Der andere könnte auch recht haben. Klaus Pinkas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Pinkas
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783991310402
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der gegenwärtigen Krise ging es vor allem um Wettbewerb, heute geht es um Solidarität. Worum wird es nach der Krise gehen? Wenn man aus der Erfahrung lernen will, wird die Krise eine Neuorganisation des gesellschaftlichen Lebens hervorbringen, die nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die ökologische und die militärische Sicherheitspolitik betreffen wird.

      Mit dem Hinweis auf den demokratischen Grundsatz, der andere könnte auch recht haben, stelle ich im folgenden Text meine Meinung zur Disposition und räume ein, dass die Leser die Wirklichkeit genauer sehen und besser interpretieren mögen.

      1. Allgemeine Darstellung

      Das, was heute unter Demokratie verstanden wird, beruht auf der Entwicklung des 18. Jahrhunderts in Frankreich. Die Revolution 1789 agierte unter den Gedanken von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“; das ist heute der Wahlspruch Frankreichs. Davon erfreut sich der Grundwert Freiheit größter Beliebtheit; Gleichheit als Verzicht von Präpotenz und von Missbrauch der Macht durch die Träger öffentlicher oder privater Machtfunktionen wird vollinhaltlich akzeptiert, wenn auch nicht immer vollzogen. Ein Problem allerdings gibt es noch mit der Brüderlichkeit, die heute wegen der Stellung der Frauen besser Solidarität genannt werden sollte.

      Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass etwa die in Österreich bisher für die Sozialordnung zuständigen Parteien Probleme mit der Einführung notwendiger ökologischer Maßnahmen (etwa CO2-Steuern) haben, weil sie den unteren und untersten Einkommensbeziehern wegen der Arbeitswege nicht zumutbar seien. Die bisherige Solidarität zeigt sich also als nicht ausreichend, um zukünftigen Schaden zu verhindern; damit würde die Demokratie an ihrer Imperfektion scheitern. Für die Handlungsfähigkeit einer Demokratie ist ein breiter Mittelstand von gut gebildeten Bürgern günstig; Demokratie ist ein Kulturgut und nicht einfach zu haben. Im Unterschied zur Armut, die naturgemäß vor allem nur die Armen trifft, bedroht der Corona-Virus alle – so wird die verbreitete Hinwendung zur Solidarität verständlich. Ob sie über die Lebenszeit des Virus hinaus überlebensfähig bleibt, wird sich weisen.

      Der soziale Ausgleich stand wohl auch im Fokus der Gründungsidee der modernen Demokratie, denn sie richtete sich gegen die strukturelle Ungleichheit in der Gesellschaft unter der Adelsherrschaft und der sie unterstützenden Kirche – beide Gruppen waren wohlhabend und steuerfrei. In einer Hungersnot – ein Vulkanausbruch in Island hatte auch in Frankreich eine kurze Eiszeit mit Missernten ausgelöst – verkaufte der König Getreide nach England und zeigte damit, dass er sich für sein Volk nicht verantwortlich fühlte.

      Aufgrund dieses beispielhaft gezeigten Solidaritätsmangels des Feudalismus ist es sukzessive zur Bildung von Demokratien gekommen. Zu dieser Gesellschaftsentwicklung trug die Kapitalismusidee wesentlich bei; doch mittlerweile tritt der Kapitalismus in die Fußstapfen des Feudalismus, was damals noch nicht absehbar war. Das Markenzeichen des Feudalismus ist die freie Vererbbarkeit des Kapitals; die Demokratie ist gefordert.

      Die Fähigkeit, gesellschaftliche Probleme wie etwa das ökologische zu lösen, hängt wesentlich von den gesellschaftlichen Bedingungen ab. Für einen kleinen Staat wie Österreich, dessen Bevölkerung nur ein Promille der Weltbevölkerung ausmacht und dessen Regierung nur eine geringe Wirkkraft aufzubieten hat, ergibt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines Lösungsversuchs; nach innen traut sie sich offensichtlich nicht und nach außen kann sie politisch kaum wirken.

      Wie kann man sowohl die Mittelschicht zum Energiesparen zwingen als auch die Reichen und hyperreichen JetSet-Konsumenten in ein solches Programm bringen. Die untersten Einkommen tragen wenig zum CO2-Ausstoß bei. Wie teuer müsste Energie sein, dass auch Warren Buffett mit seinem Vermögen von 83 Milliarden Dollar oder die beiden privaten Weltraumfahrer Richard Branson und Jeff Bezos energiesparend leben müssten?!

      Wenn auch nur einer der drei Aspekte der Demokratie, in diesem Fall die Brüderlichkeit, fehlt, ist sowohl das System als auch die Gesellschaft gefährdet. Der amerikanische Traum, vom Tellerwäscher zu Millionär zu werden, hat ausgedient, ein gutes Beispiel für die Gesellschaft zu sein.

