Somit können sich Lernaufgaben sowohl auf die Förderung von Einzelkompetenzen als auch auf die Entwicklung mehrerer Kompetenzen in Kombination beziehen. Dennoch sind sie immer handlungsorientiert, auf die Lebenswelt der Lernenden bezogen, und somit authentisch (vgl. Burwitz-Melzer/Caspari 2017: 257, Wäckerle/Martinez 2017: 275).
Gnutzmann zufolge ist eine zentrale Frage der Fremdsprachenforschung im Bereich Mündlichkeit, die nach der konkreten Umsetzung. Es stehe außer Frage, dass schulischer Unterricht auf „außerschulische soziokulturelle Begegnungssituationen“ (2014: 53) vorbereiten solle, es fehle aber noch an Erkenntnissen darüber, auf welche Weise dies geschehen könne. Ein solches Verständnis vom Fremdsprachenlerner als sozialen Aktanten wird auch in weiteren Publikationen aufgegriffen. So entwirft beispielsweise Hallet einen theoretisches Modell für komplexe Kompetenzaufgaben2 mit welchem er auf soziokulturelle Partizipation der Lernenden abzielt und zugleich einen Versuch unternimmt, eine Aufgabentypologie zu entwickeln, in der Kompetenzen nicht auf Fertigkeiten reduziert werden (vgl. Hallet 2012: 8ff.). Noch immer herrscht aber Uneinigkeit darüber, wie Kompetenz- und Lernaufgaben aussehen sollen und welche Inhalte ihnen zugrunde liegen sollen3.
In der fremdsprachendidaktischen Forschung wird die Rolle des Inputs, der Sprechaufgaben zugrunde liegt, bereits seit vielen Jahren diskutiert. Die dabei eingenommen Perspektiven sind überaus vielfältig, eint jedoch alle die Erkenntnis, dass dieser von herausragender Bedeutung für den Kompetenzerwerb ist. Gass & Mackey (2015) beschreiben ihn sogar als bedeutendste Determinante des Spracherwerbs. Schon Krashens Comprehensible Input Hypothesis stellt den sprachlichen Input einer Aufgabe als ihren zentralen Ankerpunkt dar (Krashen 1985). Auch wenn spätere Ansätze den Fokus richtigerweise auch auf die die Interaktion als solche sowie den outcome/output einer Aufgabe richten, wird auch in diesen die Wichtigkeit des Inputs und der Inhalte nicht gemindert (Swain 1995, Long 1996). Der Input soll den Lernenden Möglichkeiten geben, Bedeutung auszuhandeln und mit Sprache zu experimentieren. Dadurch, wie auch durch gezielte Rückmeldungen durch die Lehrkraft (Lyster & Saito 2010), entwickele sich die Sprechkompetenz auch bei erfahrenen Lernern wie in der Oberstufe kumulativ weiter. Inhalte für Sprechaufgaben müssen entsprechend so gewählt sein, dass sie die Lernenden zu Sprachhandlungen motivieren. Sie müssen so aufbereitet werden, dass die Lernenden, unter Rückgriff auf verschiedene Hilfestellungen und durch eine klare und verständliche Instruktion, einen Zugang zur Aufgabe erhalten, ihr kommunikatives Ziel antizipieren und die Wege zur Erreichung desselbigen, alleine aber auch kooperativ, einschlagen können (Vygotski 1978, van de Pol et al. 2010, Ellis & Shintani 2014). Auch in diesem Zusammenhang fehlt es an Empirie, die den Ist-Stand der schulischen Praxis abbildet, Stärken und Schwächen aufzeigt, und Impulse für Forschung und Lehrerbildung liefert. Welche Inhalte verwenden Lehrer für die Sprechkompetenzförderung in der gymnasialen Oberstufe? Wie stellen sie die Aufgaben? Welches Scaffolding stellen sie bereit und wie nutzen Lernende den Input bei der kommunikativen Bewältigung der Aufgaben? Ermöglicht der Input das Erreichen des kommunikativen Ziels? Zur Beantwortung dieser und weiterer Fragen möchte die vorliegende Studie einen Beitrag leisten4.
Ein weiteres Spannungsfeld stellt in diesem Kontext die Frage nach dem Verhältnis von Inhalts- und Formorientierung dar5. Im Zusammenhang mit dem Konzept der Aufgabenorientierung wird auch aktuell kontrovers diskutiert, welches Verhältnis zwischen focus on meaning, focus on form und focus on forms besteht bzw. bestehen sollte (vgl. Ellis/Shintani 2014, Long 2015, Loewen 2015). Auch Kurtz führt an, dass auf Lernerorientierung, Mitteilungsbezug und Fehlertoleranz ausgerichtete Mündlichkeit an ihre Grenzen stoße, wenn sie mit Kriterien wie Sprachrichtigkeit, Flüssigkeit, Komplexität und kontextueller Angemessenheit vereinbart werden müsse (vgl. Kurtz 2014: 119-120). Es müsse daher in der Forschung darum gehen, herauszufinden, wie Lehrende in der Praxis mit diesem Umstand umgehen. Auch sei die Frage zu beantworten, wie in der konkreten Unterrichtsgestaltung Struktur und Interaktion zusammenwirken (vgl. Kurtz 2001, Kurtz 2011, Kurtz 2014).
