwiderte er, »schändliches Unrecht! und das grausamste! O ich weiß, daß das ewig lebt, was in mir lebt, und daß dies keine Gewalt zugrunde richtet. Ich war, was ich bin, und werd es sein: ein edler Geist, den sein göttlich Urwesen durch alle Zeiten von der Drangsal niedriger Verbindungen immer bald erlösen wird. O wären viele wie ich! der Tyrannei unter unserm Geschlecht sollte bald weniger sein. Aber da fürchten sie sich vor dem Wörtchen Tod und glauben, sie wären das, was da kalt und bleich und starr ausgestreckt auf dem Brette liegt, da es nur das Gespenst der eigentlichen Unterwelt ist, das ihre niedrigre Gattung von Wesen nach seinen jämmerlichen Bedürfnissen herumfoltert, und alle reine Seele mit Apostelstimme den verachtet, der keinen Mut hat, zu sterben und sich von dem Elend frei zu machen.«

      Mich dünkte, einen Gott reden zu hören: so stolz und groß stand der Mensch vor mir; ich mußte ihn an mein Herz drücken.

      Allein der mißlichste Punkt bei der Sache war Cäcilia; dies machte ihm am meisten zu schaffen, und er überlegte auf allen Seiten. Er glaubte, daß es endlich auch hier gehen würde, und sei der Gewalt sicher, die er über ihren Willen habe! sie selbst ins Spiel verflochten, und der außerordentlichen Biegsamkeit ihres Geistes und ihren andern Fähigkeiten die Rolle nicht zu schwer. Er müsse das Äußerste wagen, sie diese Nacht noch zu sprechen: es wäre notwendig, daß sie sich vorher darauf bereite.

      Übrigens sahen wir immer klärer in dem, was vorgegangen war. Mark Anton stieg nicht aus bloßer Höflichkeit bei seiner letzten Ankunft an unserm Haus ab, da er es bei den vorigen Besuchen nicht tat, die er bei seiner Braut ablegte; der Großherzog mochte Wind bekommen haben, wie der junge Frescobaldi heranwüchse und daß kein bloßer Maler in ihm stecke, weswegen ihn der Adel zu Florenz gewissermaßen verachtete, und wollte beizeiten der gefährlichen Brut den Nacken brechen. Der Mörder des Vaters hatte denselben in Venedig ausgekundschaftet und sein eigen bös Gewissen dazu angetrieben. Das andre ergab sich von selbst: er ließ ihn bei sich malen, um ihn genauer kennenzulernen und ob er wirklich gefährlich wäre; und Ardinghello beschleunigte mit den ohne alles Arg gesagten Worten: ›er war ein Schwertfeger und machte gute Klingen‹, die ihm vielleicht der Zorn des Himmels eingab, dem Verbrecher das Todesurteil anzukündigen, seinen Untergang, wenn es nicht anders verhängt gewesen wäre.

      Der Ursprung dieser Begebenheiten war uns aber damals unbekannt, und Ardinghello erfuhr ihn erst, als er wieder nach Florenz kam. Mark Anton verliebte sich dort gleichfalls in Isabellen und bracht es so weit mit seinem Geld und seiner ihr neuen gefälligen venezianischen Mundart, daß auch ihm, der Seltenheit wegen, eine Zusammenkunft versprochen wurde. Allein statt des gehofften Vergnügens fand er durch geheime Veranstaltung des Vaters von Ardinghello in ihrem Zimmer eine alte magre Ziege angebunden und schlich wieder davon, als ob er nicht dagewesen wäre. Lächerlich dadurch bei ihr gemacht, hatte die ganze Liebesgeschicht ein Ende. Mark Anton nahm dies zwar nicht wie einen lustigen Streich bei dergleichen Laufbahnen auf die leichte Achsel; doch konnt er sich sogleich nicht rächen und ließ die Sache lieber im verborgnen. Der Großherzog, in der Folge davon benachrichtiget, gebrauchte ihn hernach, als ein Mann, der seine Leute kannte, zu seinen Absichten. Ardinghello, noch Knabe, bekümmerte sich nicht um solche Dinge. So entstehen immer die wichtigsten Folgen aus Kleinigkeiten.

