Teil 1 Tax Compliance und Unternehmen › 8. Kapitel Ermittlungsmethoden und -kompetenzen von Steuerfahndung und Betriebsprüfung und daraus resultierende Risiken › V. Fallabschluss
V. Fallabschluss
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Entsprechend der doppelten Aufgabenstellung der Steuerfahndung werden die Ermittlungen mit einem steuerlichen und einem strafrechtlichen Bericht abgeschlossen. Der Prüfer hat dabei die unterschiedlichen Verfahrensgrundsätze für beide Verfahren zu beachten.
1. Fallabschluss auf der Ebene der Finanzverwaltung
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Dem Verfahrensabschluss auf der Ebene der Finanzverwaltung dient zunächst einmal der steuerliche Bericht durch die Steuerfahndung. Ist die Bußgeld- und Strafsachenstelle Herr des Ermittlungsverfahrens entscheidet diese auch über den strafrechtlichen Bericht (auch strafrechtlicher Vermerk genannt).
a) Steuerlicher Abschlussbericht
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Im steuerlichen Prüfungsbericht der Steuerfahndung werden die für die Besteuerung erheblichen Prüfungsfeststellungen sowie die Änderungen der Besteuerungsgrundlagen entsprechend einem Betriebsprüfungsbericht (§ 202 Abs. 1 AO) dargestellt. Da Adressat dieses Berichts vor allem der Innendienst des Veranlagungsfinanzamtes ist, liegt sein Schwergewicht auf Zahlendarstellungen, die der Bearbeiter zum Erlass der Änderungsbescheide benötigt. Darunter leidet gelegentlich – vor allem für steuerlich nicht bewanderte Leser – die Verständlichkeit der Darstellung. Ohne ein entsprechendes Hintergrundwissen wird der steuerliche Bericht manchmal schwer verständlich sein.
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Wenn der Bericht Ausführungen zu Besteuerungsgrundlagen macht für regulär festsetzungsverjährte Jahre (§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO), dann muss er zwingend die Gründe anführen, warum die Veranlagungsstelle eine fünfjährige (bei Steuer-Ordnungswidrigkeit) oder zehnjährige Festsetzungsverjährung (bei Steuerhinterziehung) anwenden soll, § 169 Abs. 2 S. 2 AO, da die reguläre Verjährungsfrist nur vier Jahre beträgt. Das Vorliegen einer Steuerordnungswidrigkeit oder Steuerhinterziehung ist Voraussetzung für die Verlängerung der steuerlichen Festsetzungsfrist und muss vom Finanzamt bewiesen werden. Nach der Rechtsprechung des BFH sind dem Finanzamt bei Ausdehnung seiner Festsetzungen über die reguläre Festsetzungsverjährung von vier Jahren hinaus selbst bei Verletzung von Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen keine Beweismaßerleichterungen zuzubilligen, sondern es ist der „in-dubio-Grundsatz“ anzuwenden.[99] Das wird in den Berichten der Steuerfahndung nicht immer beachtet und sollte vom Berater mit Bedacht geprüft werden.
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Der Abschlussbericht wird dem Veranlagungsfinanzamt zur Auswertung übersandt und gehört dort in die Steuerakten. Beantragt der Beschuldigte die Übersendung einer Ausfertigung des Abschlussberichts auch an sich selbst, so ist dem nach § 202 Abs. 2 AO zu folgen. Der Beschuldigte kann so vor der Auswertung des Berichts seinerseits dazu Stellung nehmen.
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Werden die Ergebnisse der Steuerfahndungsprüfung vom Steuerpflichtigen angegriffen, ist es Sache des Innendienstes und der Rechtsbehelfsstelle des Finanzamtes die Steuerfahndungsergebnisse zu verteidigen. Selbstverständlich wird dazu die Expertise des Steuerfahndungsbeamten herangezogen, der argwöhnisch darüber wacht, dass „sein“ Mehrergebnis nicht durch eine übervorsichtige Rechtsbehelfsstelle, die vielleicht das Prozessrisiko fürchtet, im Rechtsbehelfsverfahren geopfert wird.
b) Tatsächliche Verständigung als „Deal“ im Ermittlungsverfahren
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In manchen Fällen lassen sich trotz erheblicher Bemühungen der Ermittler die Besteuerungsgrundlagen nicht sicher feststellen. Der BFH hat dafür das Rechtsinstrument der tatsächlichen Verständigung als sog. Richterrecht geschaffen,[100] das die Finanzverwaltung seither anwendet, obwohl das erläuternde BMF-Schreiben erst 24 Jahre später am 20.7.2008 veröffentlicht wurde.[101]
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Die tatsächliche Verständigung dient einerseits der Sicherung des Rechtsfriedens, indem sie dazu beiträgt, Verfahren einvernehmlich abzuschließen. Andererseits erspart sich die Ermittlungsbehörde den unproduktiven Einsatz von Ressourcen und fördert damit die Effektivität der Besteuerung.
aa) Voraussetzungen einer tatsächlichen Verständigung (TV)
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Eine TV kommt in Betracht, wenn es sich um einen Fall mit erschwerter Sachverhaltsermittlung handelt: der Sachverhalt lässt sich nicht mehr oder nicht mit einem vertretbaren Zeitaufwand ermitteln, so dass das Verhältnis zwischen voraussichtlichem Arbeitsaufwand und steuerlichem Erfolg nicht ausgewogen ist. Die bloße Kompliziertheit des Sachverhalts, der ansonsten durchaus aufklärbar ist, reicht noch nicht aus um eine TV zu rechtfertigen.
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Nur bei schon verwirklichten Sachverhalten kann die aufwändige Sachverhaltsermittlung durch eine TV ersetzt werden. Zur Herbeiführung einer Bindung für künftige Sachverhalte gibt es andere Instrumente.[102] Ausnahmsweise kann sich durch die TV eine Bindung für die Zukunft ergeben, wenn Festlegungen in der TV eine gewisse Dauerwirkung haben und sich der Wille der Beteiligten auch auf eine zukünftige Bindung erstreckt.
Beispiel:
– | Verständigung über die Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes, das auch in Zukunft noch genutzt wird. |
– | Verständigung über die Abgrenzung von Anschaffungskosten zu den Herstellungskosten. |
bb) Verfahren bei Abschluss einer TV
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Die TV kann formlos abgeschlossen werden, also mündlich, telefonisch oder auch mittels elektronischer Kommunikation. Aus Gründen der Beweissicherung soll allerdings eine einfache Niederschrift gefertigt werden.
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Entscheidend ist, dass bei Abschluss der TV die richtigen Personen handeln. Das sind auf Seiten der Finanzverwaltung nur der Vorsteher des Festsetzungs – Finanzamtes oder sein(e) Vertreter wie der Innendienst – SGL oder –Sachbearbeiter. Der Prüfungsdienst (SGL oder Prüfer) sind nicht befugt zum Abschluss einer bindenden TV. Auf Seiten des Steuerpflichtigen muss dieser selbst oder sein Vertreter handeln.
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Der Abschluss einer TV soll nicht in einem schriftlichen Verfahren erfolgen. Das bedeutet, dass die Beteiligten (mindestens kurz) zusammen kommen und sich über den anzunehmenden Sachverhalt verständigen müssen (d.h. miteinander sprechen), selbst wenn die Zahlen im Entwurf der TV schon vorher bekannt waren.
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Die Niederschrift