Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johann Gottfried Herder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066398903
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man erkundigte sich nur sehr scharf unter der Hand, wo sie während der Tat sich befunden hätten. Sichre Personen legten gut Zeugnis für sie ab, daß sie in ihrer Gegenwart gewesen wären.

      Insoweit war also die Untersuchung vergeblich. Man schickte darauf Leute in die Gegend aus, um jeden Verdächtigen festzuhalten, welches man freilich eher hätte tun sollen: allein im ersten Aufruhr dachte niemand daran; und Ardinghello, einer der schnellsten Fußgänger, befand sich zu dieser Zeit schon in Sicherheit.

      Was Cäcilien betraf, konnte man nicht nach aller Strenge verfahren, da es der Wohlstand und das Ansehen ihrer Eltern und Brüder nicht zuließ, welche beide letztere bei dem Sieg über die türkische Flotte sich den Namen großer Helden erworben hatten; alle waren außerdem dem reizenden Geschöpf gewogen und keiner von Herzen dem Bräutigam. Mancher machte sich in Rücksicht ihrer Hoffnung, entweder sie ganz zu besitzen, nun eine der reichsten Partien von Venedig, noch unabgeweidet in frischer Blüte; oder doch auf irgendeine Gefälligkeit bei solcher Lage Rechnung. Wenn ein Mensch einmal tot ist, hört bald alle Gunst auf; und wer am Leben bleibt, hat immer das beste Spiel. Dies ist in der Natur der Dinge; einem Toten ist doch nicht mehr zu helfen, denken sie, und es kömmt dabei nichts heraus. So ging's zu Venedig, wohin Cäcilia sich noch dieselbe Nacht unter Begleitung ihrer Brüder und der Verwandten ihres Bräutigams, mit etlichen Personen vom Rat, auf den Weg machen mußte, bis ihre Schwangerschaft sich völlig offenbarte. Sie wurde zwar nach der Form gehörig bewacht und befragt: allein da man gar keine Angaben, nicht den geringsten Verdacht und sie einen Bartolus und Baldus in derselben Person zum Advokaten hatte, endlich freigesprochen; und sie selbst verstand meisterlich die Seelen zu fesseln und spielte durchaus ihre Rolle vortrefflich: in dem kurzen Umgange mit Ardinghellon hatten sich ihre seltne Naturgaben herrlich noch entwickelt und ausgebildet.

      Zu Anfang des neunten Monats darauf wurde sie, in Beisein gerichtlicher Zeugen, von einem gesunden kräftigen Sohn entbunden, welcher in der Taufe die Namen S. Marco Giovanni e Paolo empfing; und niemand wußte die geheime Bedeutung. Sie gelangte damit zum rechtlichen Besitz aller Güter Mark Antons, dem ihre Brüder ein prächtiges Grabmal von dem berühmtesten Bildhauer mit einer sinnreichen Inschrift von dem besten lateinischen Poeten besorgten, und trauerte lange und hielt sich eingezogen von allen Lustbarkeiten.

      Ardinghello hatte sich nach glücklich vollbrachter Tat durch Umwege schnell auf sein Zimmer gemacht und geschwind umgekleidet; er war sicher, von niemand bemerkt worden zu sein, und wollt im Freien unter der fremden Kleidung nicht länger bleiben. In unsre Wohnung konnt er nach Belieben herein und heraus, weil er den Schlüssel zu der einen Außentür von seinem Flügel hatte. Auch war ohnedies alles aus dem Palaste nach einem guten Platz zum Feuerwerk gelaufen, dem zauberischen Schauspiel über dem See. Inzwischen machte er sich doch behend auf jeden Fall gefaßt und lauerte nahe bei seinem Zimmer im Garten, bis ich mit meiner Mutter nach Hause kam und ihm das glückliche Zeichen gab; das Fest war gänzlich verstört, und ich hielt nur so lange aus, als es sich schickte, um nichts zu versäumen.

      Auf ihn fiel nicht der mindeste Verdacht, weder hier noch in Venedig. Dort wurde bei einigen jungen Herren strenge Nachforschung gehalten, die mit heftiger Leidenschaft vorher um Cäcilien warben; aber es kam nichts heraus, und die Ermordung blieb ein Rätsel.

      Zweiter Teil

       Inhaltsverzeichnis

       Inhaltsverzeichnis

      Ardinghello wollte nun nicht länger in der Gegend bleiben: die Sonne war hinweg, die ihn an sich zog und um die er sich herumbewegte; aber auch für jetzt nicht wieder nach Venedig. Und wenn sich dort die Sachen aufs glücklichste setzten, so sah sein Geist in der Zukunft Dinge, die ihn folterten. Süßigkeit vollführter Rache, Gram, von Cäcilien geschieden zu sein, Kummer ihretwegen und Sorge für seine eigne Sicherheit wechselten in seinem Herzen plötzlich auf und ab wie ein Aprilwetter. Sich länger aufzuhalten war gefährlich, weil man unter den Papieren Mark Antons vielleicht Aufträge von Cosmus finden konnte: und sich gleich aus dem Lande zu machen schien verdächtig. Endlich entschloß er sich, nach Überlegung aller Umstände, noch einige Tage zu harren und inzwischen scharf auf seiner Hut zu sein. Es kam uns nicht wahrscheinlich vor, daß der Großherzog seinen und seines Vaters Tod schriftlich sollte verhandelt haben; und ein Vertrauter, wenn er auch noch da wäre, wie nicht zu vermuten, durfte bei Schlechtigkeiten von so üblem Erfolg keinen Lärm machen, zumal da er doch nicht sicher wäre und nur mutmaßen könnte.

