Schneesturm im Hochsommer. Meinrad Inglin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Meinrad Inglin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783038552369
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und eifrige Bursche den Köder an der langen Rute weit hinausschwang, und hörte eine Weile gutmütig seinen Erläuterungen des Hechtfangs zu, aber als der Hecht nicht beißen wollte, begann sie sich zurückzuziehen. «Wenn Sie noch einen Augenblick Geduld hätten …», rief Karl, «ich werde es jetzt mit einem Egli versuchen, mein Gründeli da ist schon zu matt …»

      Ilse hörte nicht recht darauf, sie ging ein wenig spazieren und traf an der Schifflände ihren Vetter Xaver. «Ich möchte am liebsten baden», sagte sie. «Aber wenn sie hier alle fischen …»

      «Ja, es ist ein fabelhaftes Fischwetter, weißt du», erwiderte Xaver und suchte sich im Kessel ein Köderfischchen aus.

      «Ach ja! Eben war ich bei diesem … wie heißt der Kleine, der so viel schwatzt?»

      «Karl?»

      «Ja, der. Er wolle mir etwas vorfischen, sagte er, und dann schwatzte er mir nur die Ohren voll. Er hat krumme Beine. Ich finde ihn komisch …»

      Karl stand zu seinem Unglück ein paar Schritte hinter ­ihnen und hörte es, er war hierhergekommen, um den Köder auszuwechseln, und hatte nur darauf gewartet, dass Xaver den Kessel freigab. Jetzt wartete er nicht länger, er ging mit geröteter Stirn an seinen Platz zurück und blieb dort stehen, tief gekränkt, ja erbittert und im Augenblick unfähig, sich aus diesem Wirrsal von Weh und Zorn herauszufinden.

      «Du solltest nicht auf die Beine sehen», entgegnete indessen Xaver seiner Base. «Übrigens gibt es noch krümmere. Karl spielt sich ja ein wenig auf, aber das tun die Kleinen meistens, wenn sie Rasse haben. Und was sein geöltes Maul betrifft, das kann er später brauchen, er will Advokat werden. Er ist ein ganz patenter Bursche.»

      «Ja, kann schon sein … Aber dann ist da noch einer, den du mir noch gar nicht vorgestellt hast …»

      «Baschi, jawohl! Ein feiner Typ und sehr intelligent. Er ist etwas scheu … aber vielleicht macht er sich nichts aus dir, du kannst nicht verlangen, dass dir hier alle den Hof machen wie Robert …»

      «Pf! Ich weiß nicht, was er von mir will … Aber jetzt geh’ ich diesen Baschi suchen.»

      Sebastian saß auf einem Stein zwischen Fels und Gestrüpp einer verborgenen Uferstelle. Er hatte die Hechtrute gesetzt, aber der Korkschwimmer lag still, und an der Angel war kein Köder mehr. Er blickte ins Wasser hinein und sah kleine Weißfische nach Mücken schnappen, er sah zwischen schlamm­grauen Steinen einen Barsch auftauchen und sah eine Wasserjungfer auf dem grünen Teller eines Nixblumenblattes landen, aber er freute sich nicht darüber. Er empfand mit seinen äußeren Sinnen den Frieden, die Stille und Wärme des Inseltages, aber in seinem Innern hatte er nichts mehr damit zu tun, dort zitterte alles vor Spannung und strahlte eine sanfte Glut aus, die noch auf seinen Wangen widerschien. Er stand unruhig auf und spähte über die Böschung weg durch Buschlücken ins Wäldchen hinein, er setzte sich wieder, schaute ins Wasser und spürte von neuem, dass die Wunder der Insel ihn nicht mehr lockten. Er allein wusste, was seine Kameraden erst ahnten, dass hier der alte Zauber gewichen war, in dessen Bann sie gestanden hatten, und er trauerte darüber. Aber vom Grunde dieser leisen Trauer ­lohte sein Herz wie eine Flamme vom Opferaltar dem halbgöttlichen Mädchen entgegen, das die Insel entzaubert und alle ihre Eigenschaften in einer geheimnisvollen süßen Steigerung auf sich vereinigt hatte. Er wagte nicht, ihr selber zu begegnen, er hätte denn fähig sein müssen, zu singen, zu knien oder zu schweben; mit dem Reste seiner Vernunft stellte er fest, dass dies nicht anging, da zwischen seinem Entzücken und der wirklichen Lage ein Unterschied bestehen könnte. Ein Schimmer ihrer nackten Schultern, die Anmut einer flüchtig wahrgenommenen Bewegung oder ein verwehender Silberklang ihres Lachens genügten, ihm Herz und Seele berauschend mit ihrer Gegenwart zu erfüllen.

      Nun suchte aber Ilse den Verborgenen und fand ihn. Sie kam im Wasser dem Ufersaum entlang, ein wenig schwankend, mit ausgebreiteten Armen, um sich auf dem steinigen Grund im Gleichgewichte zu halten, und stand mit einem leisen Laut der Überraschung plötzlich vor ihm.

      «Störe ich?», fragte sie.

      «Nein, nein!», entgegnete er, heftig errötend.

      «Es ist furchtbar, auf den Steinen hier zu gehen … Ja, ich möchte nämlich nicht stören, es soll ja so günstiges Fischwetter sein …»

      «Ja», sagte er, und ein Lächeln tiefster Verlegenheit zog über sein gutmütiges Gesicht.

      «Noch nichts gefangen?»

      «Nein!»

      «Dann ist es vielleicht doch nicht so günstig … die andern haben auch noch nichts gefangen … Aber jetzt geh’ ich hier nicht weiter, es ist wirklich furchtbar …» Sie stieg aus dem Wasser und blickte, drei Schritte von Sebastian entfernt, ins Ufergestrüpp hinein. «Hier wird man wohl durchkommen … oder hat’s hier Dornen?»

      «Ich glaube nicht, nein.»

      Sie kletterte über zwei kleine Felsblöcke hinauf, verweilte einen Augenblick, schlüpfte ins Gebüsch und verschwand.

      Offenen Mundes stand Sebastian da, hastig atmend, eine wechselnde Röte auf Stirn und Wangen, verwirrend beschämt und beglückt zugleich und in dieser Verwirrung ganz ohne Urteil über das eben Geschehene.

      Ilse schlenderte zu ihrem Vetter hinüber, der wieder mit Würmern fischte und einen ansehnlichen Hasel gefangen hatte, den er eben von der Angel nahm.

      «Ilse, halt mir den Hasel da!», rief er zum Scherz und streckte ihr den zappelnden schleimigen Fisch hin.

      «Äh pfui!», rief sie, mit beiden Händen abwehrend.

      Er lachte sie aus, ließ den Fisch in den Kessel gleiten und nahm einen neuen Wurm aus der Büchse. «Hast du den Baschi jetzt getroffen?», fragte er.

      «Hach ja … du, das ist ein Blöder!»

      «Du hast eine Ahnung!»

      «Der Netteste hier ist noch Anselm, finde ich.»

      «Außer mir, hoffentlich!»

      «Uh, du Dreckfink!», rief sie mit einem Blick auf den Wurm, der sich in Xavers Fingern ringelte, wich zurück, schüttelte Kopf und Schultern, dass die Locken flogen, und lief weg.

      Anselm stand an der Eglibucht und fischte auf Hechte. Er hielt mit beiden Händen die lange Rute und beobachtete den Schwimmer, aber manchmal vergaß er das auch und begann etwas anderem nachzusinnen, das mit dem Fischen nichts zu tun hatte. Er sann unbestimmt und müßig dem Mädchen Ilse nach, er sah ihr feingeformtes Gesicht, bedachte den freundlich offenen Blick, den sie bei der Vorstellung auf ihn gerichtet hatte, und fand sie sympathischer als alle ihm bekannten Mädchen. Er fand es fast wider seinen Willen und folgerte nichts daraus, denn im Grunde spürte er, wie sehr sie als Unberufene die Heimlichkeit des Inselfriedens bedrohte. Als er sich einmal umwandte, stand sie seitlich hinter ihm und blickte unbefangen auf den Korkschwimmer hinaus.

      «Darf man ein wenig zusehen?», fragte sie.

      «Ja gern!», erwiderte er und blickte auch seinerseits auf den Schwimmer. Nach einer Weile schaute er sie flüchtig an und sagte: «Kurzweilig ist es zwar nicht, einem Fischer zuzu­sehen.»

      «Nein, nicht immer. Aber vielleicht fangen Sie etwas … Xaver hat vorhin etwas gefangen, einen Hasel, glaub ich.»

      «So? Ja … damit kann man wenig anfangen.»

      «Kann man Hasel nicht essen?» Sie trat einen Schritt vor und stand an seiner Seite.

      «Doch, gebacken geht’s, aber es ist nichts Besonderes.»

      Ilse schwieg darauf, sie wollte nicht den Eindruck erwecken, als ob sie hierhergekommen sei, um zu schwatzen. Die Hände mit den Daumen oberhalb der Brust in die schmalen Tragbänder des Badekleides eingehängt, stand sie gelassen da und schien es ganz in Ordnung zu finden, dass auch Anselm schwieg.

      Er hätte nicht für möglich gehalten, dass man halb nackt so unbefangen nebeneinanderstehen könnte, und war froh, dass man es konnte. Es bewies ihm, dass sie ein natürliches, ernsthaftes Wesen war und keine liederliche Nixe, aber auch keine gezierte Unschuld, die sich