Sandors Hand vibrierte und er versuchte, das Zittern zu ignorieren, wollte immerhin dem Rest der Geschichte lauschen, wie Kata sie erdacht hatte, doch der Log schien darauf zu bestehen, dass er die Information sofort überprüfte. »›Jedoch, höre Bär‹«, sagte sie: »›Nur unter einer Bedingung wirst du frei von mir sein.‹« Das Vibrieren hörte nicht auf. »›Nur wenn deine Wünsche anderen helfen, dir jedoch in keiner Weise von Nutzen sind, sind wir frei voneinander.‹ So richtete sich der Bär auf, saß und blickte ins Meer hinaus, hielt sich den pelzigen Bauch, in dem nun der Schmerz lebte, schniefte und dachte nach.«
Doch das Zittern hörte nicht auf und Sandor gab nach: Darf der Log auf Ihre Termine zugreifen? Der Log wusste, dass er zu spät war. Als hätte der Log mit diesem winzigen Chip fühlen können, dass er zu spät gekommen war. Der Log versprach, dass man nicht mehr zu spät kommen konnte. Dass man stets an Termine zeitgerecht erinnert würde. Ja, schon gut, greif darauf zu, lass mich in Ruhe. »Sein dritter Wunsch jedoch«, fuhr Kata fort, »war die Freiheit des Libellenfürsten. Eine Freiheit, die auch ihn befreit hätte. Und wer weiß, vielleicht sitzt der Bär noch heute an diesem Strand, mit schmerzendem Bauch und grübelt über die Freiheit.«
Er hatte ein gutes Stück des Märchens verpasst. So lange hatte er sich geweigert, den Stent implantieren zu lassen, weil er geglaubt hatte, es würde ihm lästig sein, und nun grämte er sich, weil er recht behalten hatte: Der Log hatte eines ihrer Rituale gestört. Seines und Katas. Er war bislang auch ohne einen Log durchs Leben gekommen. Warum sollte er jetzt einen brauchen. Er hatte Kata ganz ohne Log gefunden. Der Zufall hatte ihm Kata geschenkt, nichts weiter. Der Zufall, dass die Frau, die er verstohlen bei all ihren Sendungen beobachtet und mit der er nicht zu sprechen gewagt hatte, die selbst durch das Studio schwirrte wie eines der Zauberwesen, von denen sie erzählte, ihm Aufmerksamkeit schenkte.
Mittlerweile war Nacht und er legte seinen Kopf auf seinen Arm, den er auf die Fensterbank gestützt hatte, und schaute hinaus auf die Häuser der Stadt. Katas Aufzeichnung war vorbei. Sie kam auf ihn zu. »Woran denkst du?«, fragte sie. »An die Nacht, als ich dich fand.« Sie lächelte. Dann sagte sie: »Du bist zu spät gekommen.« Sandor nickte. Diese eine Nacht hatte sie damals zusammengebracht und er liebte es, sich daran zu erinnern.
Die jetzige Staffel seines Lebens war weit besser als alle zuvor, weil sie da war. »Sando, deine Aufzeichnung fängt in zehn Minuten an«, sagte die Assistentin zu ihm. Kata strich ihm über die Wange. Es sind diese kleinen Gesten, die sie ausmachen. Über dem letzten Assistenten hatte der Aufsichtsrat den Bannhammer geschwungen, weiß der Teufel warum, aber die Neue machte ihre Aufgabe gut. Er seufzte. »Wir sehen uns zum Essen?«, fragte Kata und er nickte. Wie immer. Sie würde im Café im Erdgeschoß auf ihn warten. Er hatte das heutige Menü noch gar nicht gelesen. »Mochtest du die Aufnahme?«, fragte sie noch, während sie ihre Tasche schulterte. Sandor nickte: »Ist sonnig geworden.«
»Lyrie mochte sie besonders gerne«, erwiderte Kata und er rechnete nach, wann seine Tochter von den geführten Ferien zurückkommen würde. Sie hatte auf dem Hof mit dem kleinen Streichelzoo bereits ihr eigenes Zicklein und hatte sich endlich eine Ferienoma ausgesucht, meinte aber immer, wenn sie telefonierten, dass diese nicht so schön erzählte wie Kata. Über den Bildschirm flimmerte die Werbung für eine Kinderlog-Zusatz-App, mit der die Eltern selbst bestimmen konnten, welche Begriffe zusätzlich zu den gesetzlich vorgegebenen noch ausgespart wurden. »Piepmatzpiep« nannte sich das Konzept, und die Werbefiguren waren kleine gelbe Cartoonvögelchen im Nest, denen die Eltern fröhlich etwas vorpiepten. So fröhlich und erbaulich solle das Geräusch klingen, das die Kinder bei »bösen Wörtern« zu hören bekämen.