      Ardinghello stellte sich aufgeräumter an als je; und wenn in Gesellschaft die Rede auf die Begebenheit kam, so schwieg er entweder oder pries Mark Anton glücklich, daß er so gerad in voller Freude starb; und auch Cäcilien, daß sie so geschwind als möglich von dem harten Joche der Ehe sei ausgespannt worden.

      Wir fischten dann auf dem See, gingen auf die Jagd und lasen noch dabei zu guter Letzt die schönsten Oden im Pindar, der seine Seele vom neuen mit hohem Taumel schwellte und in etwas seinen Sinn von der Gegenwart wegwandt. Die Romanze aller Romanzen auf die Insel Rhodos besonders entzückte ihn so, daß er sie bald auswendig konnte. Seine Phantasie kam wieder ganz in das Götterreich der Poesie hinein, die Spiele griechischer Jugend rissen sein Herz dahin, süße Liebe und solche Taten pries er allein ein würdig Frühlingsleben; alle seine Kräfte tobten und wurden ungestüm: er wollte fort in die Welt, in Bewegung, auf eine neue Bühne, und war nicht mehr zu halten.

      Keine volle zwei Wochen nach Cäciliens Abreise brach er auf. Er schrieb vorher an seine Tante um einen Wechsel nach Genua; er gedachte von dort nach Frankreich zu schiffen und dadurch nach Spanien zu wandern, bis an die letzten Küsten von Portugal. Mir band er unterdessen Cäcilien aufs Herz und daß ich ihm von ihr bei jeder guten Gelegenheit Nachricht geben sollte. Sobald sie frei wäre, müßte vermittelt werden, daß wir alle drei zusammen eine Freundschaft ausmachten. Für unsre Heimlichkeiten bildeten wir uns eine jedem andern unergründliche Schrift und wollten bei den Hauptpunkten das Neugriechische gebrauchen. Seine Wiederkunft würde alsdenn von den fernern Umständen abhangen.

      Seine Reise nach Genua nahm er sich vor zu Fuße zu tun, und so sollt es sein Leben lang durch alle schöne Gegenden geschehen; er hielt es für Torheit, sie anders zu machen, wenn man gesund und stark wäre und keine notwendige Eile hätte: die Natur von Land und Leuten könne man auf keine andre Weise so gut kennenlernen; und was die Straßenräuber beträfe, so sei man im Wagen der Gefahr weit eher ausgesetzt, und die ärgsten würden von Billigkeit zurückgehalten gegen ein harmloses Geschöpf, das ohne bürgerlichen Reichtum, wie sie, bloß menschlich einherschreitet.

      Er ließ mir alle seine Habseligkeiten zurück und nahm nichts mit sich als einen wohlgespickten Beutel und ein Hemd und ein Paar Strümpfe außer denen, die er anhatte.

      An einem Abend beurlaubte er sich von meiner Mutter, die weichmütig Tränen vergoß und ihn an ihre Brust drückte; er wurde von ihr geliebt wie mein Zwillingsbruder. Sie gab ihm ihren reinsten Segen und bat zu Gott, daß er sie erhören möchte, da er nicht länger bleiben wollte; und sagte ihm zuletzt, daß sie sich oft nach seinem Umgang sehnen würde. Ihr machten wir weis, daß er wieder in seine Heimat zöge.

      Wir brachten die Nacht alsdenn beisammen zu, so recht wie klare Quellen von Leben, wo alle Blicke durchgehen; ich wünsche mir nie eine größre Seligkeit. Aber ach! was ist der Mensch? ein Punkt, zerfetzt und zerrissen vom Schicksal auf allen Seiten, und unaufhaltbar fortgetragen in den wilden Fluten der Dinge, wo er weder Anfang noch Ende sieht.

      Gegen Morgen fuhr er auf, steckte die alte Handschrift von den Denkwürdigkeiten des Sokrates in die Tasche, die ich ihm fein und wohlgeschrieben mit auf den Weg gab, und die griechischen lyrischen Dichter von Heinrich Stephan; warf seine Zithar über die Schulter, daß sie stürmisch erklang, drückte mich noch einmal an sein Herz und küßte seine ganze Seele auf meine Lippen, und schoß von dannen. Ich erbebte wie von einem Todesschauer und sank wie ins Grab. O Elend und Jammer, hienieden ohne Freund zu sein! und Stolz und Jubel und Kühnheit, wo zwei ihr Wesen verdoppeln!