Martinez (2014: 160) stellt, unter Bezugnahme auf Henrici et al (2003) heraus, dass die Relevanz empirischer Zugänge für den Erkenntnisgewinn zwar methodisch herausfordernd, aber unbestreitbar sei. Sie plädiert daher für eine Wirkungsforschung, die Lernaufgaben zum Sprechen in den Fokus rückt und Auskunft über die Entwicklung der sprachlichen Kompetenzen der Lernenden geben könne (vgl. Martinez 2014: 161). Die vorliegende Studie will, anders als bereits existierende Arbeiten (vgl. Eckerth 2003), keine Aufgaben selbst entwickeln und untersuchen, sondern ist an einer Beschreibung der authentischen Unterrichtspraxis interessiert. Es wird deutlich, dass gerade in der aktuellen Mündlichkeitsforschung qualitative Studien fehlen, die Erkenntnisse über unterrichtliche Sprechformate liefern. Dabei müssen verschiedene Aufgabenformate (Dialoge, Gruppendiskussionen, Präsentationen etc.) dezidiert in den Blick genommen werden. Die Fokussierung von lerner- und schülerseitigen Aktionen während der verschiedenen Phasen einer Sprechaufgabe (Erteilung, Durchführung, Präsentation, Feedback) ist dabei ebenso wichtig wie eine Betrachtung und Analyse des zugrundeliegenden Inputs.
2.6.5 Register und Genrebezug
Cummins (1979) verwendete, ursprünglich im Kontext des bilingualen Fremdsprachenerwerbs, erstmalig die Begriffe BICS (basic interpersonal communicative skills) und CALP1 (cognitive academic language proficiency) um aufzuzeigen, dass es neben den kommunikativen Fähigkeiten von Fremdsprachenlernern noch eine weitere Dimension zu geben scheint, die sich wesentlich langsamer und nicht unmittelbar aus der Konversation entwickele. Hierbei handele es sich um die Fähigkeiten zur kognitiven Verarbeitung und Manipulation von Sprache in dekontextualisierten akademischen Situationen (vgl. Cummins 1979). Aus dieser Unterscheidung ließe sich die Hypothese ableiten, dass Fremdsprachenlerner mit zunehmender Lernzeit und zunehmender Vertrautheit mit Situationen, die Fähigkeiten der CALP-Dimension ansprechen, diese Fähigkeiten kontinuierlich entwickeln und die fremdsprachliche kommunikative Kompetenz die Summe aus den BICS- und CALP-Dimensionen darstellt. Ob sich diese Unterscheidungen in konkreter Lernersprache und in konkreten Sprachhandlungssituationen zeigen, dazu kann die Empirie weitere Erkenntnisse liefern. Dies erscheint insbesondere in Kontexten mit erfahrenen Lernern fruchtbar (z.B. gymnasiale Oberstufe).
Meißner charakterisiert Sprechsprache als „hochgradig kollokativ“ und „hochgradig idiomatisch“ (Meißner 2014: 177). Sie sei an Sprechsituationsroutinen gebunden, über deren psycholinguistische Implikationen noch zu wenige Erkenntnisse vorlägen (ibid.). Die empirische Erforschung solcher Phänomene setzt einerseits eine Betrachtung von Lernersprache in authentischen Interaktionssituationen voraus und erfordert, andererseits triangulierende Forschungsdesigns, um Vorerfahrungen der Lernenden zu erheben (vgl. Würffel 2014: 256).
Hallet bringt eine weitere Komponente in die Diskussion um die Förderung mündlicher Kompetenzen ein. Er vertritt dabei die Auffassung, die didaktischen Vorstellungen von Mündlichkeit seien „grundsätzlich auf Grundlage der und mit Bezug auf die sozialen und medialen kommunikativen Praktiken der beteiligten Kulturen zu konzeptualisieren und zu spezifizieren“ (Hallet 2014: 76). Daraus folgt, dass mündliche Kompetenzen nicht abstrakt, sondern gebunden an ein konkretes Genre geübt und bewertet werden können. Lernende sollten im Unterricht eine Vertrautheit mit generischen Formen zu verschiedenen Domänen lebensweltlicher Kommunikation entwickeln, um generisches Schemawissen bei Bedarf abrufen zu können. Lehrende hingegen sollten didaktische Entscheidungen hinsichtlich der Wahl geeigneter Diskursformen treffen können und entsprechend ihrer Wahl auch kriteriengeleitete Rückmeldungen erteilen, die den Lernenden bei der Ausbildung kognitiver Strukturen hilft und sie befähigt, die Diskurse erfolgreich zu bewältigen (vgl. Hallet 2014, Hallet 2016). Empirische Grundlagenforschung kann in diesem Zusammenhang dazu dienen, exemplarisch aufzuzeigen, welchen Genres die Sprechaufgaben entsprechen, die Lehrkräfte stellen und welcher Gestalt die Rückmeldungen sind, die lehrerseitig erteilt werden.
2.6.6 Sprechkompetenz messen und beurteilen
Die