2. Wettbewerbsverbot i.S.d. Art. 1 Abs. 1 lit. d Vertikal-GVO
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Wettbewerbsverbote sind nach der Legaldefinition gem. Art. 1 Abs. 1 lit. d Vertikal-GVO Vereinbarungen, nach denen der Abnehmer (1) keine Waren oder Dienstleistungen herstellt, bezieht oder verkauft, die mit den Vertragswaren oder -dienstleistungen im Wettbewerb stehen, oder (2) gemessen am Beschaffungswert des Vorjahres mehr als 80 % der Vertragswaren oder -dienstleistungen und deren Substituten vom Anbieter oder von einem vom Anbieter bezeichneten Unternehmen beziehen muss.
a) Verpflichtungen zulasten des Anbieters
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Aus der Legaldefinition folgt zunächst, dass nur Verpflichtungen zulasten des Abnehmers Wettbewerbsverbote i.S.d. Vertikal-GVO darstellen und somit einer Freistellung entgegenstehen können.[322] Spiegelbildliche Beschränkungen des Anbieters (Alleinbelieferung oder Alleinvertrieb durch nur einen Abnehmer) sind demgegenüber grundsätzlich freigestellungsfähig.[323] Sollten die Marktanteilsschwellen gem. Art. 3 Vertikal-GVO überschritten sein, stellt sich die Frage der Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV.
Beispiel – Alleinbelieferung bei der Milcherzeugung:
– | Das BKartA hat im Verfahren zu den Lieferbedingungen für Rohmilch[324] Alleinbelieferungspflichten der Rohmilcherzeuger (Landwirte) geprüft, die diesen gegenüber den Molkereien oblagen. Insbesondere deren Koppelung mit verhältnismäßig langen Kündigungsfristen hielt das BKartA für problematisch. |
– | Zwar sei die Einzelfreistellung von längerfristigen Ausschließlichkeitsbindungen (auch) im Bereich der Rohmilcherfassung grds. möglich. In den streitgegenständlichen Fällen lägen die Voraussetzungen aber nicht vor.[325] In jedem Fall bedürfe die Verwendung langer Kündigungsfristen im Wege der Einzelfreistellung „einer ausführlichen Begründung und Prüfung im Einzelfall.“ Ein pauschaler Hinweis auf geplante oder durchgeführte Investitionen der Molkereien sei jedenfalls nicht geeignet, eine Fortführung der Ausschließlichkeitsbindungen zu rechtfertigen.[326] |
b) Unmittelbare oder mittelbare Verpflichtung
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Wettbewerbsverbote können als unmittelbare oder mittelbare Verpflichtung ausgestaltet sein. Nach Auffassung der Europäischen Kommission soll bereits jede faktische Bindung ausreichen (etwa aufgrund einer wirtschaftlichen Anreizregelung), deren tatsächliche Wirkung einer rechtlichen Verbindlichkeit gleichkommt.[327]
Beispiele:
– | Erhält z.B. ein Abnehmer einen Sonderrabatt von 15 %, wenn er seinen Gesamtbedarf bei einem Anbieter deckt, dürfte bereits ein (mittelbares) Wettbewerbsverbot vorliegen, wenn der konkrete Rabatt geeignet ist, Sogwirkung zu entfalten. |
– | Eine wirkungsgleiche, faktische Bindung kann auch darin liegen, dass Händler konkurrierende Produkte nur unter Einhaltung zusätzlicher Qualitätsanforderungen vertreiben dürfen,[328] insbesondere dann, wenn dies zu „unnötigen Doppelinvestitionen“ führen würde.[329] |
Mindestabnahmeverpflichtungen