Trashalong zupfte ihr Kostüm zurecht und nahm der Assistentin das Klemmbrett aus der Hand: »Worüber soll ich reden. In kurz bitte.« Sie schien sich nur mäßig für ihre redaktionellen Inhalte zu interessieren. Als hätte sie keine Leidenschaft für ihre Aufgabe im Äther. Sandors Hand juckte, als er sich vor den Greenscreen stellte, und sie juckte, als er ankündigte, dass es schön sein würde die nächsten Tage, dass selbst frühere Spionagesatelliten Wetterdaten lieferten, wenn auch ursprünglich nur als Nebenprodukte. Dass das Wetter selbst dort oben keinen Einfluss hatte, da es sich größtenteils in den unteren zwei Kilometern der Atmosphäre, nämlich der Peblosphäre, abspielte, und sie juckte, als er zu den praktischen Bekleidungsempfehlungen des FancyFashion-Segments überleitete. Sie juckte, als ihm das Wort wieder erteilt wurde und er über das Blau des Himmels sprach und dass es uns beruhigt, weil es der Himmel ist und das Meer seine Farbe in rhythmischem Rauschen spiegelt, und hätte aufgrund eines kuriosen Fehlers unsere Atmosphäre immer schon nur den roten oder gelben Teil des Spektrums durchgelassen, dann fänden wir diese Farbe, einen roten Himmel, ein rotes Meer, einen gelben Himmel, ein gelbes Meer beruhigend. Er erinnerte die Menschen daran, ausreichend zu trinken, man musste hydriert bleiben, auch wenn es keine große Hitzewelle gab, die Getränkehersteller hatten einen Vertrag mit dem Äther. Er schloss die Sendung wie immer mit den Worten: »Bleiben Sie sonnig.« Und lächelte in die Kamera. Manchmal sagte er sich, dass es seine Stimme war, wie er sie in den Äther schickte, die die Sonne scheinen ließ, auch wenn er wusste, dass das Unsinn war. Seine Hand juckte, er kratzte sich. Er würde eines dieser Moskitomittel darauf sprühen, die er zu Hause hatte, die zwar der Ursache des Juckens nichts anhaben konnten, jedoch das Gefühl betäubten. Dann würde er den Abend mit Kata gemütlich ausklingen lassen. Er hatte gewusst, dass der Log ihn stören würde.
Er griff nach seiner Tasche, da stieß ihn Trashalong, die für das FancyFashion-Segment zuständig war, in die Seite: »Ich finde mich in deinen Worten wirklich nicht wieder. Mach das nie mehr! Ich melde dich!« Sandor war verwirrt. Er wusste nicht, was sie meinte. »Was soll ich nicht mehr machen?«, fragte er ehrlich erstaunt, was wohl an Trashalong vorüberging. »Und jetzt spottest du über mich! Weißt du was, das war unmoralisch! Und es hat mich schlecht dastehen lassen. Ich werde dafür sorgen, dass man dich ersetzt, wenn das noch einmal passiert. Dich braucht hier nämlich niemand!«
Dann zog sie schimpfend ab. Die Assistentin legte ihr den Arm um die Schultern und warf ihm einen urteilenden, geradezu empörten Blick zu. Er wartete einige Minuten, damit er nicht mit den beiden in den Lift steigen musste. Frank ging vorbei, Sandor tippte ihn an.
»Sando, hey.«
»Hast du meine Aufzeichnung gesehen«, fragte Sandor ihn, aber Franks Handpuppe schüttelte den Kopf und Frank lachte dazu. Unter dem Namen Kasimir Stern Kreide betreute er ein Format, das Puppenspielertricks offenlegte und mit den Spielen der Natur verglich. Zuletzt hatte er das Videomaterial des Kampfes zweier Krabben, die in zwei Puppenköpfen hausten – einer war noch recht neu und einer bereits mit grünen und schwarzen Algen überzogen –, besprochen. Ein gruseliges Schauspiel. »Warum?«, fragte er.