■ Personenbezogene soziale Dienste: Soziale Arbeit und öffentliche Erziehung sind notwendig gewordene Institutionen, die Hilfeleistungen der privat-lebensweltlichen Form immer mehr übernehmen (Rauschenbach/Gängler 1992, 46).
Der Begriff soziale, d. h. öffentliche Hilfe ist heute vielfach vorbelastet (Schefold 2002, 875–881), z. B. dadurch, dass es für Menschen in manchen Fällen offenbar peinlich ist, Hilfsangebote anzunehmen. Man signalisiert durch das Ersuchen von Hilfe, dass man in einem bestimmten Bereich versagt hat, Probleme nicht selbständig bewältigen kann.
soziale Hilfe
Wer soziale Hilfe annimmt, muss über seine Probleme sprechen, sich und seine Lebenslage offen darlegen, möglichst nichts verschweigen. Alles wird sehr genau notiert und zu den Akten gelegt. Man wird zu einem Fall. Gegen solche Voraussetzungen des Hilfsangebotes wehrt man sich. Man versucht auch so zurechtzukommen. Über private Probleme möchte man nicht sprechen.
Ein weiterer Makel von Hilfe besteht darin, dass häufig diejenigen, die Hilfe benötigen, als „a-normal“ bezeichnet werden, weil sie nicht in der Lage zu sein scheinen, ihr Leben selbständig zu planen und zu gestalten. Dabei übersieht man, dass jeder Mensch viel Hilfe braucht und auch ständig in Anspruch nimmt, z. B. die Hilfe des Arztes, der Krankenkasse, Autowerkstatt, Versicherung, des Rechtsanwaltes, eines Verkäufers, des Polizisten, Pfarrers usw. Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist normal. Wir brauchen in unserem ganzen Leben ständig Hilfe. Jeder Mensch ist bezüglich der Entwicklung seiner Persönlichkeit auf die Hilfe Anderer angewiesen.
Aus diesem Grunde sollte man den Begriff „soziale Hilfe“ differenzieren:
1. primäre Hilfe: Eigentliche Inanspruchnahme von Hilfeleistungen. Sie dient der ganzheitlichen Entfaltung der Persönlichkeit.
2. sekundäre Hilfe: Ersuchen von Hilfeleistungen im Vorfeld eines Problems. Beim Lösen und Bewältigen von Problemen bedarf es kompetenter Beratung, Hilfe und Unterstützung.
3. tertiäre Hilfe: Ersuchen von Hilfeleistungen im Nachhinein. Probleme eskalieren, entwickeln eine Eigendynamik, schaffen Situationen, die man ohne fremde Hilfe nicht mehr lösen kann.
Vielfach versteht man Hilfe Sozialer Arbeit immer noch als tertiäre Hilfe, d. h. als Maßnahmen, die dann zum Zuge kommen, wenn bereits Probleme bestehen. Dieses Verständnis hat sich jedoch inzwischen insofern geändert, als Soziale Arbeit primär im präventiven Bereich angesiedelt ist, d. h. primäre und sekundäre Hilfe leistet. Soziale Hilfe im Sinne von Orientierungshilfe braucht nicht nur derjenige, der von der Norm abweicht, sondern jeder, der Werte und Normen erfüllen will.
Abbildung 5: Hilfe-Modell
Man kann die Hilfesysteme in vier Grundtypen zusammenfassen (Abbildung 5): Anleitung, Beratung, Begleitung und quasi therapeutische oder Therapie vorbereitende Funktionen. Der Wunsch der Hilfesuchenden zielt auf die Zunahme von Bewältigungsstrategien und auch auf entsprechende Entscheidungskriterien für den adäquateren Umgang mit Problemlagen. Die zweite Achse zielt auf die Potentiale der helfenden Profession ab. Die unterstützenden sozialen Fachkräfte stellen Strukturen und den Aufbau von Vertrauensbeziehungen zur Verfügung (Konvergenz). Divergenz meint hingegen, dass die sozialen Fachkräfte ihre Strukturen analog bzw. gleichsam als Katalysatoren einsetzen. Dadurch werden bei den Hilfesuchenden eigene Prozesse anregt, um die Entstehung von Abhängigkeiten zu vermeiden (Ludewig 1992, 122–124).