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Die Legaldefinition des Wettbewerbsverbots erfasst auch Mindestabnahmeverpflichtungen, sofern diese vorsehen, dass der Abnehmer gemessen am Beschaffungswert des Vorjahres mehr als 80 % der Vertragswaren oder -dienstleistungen (Substitute eingeschlossen) vom Anbieter oder von einem anderen durch den Anbieter bezeichneten Unternehmen beziehen muss. Entscheidend ist also, dass der Abnehmer keine bzw. nur sehr begrenzte (unter 20 % seiner Gesamteinkäufe) Möglichkeiten hat, Waren oder Dienstleistungen von Wettbewerbern des Anbieters zu beziehen oder selbst herzustellen.[330] Bezugspunkt für die Bestimmung der Gesamteinkäufe und die Bemessung der 80 %-Schwelle sind dabei die Bezüge „auf dem relevanten Markt“, also von Vertragsprodukten oder deren Substituten, die der Abnehmer für den gleichen Zweck oder Bedarf wie die Vertragsprodukte erwirbt und die somit austauschbar sind. Der Gesamtbezug wird grundsätzlich wertmäßig berechnet, kann nach Art. 1 Abs. 1 lit. d Vertikal-GVO auch mengenbezogenen bestimmt werden, sofern dies in der jeweiligen Branche (wie etwa in der chemischen Industrie) üblich ist.[331]
Englische Klauseln
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Nicht unter die Legaldefinition des Wettbewerbsverbots fallen sog. Englische Klauseln.[332] Darunter versteht man Vereinbarungen, die den Abnehmer verpflichten, dem Anbieter günstigere Angebote von dessen Konkurrenten zu melden und darauf nur einzugehen, wenn der Anbieter das günstigere Angebot des Dritten nicht ebenfalls abbildet.[333] In der Praxis werden englische Klauseln häufig mit einem Wettbewerbsverbot zulasten des Abnehmers kombiniert.[334] Zwar steht eine abschließende Bewertung durch die Kommission soweit ersichtlich aus.[335] Der bisherigen Praxis lässt sich aber zumindest entnehmen, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV wohl nicht auf englische Klauseln anzuwenden ist, solange die Anonymität des günstiger anbietenden Wettbewerbers gewahrt bleibt.[336]
c) Ausschluss der Anwendbarkeit von Art. 101 Abs. 1 AEUV bei notwendigen Nebenabreden
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Selbst wenn ein Wettbewerbsverbot i.S.v. Art. 1 Abs. 1 lit. d Vertikal-GVO gegeben ist, kann eine tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung zu verneinen sein, wenn die entsprechende Vereinbarung als notwendige Nebenabrede zu qualifizieren ist.[337] So kann nach der ständigen Rechtsprechung eine grds. wettbewerbsbeschränkende Nebenabrede in einem an sich kartellrechtsneutralen Austauschvertrag vom Anwendungsbereich des Kartellverbots ausgenommen sein. Dies setzt voraus, dass die fragliche Klausel die Durchführung des kartellrechtlich neutralen Vertrages bei objektiver Betrachtung erst ermöglicht und zeitlich, räumlich sowie sachlich auf das dafür notwendige Maß beschränkt ist.[338]
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Die Rechtsprechung hat vertragliche Wettbewerbsbote in unterschiedlichen Konstellationen als notwendige Nebenabrede in diesem Sinne qualifiziert.[339]
Beispiele: Notwendige Wettbewerbsverbote
– | Subunternehmerverträge: Für Subunternehmerverträge ist anerkannt, dass der Hauptunternehmer Wettbewerbsverbote zulasten seiner Subunternehmer vereinbaren kann, um zu verhindern, dass diese mit dem Hauptunternehmer in Konkurrenz um die Kunden treten, mit denen sie erst aufgrund ihrer Stellung als Subunternehmer in Kontakt kommen. Hat ein Subunternehmer den Kontakt zu einem Kunden durch den Hauptunternehmer erlangt, kann ein Wettbewerbsverbot nach der Rechtsprechung des BGH für die Dauer vertraglich geschuldeter Arbeiten sowie nachvertraglich grds. für ein (weiteres) Jahr vereinbart werden.[340] |
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Gewerberaummiete:
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