      Kann sich eine Demokratie einen vernünftigen und vertretbaren Umgang mit Energie verordnen? Als die fortschrittlichen Staaten in die Technisierung (Mitte 19. Jh.) und später in die Übertechnisierung (Mitte 20. Jh.) eintraten, beachteten sie ihre Vorbildwirkung nicht; in ein paar wenigen Staaten könnten die Menschen „wie Gott in Frankreich“ leben; aber für alle werden die Ressourcen knapp. Die Vorbildwirkung, die man anfangs und bisher außer Acht gelassen hat, wird nun ein wichtiges Überlebensmittel. Irgendwer muss anfangen und vernünftig werden – und warum nicht gerade auch wir Österreicher, die wir früher mit anderen Völkern Vorreiter in die Technisierung waren?

      In den ersten hundert Jahren nach dem Ursprungsereignis der modernen Demokratie gab es in Europa nur Teilerfolge; auch bisher zeigt sich die Entwicklung als mühsam. Immerhin sind im Rahmen der Aufklärung, die der Revolution Pate stand, die Leibeigenschaft als die christlich modifizierte Form von Sklaverei in West-, Süd- und Mitteleuropa und auch die harte Sklaverei in der Welt weitgehend abgeschafft worden. Die Menschenrechte kamen zum Tragen, das aktive und das passive Wahlrecht als das Kernstück der Demokratie ließen auf sich warten.

      Nach europäischem Verständnis gilt das antike Griechenland als die Wiege der Demokratie. Zum einen entsprachen ihre Demokratien nicht dem heutigen Ansatz; nur ein kleiner Teil der Bevölkerung nahm an ihr Teil – nur die männlichen Bürger einer Stadt, nicht die Frauen und die Bewohner des Umlandes, die am Wirtschaftsprozess teilhatten und jedenfalls auch nicht die Sklaven. Aber das war nur ein organisatorisches Problem; diese „unvereinten“ Stadtdemokratien standen häufig miteinander im Konflikt und scheiterten an ihrer Unfähigkeit, der Macht der Römer, die ihr Reich als Flächenstaat organisiert hatten, Widerstand entgegenzusetzen.

      In der Vor- und Frühzeit konnten kleine Gemeinschaften demokratisch oder autoritär geführt werden; große Gemeinschaften bedurften offensichtlich aus organisatorischen Gründen einer autoritären Führung. Das Römerreich hatte mit dem Senat zwar einen demokratischen Ansatz; dieser war aber räumlich und zeitlich minimal; für eine demokratische Führung reichten die gegebenen Möglichkeiten nicht aus. Großbritannien und die USA zeigten allerdings, dass Demokratien möglich sind, wenn auch der Nachrichtentransport im Pferdetrab abläuft. Weil der Kandidat für die politische Vertretung dem Volk nicht bekannt ist, kann sich die Demokratie mit Wahlmännern helfen und sich als repräsentative Demokratie einrichten.

      Das Römerreich sowie die anderen Imperien wurden autoritär geführt – Imperien werden gleichsam als eine Art Eigentum des Herrschers gesehen – seien es Könige, Diktatoren oder Politbüros – und die Menschen werden nur als dessen Bewohner betrachtet. Aus dieser Idee heraus kann Das Land schrumpfen und Wachsen; der Herrscher kann aus diesem Selbstverständnis Länder oder Landesteile erobern, erben, kaufen oder verkaufen. über das alte Österreich sagt Grillparzer (in König Ottokar/Glück und Ende): „Es ist ein gutes Land, wohl wert, dass sich ein Fürst sein unterwinde“.

      Und wenn der letzte Präsident der USA Donald Trump unlängst den Dänen Grönland abkaufen wollte, so bedeutet das fürs Erste nur eine individuelle Fehlhaltung und noch keinen Systemwechsel im Land. Natürlich aber können die USA sowohl aufgrund ihrer militärischen als auch ihrer wirtschaftlichen Stärke Einfluss weit über ihre Grenzen hinaus ausüben. Manche werfen den USA imperialistische Tendenzen vor: aber ob der Satz „Macht zeigt den Charakter“ oder der Satz „Macht verdirbt den Charakter“ eher stimmt, lässt sich nicht leicht sagen. Jedenfalls tun sich Staaten, die kaum eine oder keine Macht haben, leichter, dem Prinzip der Gewaltlosigkeit gerecht zu werden.

      Die Reichsidee baut auf eine Führungsspitze – eine oder wenige Personen, die mit einer Stimme den Willen des Volkes vorgibt und durchsetzen kann; diese Idee meint eine Diktatur, die ein Kollektiv beherrscht. Die moderne Demokratie ist hingegen der Ausfluss des Volkswillens, der durch gewählte Repräsentanten vertreten wird. Hier handelt es sich um Individuen, die sich in einem Staat zu einem Volk verbinden. Dieser theoretische Ansatz vollzieht sich natürlich nicht immer störungsfrei.

      In der Aufklärung zur Zeit der großen Revolution in Frankreich (1789) entstand neben der Idee der Menschenrechte auch die Idee des Staates; die Bürger eines bestimmten Landes bilden als Nation