Wenn man von Armut spricht, etwa in Bezug auf Familien, muss zwischen verschiedenen Aspekten unterschieden werden: liegt relative oder absolute Armut vor? Handelt es sich um Familien in einer armutsnahen Lebenssituation bzw. so genannte Familien in prekären Lebenslagen?
Armutsgefährdung
„Der aktuellen statistischen Bemessung von Armut liegt europaweit ein Verständnis von relativer Armut zugrunde, d. h. Armut wird definiert in Bezug zum Wohlstand der jeweiligen Gesellschaft. Der zentrale Begriff ist hier die Armutsgefährdungsquote: In Deutschland belief sich der Schwellenwert für Armutsgefährdung im Jahr 2009 für eine alleinlebende Person auf 11.278 Euro im Jahr, was einer Quote von etwa 15,6 % der Gesamtbevölkerung entspricht.“ (Uhlendorff et al. 2013, 75)
Die Armutsgefährdungs- bzw. Armutsrisikoquote liegt in Deutschland seit 2005 etwa auf dem gleichen Niveau, stagniert also trotz einer guten wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahren. Im Jahr 2015 lag sie bei 15,4 % der Bevölkerung, wobei allerdings relativ große regionale Unterschiede bestehen. Die Armutsrisikoquote ist in erster Linie ein Maß der Einkommensungleichheit. Sie misst den Anteil der Personen, deren bedarfsgewichtetes Nettoeinkommen weniger als 60 % des mittleren Äquivalenzeinkommens beträgt. Dabei bleiben die Wirkungen von Sach- und Dienstleistungen unbeachtet, und zwar auch dann, wenn sie das Leben betroffener Personen nachhaltig verbessern (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2017, VI–VII).
prekäre Lebenslage
„Der Begriff prekäre Lebenslage ist weiter gefasst und geht über die Beschreibung einer aktuellen ökonomischen Notlage einer Familie hinaus. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sind auch hier die Teilhabechancen der Familien in prekären Lebenslagen eingeschränkt, obwohl Familien über ein Einkommen verfügen. In diesem Zusammenhang wird auch von Einkommensarmut gesprochen. Zu dieser Gruppe zählt auch die in Europa wachsende Zahl der sogenannten Niedriglohnbeschäftigten, die trotz Vollzeittätigkeit kaum in der Lage sind, für sich und ihre Familien ein Einkommen zu erzielen, das ein Leben oberhalb der Armutsgefährdungsquote ermöglicht (AWO 2010). Neben den Niedriglohnbeschäftigten sind v. a. Ein-Eltern-Haushalte, Familien mit drei oder mehr Kindern sowie Familien mit Migrationshintergrund betroffen.“ (Uhlendorff et al. 2013, 76)
„Soziale Ungleichheit verkörpert sich zwar nicht mehr so kollektiv wie früher in Gruppen und Milieus. Sie scheint in der Struktur abgewandelt zu sein. Soziale Benachteiligung äußert sich heute weniger als kollektive soziale Deklassierung, sondern eher als soziale Nichtberücksichtigung von Gruppen im gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß. Nichts anderes bedeutet die Formel von der Zweidrittelgesellschaft: Auf zwei Drittel der Gesellschaft richtet sich die Politik von Wachstum und Prosperität, das andere Drittel ist an dieser Entwicklung nicht beteiligt, wenn auch leidlich sozial versorgt. Zum modernen Sozialstaat ist also soziale Benachteiligung weniger über die traditionellen Muster sozialer Deklassierung und Randgruppenexistenz begreifbar, sondern eher über das Bild des Ausgeschlossenseins von der gesellschaftlichen Entwicklungsperspektive. Dazu kommt, daß die moderne Konsumgesellschaft Armut verschleiert. Auch die Armen können bei uns konsumieren, auch wenn es nur Billigware ist. Die Konsumgesellschaft suggeriert ökonomische und soziale Teilhabe. Die Menschen tun das ihre dazu, um ihre Armut und soziale Benachteiligung zu verbergen, sie fürchten noch mehr soziale Isolierung, haben Angst, den Anschluß endgültig zu verpassen, wollen zeigen, daß sie dabei sind. Und dies läuft wiederum über demonstratives Konsumverhalten.“ (Böhnisch 1992b, 121)
2. Praxis-Situation: Privates Problem – Soziales Problem
Familie Müller, ein Ehepaar mit zwei kleinen Kindern, hat, was wohl ganz normal ist, hin und wieder Kommunikationsprobleme, Erziehungsprobleme oder auch Eheprobleme. Welche Familie hat das nicht? Aber wann werden diese privaten Probleme zu sozialen Problemen? Zeigen Sie das am Beispiel der Familie Müller auf.