Erwachsenen-Fürsorge hat im Laufe der Geschichte viele Namen gehabt: bis 1900 Armenpflege oder Armenfürsorge, 1900–1918 Soziale Fürsorge, nach 1918 Wohlfahrtspflege, nach 1945 Fürsorge, seit 1960 Sozialarbeit, etwa seit den 1990er Jahren Soziale Arbeit. Es ging dabei um die materielle Hilfe für Erwachsene. Im nächsten Kapitel soll es um die Jugendfürsorge, die Geschichte der Sozialpädagogik gehen.
Sozialarbeit und Sozialpädagogik hatten im Mittelalter und zu Beginn der frühen Neuzeit noch die gleichen geschichtlichen Wurzeln. Denn im Mittelalter unterschied man noch nicht zwischen Hilfe für Erwachsene und Kinder bzw. Jugendliche. Seit der frühen Neuzeit konzentrierte man sich jedoch zunehmend gesondert auf Kinder und Jugendliche und versuchte sie vorbeugend vor Verwahrlosung zu schützen.
Diese beiden Linien, Erwachsenen- und Jugend-Fürsorge, haben sich eine Zeit lang auseinander entwickelt. Jeweils eigene Hilfe-Modelle wurden entworfen. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sie sich dann zunächst allmählich, mittlerweile jedoch wieder soweit aufeinanderzubewegt (sie konvergieren), dass man zwar immer noch vielfach von Sozialarbeit/Sozialpädagogik, aber zunehmend nur noch von Sozialer Arbeit spricht, in der beide historische Entwicklungslinien zusammengeflossen sind (Abbildung 6). Wie diese Entwicklung verlaufen ist, werden die weiteren Kapitel näher beleuchten.
Abbildung 6: Hilfeleistungen
Lösungsvorschlag zur 1. Praxis-Situation: Problem – Hilfe
Vielleicht kann man Frau Stark folgendermaßen helfen:
Zuerst könnte man ihr bestätigen, dass sie stolz auf sich sein kann. Wie gut sie ihre Familie organisiert hat und dass sie zu Recht unabhängig bleiben möchte. Als zweites könnte man ihr aufzeigen, dass sie nicht versagt hat. Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist kein Eingeständnis, dass man die anstehenden Aufgaben nicht auch alleine meistern kann. Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist keine Schande und kein Zeichen von Schwäche oder Versagen. Nach Hilfe zu bitten, gehört zu unserem Alltag, begleitet uns ständig. Ich bitte die Schuhverkäuferin oder den Versicherungsfachmann um Rat, frage in einer fremden Stadt einen Passanten nach einer Straße, suche im Internet nach Informationen über ein Medikament oder ein Krankheitsbild. Umso komplizierter unsere Gesellschaft wird, desto mehr benötige ich Informationen, d. h. Hilfe. Alle diese Beispiele sollen aufzeigen: Hilfe ist eine Urkategorie, sie gehört zum menschlichen Leben.
Drittens könnte man bei Frau Stark nachfragen, ob sie sich aus eigener Erfahrung oder nur vom Hörensagen ein Bild vom Jobcenter gemacht hat. Frau Stark sollte vermittelt werden, dass es am besten ist, wenn sie sich ein eigenes Urteil über das Jobcenter bildet. Vielleicht sind die MitarbeiterInnen des Jobcenters ja doch sehr kompetent, können zuhören und sind ehrlich bemüht, Hilfe anzubieten. Absagen könnte Frau Stark dann ja immer noch. Ihr kann deutlich gemacht werden, dass sie über ihr Leben selbstverständlich selbst entscheidet.
Diese aufgeführten Überlegungen helfen Frau Stark vielleicht. Eventuell haben Sie aber auch völlig andere Gedanken und würden das Gespräch ganz anders gestalten. Ein Richtig oder Falsch gibt es in der Beratung nicht. Wichtig ist, Frau Stark zu helfen, die Entscheidung zu finden und zu treffen, die für sie die nützlichste ist und die ihr Selbstbewusstsein stärkt.
Lösungsvorschlag zur 2. Praxis-Situation: Privates Problem – Soziales Problem
Solange Familie Müller ihre Probleme selbst zu lösen versucht, oder ihr Familienangehörige, Verwandte, FreundInnen oder NachbarInnen dabei helfen, bleiben es zunächst private Probleme. Ein soziales Problem liegt erst dann vor, wenn die Situation eine Form annimmt, die öffentlich bzw. gesellschaftlich als veränderungsbedürftig