cc) Bindungswirkung der TV
264
Die Bindungswirkung der TV tritt für alle Beteiligten bereits mit ihrem Abschluss ein und nicht erst durch Erlass der darauf beruhenden Steuerbescheide. Diese Bindungswirkung ist verhältnismäßig stark. Werden nachträglich Tatsachen bekannt, die beim rechtzeitigen Bekanntwerden dem Abschluss einer TV entgegen gestanden hätten, beseitigt dies die Bindungswirkung nicht.[104]
265
Eine Ausnahme ist nur zu machen, wenn der Steuerpflichtige oder sein Vertreter vorsätzlich steuerlich relevante Tatsachen verschwiegen haben und dadurch wissentlich den Abschluss einer falschen TV erschlichen haben. Hier fällt nicht nur die Bindungswirkung nachträglich weg, sondern in einem solchen Verhalten kann im Einzelfall auch eine Steuerhinterziehung in Form des § 370 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. AO vorliegen.
266
Wenn kein anderweitiger Fehler vorliegt, kann die Bindungswirkung der TV nur im Einvernehmen mit allen Beteiligten nachträglich aufgehoben werden.[105]
dd) Grenzen und mögliche Fehlerquellen einer TV
267
Wenn die Sachverhaltsermittlung möglich und zumutbar ist oder wenn eine Beweislast – Entscheidung möglich ist, darf keine TV abgeschlossen werden. Die TV darf inhaltlich nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führen, wie es bei Verstößen gegen Logik und Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorkommen kann.
Beispiel:
Die Verständigung über Umsätze muss berücksichtigen, ob auch die betrieblichen Voraussetzungen (z.B. ausreichender Wareneinkauf, ausreichendes Personal) für diese Umsätze vorhanden waren.
In der TV darf es keine Verständigung über reine Rechtsfragen geben, selbst wenn dies der Beschuldigte gerne möchte. Lediglich die rechtliche Beurteilung von Vorfragen des Sachverhalts (z.B. Angemessenheit von Bezügen) ist möglich.
Beispiel:
Die Verständigung umfasst die gezahlten Schwarzlöhne. Der Steuerpflichtige hat ein Interesse daran, die weitere steuerliche Behandlung zu erfahren, um seine Belastung zu kennen. Die Höhe des auf die Schwarzlöhne entfallenden Lohnsteuersatzes ist aber Rechtsfrage, über die sich nicht verständigt werden darf.
268
Beim Abschluss der TV darf kein Druck auf den Steuerpflichtigen in Bezug auf das Zustandekommen der TV ausgeübt werden, der über die normale mit dem Strafverfahren einhergehende Belastungssituation hinausgeht. Eine Verbindung der TV mit sachfremden Erwägungen (z.B. höhere Strafandrohung, wenn keine TV abgeschlossen wird) ist unzulässig. Es ist jedoch zulässig einen gemeinsamen Abschluss von Besteuerungsverfahren und Strafverfahren anzustreben, selbst wenn steuerlich dabei eine TV abgeschlossen wird.
269
Wahrheitswidrige Angaben des Steuerpflichtigen oder Täuschungen durch ihn oder seinen Vertreter sind schädlich für den mit der TV angestrebten Zweck und können zum nachträglichem Wegfall der Bindungswirkung der TV führen, wenn das Finanzamt Vorsatz nachweisen kann.
270
Ein Hauptfehler bei Abschluss der TV wäre jedoch eine Unzuständigkeit der handelnden Personen (z.B. Steufa-SGL schließt TV für das Finanzamt ab). Aus Seiten der Finanzverwaltung muss der für die Steuerfestsetzung zuständige Beamte die TV unterschreiben. Dazu muss er – wenn auch rudimentär – selbst in die Verhandlungen eingebunden sein. Das BMF-Schreiben vom 30.7.2008 geht fehl mit der Aussage, dass der zuständige Amtsträger beim Abschluss der TV nicht beteiligt sein muss, weil dieser Mangel durch ausdrückliche nachträgliche Zustimmung gegenüber allen Beteiligten geheilt werden könne.[106] Diese Auffassung ist von der Rechtsprechung zur TV nicht gedeckt, weil begrifflich eine Verständigung eine Absprache unter Anwesenden voraussetzt.
