Besonders stark hatte María Zambrano unter den Machtdispositiven zu leiden: zunächst als Verteidigerin der unterlegenen politischen Sache, anschließend aufgrund ihres philosophischen Stils, der sich der Mystik annähert. Wie Zambrano in den Claros del bosque andeutet, hatte sie selbst damit zu kämpfen, von einem Teil des akademischen Establishments als ,Mystikerin‘ oder ,Poetin‘ nicht für voll genommen zu werden.226 Schließlich musste sich Zambrano auch des allgegenwärtigen ,Machismo‘ erwehren, wie Octavio Paz in seiner Hommage an die Philosophin schreibt. So sei die Lehrtätigkeit Zambranos an der Casa de España (später Colegio de México) vor allem am Widerstand ihrer männlichen Kollegen gescheitert, die es ablehnten, mit einer Frau zusammenzuarbeiten: „¡una mujer profesora de filosofía!“227 Daraufhin sei sie ohne Vorbereitung kurzerhand in die Provinzstadt Morelia geschickt worden, wo sie sich einsam und verlassen in einem Umfeld gefühlt habe, das ihren geistigen Anliegen eher fernstand. Dieser Art von Problemen war Octavio Paz als renommierter Diplomat und bereits früh anerkannter Dichter nicht ausgesetzt. El mono gramático ist dennoch ein Werk, das die „Exklusionsmechanismen der diskursiven Logik“228 unterläuft. Der bloßen Einordnung als ,Prosagedicht‘ entgeht die tiefe und sehr persönliche Reflexion über den Vorgang des Dichtens und Schreibens. Sie entzieht sich jeglicher Macht, die versucht ist, mittels einer wissenschaftlichen Metasprache über den Text zu verfügen, und das Poem aus ihrem Sprachspiel ausschließt. Sein Konzept einer kritischen und historischen Poesie oder einer ,pasión crítica‘ steht daher unter dem Zeichen einer Apologie der Dichtung, die seit Platon unter dem Verdacht steht, der Vernunft entgegengesetzt zu sein. Sowohl Zambrano als auch Paz sehen sie jedoch als Instrument jenes unmittelbaren Weltverständnisses, wie es dem Laien im ,Buch der Natur‘ zur Verfügung steht. Dabei konfrontieren sie jedoch auch die Dichtung mit dem wissenschaftlichen Diskurs. Nicht die Erhöhung des ,Buchs der Natur‘ ist ihr Projekt, sondern die Problematisierung des Dechiffrierens aller Bücher. Denn Zambranos Lichtung ist genauso wie Paz’ Tempelruine unter diesem Gesichtspunkt vor allem eine Metapher für mangelhafte Lesbarkeit.
„Das komplizierte Ineinander von Dichterischem und Wissenschaftlichem im Essay“, schreibt Gerhard Haas, „hat immer wieder herausgefordert, sein Verhältnis zu diesen beiden Erkenntnis- und Aussageweisen näher zu bestimmen.“229 Beide Texte akzentuieren in der Metathematik die Interrelation von Philosophie und Mystik/Dichtung, die bei Paz als Verknüpfung von Text und Bild zusätzlich auf intermedialer Ebene gedacht und umgesetzt ist. Damit geraten die Texte zum Untersuchungsfeld für das Essayistische selbst, das sich auf seine Konstitutionsmechanismen hin prüft. In der Apologie ganzheitlicher Erkenntnisvermögen lässt sich das ,Essayistische‘, wie Müller-Funk schreibt, als „Absetzbewegung von den vertrauten Formen und Figuren des rationalen Denkens bestimmen: Definition, Eindeutigkeit, Kausalität, Verständlichkeit durch explizite Erklärung, die Wirksamkeit des Kausalgesetzes, Fußnoten, linearer Aufbau, eine strenge und tendenziell statische Distanz von Subjekt und Objekt, Einhaltung der Regeln der ,Disziplin‘.“230 Das ,Essayistische‘ schafft einen Raum, wo Diskurse atmen können, denen die szientifische Aussagepraxis ihre Sprache entzieht. Weil das ,Essayistische‘ sich jedoch dabei selbst infrage stellt, delegitimiert es Wissenschaft nicht, sondern unterhält einen kritischen Dialog mit ihr durch den Einbezug von Imagination und Phantasie, von Erfahrung und Sinnlichkeit.231
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