      Ich ging darauf zu meiner Mutter, und er schloß sich auf sein Zimmer. Um Mitternacht schlich er heraus und stieg in Cäciliens Garten. Sie hatten sich gleich im Anfang ihrer Liebe Zeichen für Augen und Ohren erfunden, die kein andrer Mensch verstand und die ohne allen Verdacht waren. Sie vernahm ihn und erschrak: diese Zeit über sollte keine Zusammenkunft mehr gehalten werden; und besann sich, ob sie kommen oder nicht kommen wollte. Als er aber darauf das Zeichen gab, wo alles mußte gewagt werden; denn auch dies hatten sie, im Fall, wo sie sich die höchste Gefahr entdecken mußten: so ging sie zitternd nach der Tür, und ihr sanken die Knie ein.

      Kapitel 10

       Inhaltsverzeichnis

      »Cäcilia«, sprach er zu ihr, wie sie im verborgensten Buschwerk an der Mauer beisammen waren, »ich bin verloren, wenn ich deinem Bräutigam nicht zuvorkomme«; und erzählte ihr die Begebenheit den Abend mit dem Banditen und alles in wenig Worten, was sie noch nicht wußte. »Morgen nachts, wo nur immer möglich, schaff ich ihn aus der Welt, und ich hoff, es soll bei dem festlichen Geräusche nicht an Gelegenheit fehlen, wenn du nicht lieber mich willst hingerichtet sehen.«

      Jedes Wort war ihr ein Donnerschlag.

      »O welch ein Sturm wälzt sich über mich her!« rief sie aus, entsetzt, nach langer Betäubung; »schon tauml' ich mitten in den erzürnten Wogen, von Abgründen zu Abgründen geworfen, und alle Winde rasen. Ach, wäre ich mit dir aus dem Schiffbruch auf einer wüsten unbewohnten Insel nur! Aber wir gehen unter in den wilden Fluten.«

      »Mir sagt's mein Herz«, erwidert' er darauf, »daß wir glücklich der Gefahr entkommen. Habe Mut, himmlisch Wesen! Der Wellen Ungestüm verletzt kein Gestirn; es tritt desto glänzender bald wieder auf und strahlt in ewiger Klarheit.

      Niemand weiß von unsrer Liebe (der Edle wollte seinen Freund auf alle Weise außer Gefahr setzen). Niemand weiß von dem schändlichen Vorhaben des Mark Anton gegen mich; sein Spion und Mörder meines Vaters modert schon zwischen Klippen und Dornen: solche Dinge vertraut man nicht, außer gegen wen man muß. Der Großherzog ist noch weit von hier, mich soll er so leicht nicht in die Schlinge bekommen. Schlage mich aus dem Sinn die kurze Zeit des Getümmels, und tu, als ob du von mir nichts wüßtest: und du bist sicher. Über mich waltet die Vorsicht: sonst wär ich dem Tod nicht entgangen, und sie hätte mir meinen Pfad nicht gezeigt.«

      »O wie kann ich dich, Geliebter, einen Augenblick vergessen? Wie kannst du vergessen meine Seligkeit und mein Leiden?« fiel sie ihm mit Tränen an seine hochklopfende Brust; fuhr aber bald hastig auf und ergriff ihn, zurückstoßend, klammernd bei der Hand: »Fort von hier, über Berg und Tal, laß mich! O hätt ich dich nie gesehen, o ich Unglückselige! Ich beschwöre dich bei aller unsrer Wonne, bei deiner und meiner Liebe«, stürzte sie sich ihm zu Füßen und umwand seine Knie: »überwältige dich meinetwegen, der Ruhe meiner Familie wegen, verschiebe wenigstens die Rache! Mich fesselt das grausame Schicksal mit eisernen Ketten an mein Elend, und ich kann ihm nicht entrinnen: du aber