Will man die gegenwärtige Strukturierung des sozialen Systems in Deutschland verstehen, geht man von Artikel 20 des Grundgesetzes aus: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Bei der Strukturierung des Sozialwesens wird davon ausgegangen, dass jeder erwachsene Staatsbürger, jede Staatsbürgerin die Möglichkeit hat und darauf verwiesen ist, den Lebensunterhalt für sich und die Familie durch abhängige oder selbständige Arbeit zu verdienen. Bei Ausnahmen von dieser Regel besteht der Anspruch auf entsprechende Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfen, wie es in § 1 des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuches (SGB) heißt.
Die Grundsicherung für Arbeitssuchende umfasst nach § 1 Abs. 3 SGB II Leistungen
1. zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit, insbesondere durch Eingliederung in Arbeit, und
2. zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Die Sozialhilfe in der Bundesrepublik Deutschland umfasst nach § 8 SGB XII folgende Hilfen:
1. Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 27 bis 40 SGB XII),
2. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§§ 41 bis 46 SGB XII),
3. Hilfen zur Gesundheit (§§ 47 bis 52 SGB XII),
4. Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53 bis 60 SGB XII),
5. Hilfe zur Pflege (§§ 61 bis 66 SGB XII),
6. Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§§ 67 bis 69 SGB XII),
7. Hilfe in anderen Lebenslagen (§§ 70 bis 74 SGB XII)
sowie die jeweils gebotene Beratung und Unterstützung.
Hilfe, zentrales Strukturmerkmal
Es besteht weitgehend Konsens darüber, dass es in der Sozialen Arbeit im Wesentlichen um Hilfe(leistungen) geht. Hilfe ist das zentrale Strukturmerkmal der Profession Soziale Arbeit. Dabei muss man allerdings feststellen, dass sich der Hilfebegriff bei sich verändernden gesellschaftlichen Strukturen ebenfalls verändert hat. Er ist durch historische Entwicklungen zu einem komplexen Begriff geworden. Im Folgenden soll dieser komplexe Begriff ‚Hilfe‘ einer detaillierteren Betrachtung unterzogen werden.
Unter Hilfe versteht man ein öffentliches soziales Handeln, als Sorge für diejenigen Menschen in einer Gesellschaft, die während bestimmter Lebensphasen und/oder in bestimmten individuellen und sozialen Lebenslagen ihre Angelegenheiten nicht selbst und auch nicht mit Unterstützung der Menschen ihres unmittelbaren Lebensumfeldes regeln können. Die Beantwortung der Fragen
■ Wem wird geholfen? (Auswahl derjenigen, die Hilfe bekommen sollen)
■ Wann wird geholfen? (Anerkennung bestimmter Bedürfnisse)
■ Warum wird geholfen? (Motive der Hilfeleistung)
■ Wie wird geholfen? (Art und Weise des jeweiligen Vorgehens)
wird beeinflusst durch das in einer Gesellschaft geltende Menschenbild und der Vorstellung vom menschlichen Zusammenleben bzw. dem gesellschaftlichen Wertesystem. Um soziale Hilfe gewährleisten zu können, kann man aus geschichtlicher Sichtweise drei Formen unterscheiden:
■ Privat-lebensweltliche Form der Hilfe: Diese Form nimmt tendenziell immer mehr ab. Man kann davon ausgehen, dass privat geleistete, „barmherzige Liebesdienste“ endgültig zu verabschieden sind.
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