c) Strafrechtlicher Abschlussbericht
271
Aus Sicht der Steuerfahndung findet das Strafverfahren seinen (vorläufigen) Abschluss mit dem strafrechtlichen Bericht, in dem die strafrechtlichen Ermittlungsergebnisse unter Verweis auf die diese tragenden Beweismittel zusammengefasst werden. Adressat des strafrechtlichen Berichts ist die Bußgeld- und Strafsachenstelle oder die Staatsanwaltschaft, für die idealerweise der strafrechtliche Bericht Vorlage für die Erstellung der Anklageschrift ist.
Regelmäßig lassen sich aus dem strafrechtlichen Abschlussbericht die Zusammenhänge des Falles besser erschließen als aus dem steuerlichen Bericht, weil hier alle für den objektiven und subjektiven Tatbestand bedeutsamen Ermittlungsergebnisse aufgeführt sein müssen[107]. Dazu gehören auch alle für die Berechnung der strafrechtlichen Verjährung erforderlichen Angaben (Datum der Erklärungsabgabe, Datum des Steuerbescheids). Der Ermittlungsanlass ist ebenso aufzuführen wie die Umstände, die für die Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes sprechen.
272
Auf bestimmte Bereiche des strafrechtlichen Berichts sollte ein besonderes Augenmerk gerichtet werden.
aa) Der subjektive Tatbestand (Vorsatz)
273
Besonders der Vorsatzbereich kommt in vielen strafrechtlichen Abschlussberichten häufig zu kurz, was sich im Regelfall aus der besonderen Struktur des Delikts der Steuerhinterziehung erklärt. Provozierend formuliert „indiziert der objektive Tatbestand die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes!“. Bei den üblichen Begehungsformen trifft dieser Satz auf die Mehrzahl der Steuerhinterziehungen zu,[108] aber eben nicht immer. Es besteht die Gefahr, dass die zweifellos vorhandenen Problemfälle im Vorsatzbereich in den strafrechtlichen Abschlussberichten zu kurz abgehandelt sind bzw. nicht gesehen werden. Die Ermittlungsbehörde muss jedoch den subjektiven Tatbestand genauso ermitteln und nachweisen wie den objektiven Tatbestand, wenn das Delikt einer Steuerhinterziehung bestraft werden soll.
bb) Die strafbefangenen Mehrsteuern
274
Die strafbefangenen Mehrsteuern sind regelmäßig Maßstab für die Schwere der Tat sowie für das sich dadurch verwirklichende kriminelle Unrecht und damit ein wichtiger Anhaltspunkt für Schuld und Strafmaß. Die steuerlichen Mehrergebnisse können regelmäßig dem steuerlichen Prüfungsbericht entnommen werden. Es wäre aber verfehlt, dieses ohne weitere Überlegungen unmittelbar auf das Strafrecht übertragen zu wollen, weil das steuerliche Mehrergebnisse regelmäßig nicht mit dem strafrechtlichen Mehrergebnis identisch ist. Das rührt daher, dass das Steuerrecht als Verwaltungsverfahren anderen Verfahrensgrundsätzen unterliegt als das Strafverfahren. Die Anpassung des steuerlichen Mehrergebnisses für Zwecke des Strafverfahrens muss verschiedene Unterschiede berücksichtigen:
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a) |
Schätzungen müssen in vielen Fällen zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen durchgeführt werden. Das gilt sowohl für das Besteuerungsverfahren wie für das Strafverfahren. Beide Verfahren wenden auch grundsätzlich dieselben Schätzungsmethoden an. Kann im Strafverfahren nicht anhand der vorgefundenen Indizien und Beweismittel geschätzt werden, kommt
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