Hermogenes: Dies hast du offenbar von Jemand gehört, Sokrates, und nicht jetzt aus dem Stegreif vorgebracht.
Sokrates: Wie aber? Das andere auch?
Hermogenes: Nein das wohl nicht.
Sokrates: So höre denn. Vielleicht kann ich dich auch mit dem übrigen noch hintergehen, daß du glaubst, ich hätte es nicht sonst wo gehört. Also was ist uns noch übrig nach der Gerechtigkeit? Die Tapferkeit, glaube ich sind wir noch nicht durchgegangen. Denn die Ungerechtigkeit ist ohne weiteres die Verhinderung des gehend richtenden. Die Tapferkeit aber zeigt, daß sie in Beziehung auf Streit so genannt worden; und Streit gibt es unter den Dingen, wenn sie sich bewegen, keinen andern als die entgegengesetzte Bewegung; und daher zeigt, wenn du nur ein weniges nachgibst, der Namen Tappfertigkeit, weil doch tappen stark entgegentreten heißt, ihr eigentliches Wesen. Offenbar aber ist nicht die einer jeden entgegengesetzte Bewegung Tapferkeit, sondern nur welche der bei dem gerechten vorbeilaufenden sich entgegensetzt, (414) denn sonst könnte ja die Tapferkeit nicht gelobt werden. Eben so bedeuten Mann und mannhaft, woran man doch bei tapfer denken muß, das mächtig angehende. Weib hingegen will wohl offenbar Werden und Leib sagen. Frau aber scheint von frisch und saugen benannt zu sein, frisch aber, o Hermogenes, von frei und rasch, weil das befeuchtete und genährte ja so wird.
Hermogenes: Das mag wohl sein, Sokrates.
Sokrates: Und so bildet das frisch und erfrischen selbst das Wachstum der Jugend ab, daß es rasch und eifrig geschieht. Aber du gibst nicht gut Acht auf mich, daß ich aus der Bahn springe, wenn ich auf eine glatte Stelle komme, denn es sind mir noch mehrere von jenen wichtigen Worten übrig.
Hermogenes: Ganz recht.
Sokrates: Hievon ist nun eines auch die Kunst, zu wissen was die wohl sagen will.
Hermogenes: Allerdings.
Sokrates: Das ist nun wohl der Kunde Sinn, wenn du nur das d wegwirfst, und statt des t das in annimmst.
Hermogenes: Gar sehr dürftig, Sokrates.
Sokrates: Aber weißt du denn nicht, du Schwieriger, daß die ursprünglichen Namen schon ganz zusammengeschmolzen worden sind von denen, welche sie prächtig machen wollten, und nun Buchstaben darum hersetzten, und andere herausnahmen des bloßen Wohlklangs wegen, so daß sie auf vielerlei Weise verdreht sind teils der Verschönerung wegen, teils aus Schuld der Zeit. So wie in Spiegel, scheint dir da nicht auch ganz ungereimt das ge hineingesetzt zu sein? Aber dergleichen, denke ich, tun die, welche sich um die Richtigkeit nichts bekümmern, sondern nur der Stimme wohltun wollen, und deshalb oft soviel zu den ersten Namen hinzutun, daß zuletzt kein Mensch mehr verstehen kann, was das Wort sagen will, wie sie auch eine Spange anstatt Spanne Spange nennen und vieles andere.
Hermogenes: Das ist freilich wohl so, Sokrates.
Sokrates: Wenn man aber wieder Jeden läßt nach Belieben Buchstaben hineinsetzen in die Worte und herausnehmen, so muß es wohl sehr leicht sein, jeden Namen jeder Sache anzupassen.
Hermogenes: Da hast du Recht.
Sokrates: Recht freilich; aber ich denke, du weiser Aufseher mußt eben Acht haben, daß Maß und Billigkeit beobachtet werde.
Hermogenes: Das wollte ich wohl gern.
(415) Sokrates: Und ich will es auch mit dir, Hermogenes. Aber nimm es nur nicht gar zu genau, du Wunderlicher, daß du mir nicht entnervest den Mut. Denn ich komme jetzt zum Gipfel alles bisherigen, wenn wir nach der Kunst erst noch das Geschick betrachtet haben. Geschick nämlich scheint mir dasjenige anzudeuten, wodurch man es weit bringt. Daher muß, wenn doch alles in Bewegung ist, aus diesen beiden dem Gehen und dem sich schicken in das Gehen der Namen Geschick zusammengesetzt sein. Doch wie gesagt, wir müssen nun zu dem Gipfel alles dessen, was wir jetzt vorhaben, kommen, indem wir untersuchen, was wohl die Namen der Tugend und der Bosheit sagen wollen. Das eine nun sehe ich noch nicht, das andere scheint mir aber deutlich zu sein; es stimmt wenigstens mit allem bisherigen überein. Wenn nämlich alle Dinge gehen, so muß alles bös hingehende Bosheit sein; am meisten aber muß was in der Seele ein solches bös hingehn zu den Dingen ist den Namen des Ganzen führen und Bosheit sein. Was aber böse gehen heißt, das glaube ich zeigt sich auch an der Feigheit, welche wir nicht mitgenommen, sondern übergangen haben, da wir sie sollten nach der Tapferkeit betrachtet haben; so haben wir wohl auch vieles andere übergangen. Die Feigherzigkeit also deutet darauf, daß sie ein festes Band für die Seele ist; denn das Ziehen ist etwas bindendes, und die Feigherzigkeit ist ein fest sich herziehn der Seele; wie auch die Verlegenheit etwas schlechtes ist, und alles, wie es scheint, was die Bewegung und das Gehen hindert. Jenes böse gehn deutet also auf eine aufgehaltene und gehinderte Bewegung, wodurch die Seele, wenn sie eine solche hat, voll Bosheit wird. Heißt nun aus dieser Ursache die Bosheit so, so muß ja die Tugend das Gegenteil bedeuten, nämlich eine Unbefangenheit zuerst, und dann das der Fluß einer guten Seele immer frei ist, so daß also ein unaufgehaltener und ungehinderter Gang, wie es scheint, durch dieses Wort bezeichnet wird. Richtig also hieße sie Tugehend, als immer zu gehend, denn t und z werden häufig verwechselt. Vielleicht aber meint er auch das tunliche Gehen als die vorzüglichste Beschaffenheit