Hermogenes: Aber das Böse selbst, woraus du mehreres vorher erklärtest, was meint wohl das Wort?
(416) Sokrates: Das scheint mir, beim Zeus, gar wunderlich und schwer zu erklären. Daher muß ich auch hiebei jenen Kunstgriff anwenden.
Hermogenes: Welchen doch?
Sokrates: Daß ich sage, auch das sei ein barbarisches Wort.
Hermogenes: Und wohl mit Recht magst du das sagen, Sokrates. Also, wenn du meinst, wollen wir dies lassen, und dagegen das redliche und das schändliche versuchen auszufinden, worin das wohl gegründet ist.
Sokrates: Das schändliche scheint mir gar sehr deutlich, was es meint, denn auch dieses stimmt mit dem vorigen überein. Nämlich alles was die Dinge am Fließen hindert und darin aufhält scheint mir der Erfinder der Worte überall zu schmähen; daher hat er auch hier dem, was den Fluß stets hemmt diesen Namen gegeben das stethemmtliche, nun aber ziehn sie es zusammen und nennen es schändlich.
Hermogenes: Wie aber das redliche?
Sokrates: Das ist schwerer zu entdecken. Wiewohl doch in der Aussprache nur der Wohlklang und die Länge des Tons abweicht.
Hermogenes: Wie so?
Sokrates: Es scheint mir nämlich dieses Wort eigentlich eine Bezeichnung der Vernunft zu sein.
Hermogenes: Wie meinst du das?
Sokrates: Sprich doch, was glaubst du denn ist Ursach daran, daß von jedem Ding geredet wird? Nicht jenes, welches die Namen bestimmt?
Hermogenes: Allerdings.
Sokrates: Und dies ist doch gewiß die Vernunft der Götter oder der Menschen oder beider?
Hermogenes: Ja.
Sokrates: Also das redende von den Dingen, und das redliche, ist dieses selbige, die Vernunft.
Hermogenes: So scheint es.
Sokrates: Und nicht wahr, was Vernunft und Verstand verrichten, das ist das löbliche, was aber nicht, das tadelnswerte?
Hermogenes: Freilich.
Sokrates: Das heilende Vermögen nun verrichtet heilsames, und das bildende bildnerisches? Oder wie meinst du?
Hermogenes: Eben so allerdings.
Sokrates: Und das redende also redliches?
Hermogenes: So muß es wohl.
Sokrates: Und das ist, wie wir sagen, der Verstand?
Hermogenes: Freilich.
Sokrates: Also ist ganz richtig das redliche eine Benennung der Vernunft, welche ja dergleichen verrichtet, was wir als redlich loben.
Hermogenes: So scheint es.
Sokrates: Was ist uns nun wohl noch übrig von dergleichen?
Hermogenes: Dieses, was sich gleichfalls auf das gute und redliche bezieht, das vorteilhafte, zweckmäßige, nützliche, gewinnvolle und das Gegenteil hievon.
Sokrates: Das Vorteilhafte könntest du wohl schon selbst finden aus dem vorigen, wenn du es überlegtest. Denn es (417) scheint mir sehr verwandt mit der Erkenntnis. Es deutet nämlich auf nichts anderes als auf das Fortgehn der Seele mit den Dingen. Was hiedurch ausgerichtet wird scheint vorteilhaft und Vorteil von dem zum Heil mit fortgehn zu heißen. Das gewinnvolle aber kommt von Gewinn, und das Wort Gewinn wird dir, wenn du nur das n in l verwandeln willst, schon zeigen was es bedeutet. Es bezeichnet nämlich auch das Gute, nur auf andere Weise, daß es nämlich in alles gehen will. Um diese Eigenschaft desselben zu bezeichnen, ist das Wort gebildet, und wird nun durch Vertauschung des l mit n Gewinn ausgesprochen.
Hermogenes: Was ist aber das zweckmäßige?
Sokrates: Das scheint mir gar nicht so, wie etwa die Künstler und Handwerker sich dessen bedienen, für dasjenige, was zu ihrem Zweck das rechte Maß hat und ihn also erreicht, wirklich zu verstehen zu sein; sondern weil es als das schnellste überall die Dinge nicht stehen oder die Bewegung sich mäßigen und zu Ruhe und Stillstand kommen läßt, sondern wenn etwas ihr Maß verringern will, sie immer wieder weckt und sie dadurch unaufhörlich und unvergänglich macht, deswegen scheint mir das Gute als zweckmäßig dargestellt zu werden, und das was die ihr Maß verlierende Bewegung weckt zweckmäßig zu heißen. Nützlich vom Nutzen heißt so vom nur zu gehn; förderlich aber kommt von fördern, welches ein nicht überall sehr gewöhnliches Wort ist, das ebenfalls forttreiben bedeutet.
Hermogenes: Wie steht es nun aber mit den Entgegengesetzten von diesen?
Sokrates: So viele davon bloß das jetzt gesagte verneinen, haben wir wohl nicht nötig erst durchzugehn.
Hermogenes: Was für welche meinst du?
Sokrates: Solche wie das unvorteilhafte und unnütze und unzweckmäßige.
Hermogenes: Du hast recht.
Sokrates: Aber das Gefährliche und Hinderliche.
Hermogenes: Ja.
Sokrates: Das Gefährliche besagt, was das Gehen fäht oder fängt, fangen aber bedeutet fest hängen, und alles befestigende, bindende, haltende tadelt er überall. Was nun das Gehn fäht, hieße am richtigsten das gehnfängliche, verschönert aber soll es nun sein, glaube ich, indem man es gefährlich nennt.
Hermogenes: Nun geraten dir die Namen gar wunderlich und bunt, Sokrates. Und recht als wolltest du das Vorspiel zu dem Gesang der Athene zwischen den Lippen brummen, so kam es mir vor, wie du das gehnfängliche herausbrachtest.
(418) Sokrates: Ich kann nicht dafür, Hermogenes, sondern die welche das Wort gemacht haben.
Hermogenes: Da hast du Recht. Was wäre denn aber das hinderliche?
Sokrates: Was das hinderliche ist? Sieh nur, Hermogenes, wie Recht ich habe, wenn ich sage, daß durch Hinzutun und Ausmerzen von Buchstaben der Sinn der Worte oft so sehr verändert wird, daß wenn man dann nur noch ein wenig daran dreht, sie gerade das entgegengesetzte bedeuten können. Wie bei dem Billigen; da hatte ich es schon bemerkt, und es fiel mir eben jetzt wieder ein bei dem was ich dir sagen sollte, daß unsere neue schöne Sprache das Billige und das Hinderliche bis zur Andeutung des Gegenteils herumgedreht und ganz unkenntlich gemacht hat, was die Worte meinen; die alte aber legt deutlich zu Tage was beide wollen.
Hermogenes: Wie meinst du das?
Sokrates: Ich will es dir sagen. Du weißt doch, daß unsere Alten sich häufig des ei und des d bedienten, wie sie auch in den niederen Gegenden noch tun, wo sich die alte Sprechart am längsten erhält, jetzt aber kehren sie das ei in i oder in e um, und statt des d sagen sie t, als wäre das vornehmer.
Hermogenes: Wie so?
Sokrates: Zum Beispiel unsere Alten sagten Dag, jetzt aber sagen sie Tag.
Hermogenes: Das ist wahr.
Sokrates: Nun siehst du aber doch, daß nur das alte Wort den Sinn des Wortbildners kund macht; denn weil er den Menschen sagt was da ist, indem er sie aus der Finsternis in das Licht versetzt, deshalb ist er Dag genannt worden.
Hermogenes: