Brown und Abeywickrama (2010: 183) heben hervor, dass es unmöglich sei, Sprechleistungen nach uniformen Kriterien zu beurteilen. Nur in wenigen Situationen, nämlich in Formaten des monologischen Sprechens, könne man Sprechkompetenzen losgelöst von Hörverstehkompetenzen und Diskurskompetenzen elizitieren und bewerten (ibid). Kriterienkataloge müssen entsprechend dieser Besonderheit des Sprechens Rechnung tragen. Sie schlagen selbst einen solchen vor, der sich in microskills und macroskills aufgliedern lässt. Auch wenn dieser Katalog keine ausdifferenzierten Skalen zur Verfügung stellt, anhand derer eine Bewertung von konkreten Schülerleistungen vorgenommen werden kann, so kann er als wertvolle Grundlage für die Erstellung von Bewertungsrastern fungieren und illustriert gleichwohl die Komplexität der Determinanten einer Sprechleistung. Unter den microskills werden formfokussierte Bestandteile wie phonetische Entscheidungen, Lautproduktion, Betonung, lexikalische Entscheidungen, sprachliche Flüssigkeit, Selbstreflexion und -korrektur, grammatikalische Entscheidungen und Kohärenz subsumiert. Die macroskills umfassen hingegen Diskurskompetenzen wie das situationsangemessene Aushandeln einer kommunikativen Situation, die Wahl eines angemessenen Registers, die Verwendung angemessener Paralinguistik (Mimik, Gestik) und das gezielte Anwenden kommunikativer Strategien zur Herstellung eines Adressatenbezugs1.
Brown und Abeywickrama stellen überdies heraus, dass die Erstellung geeigneter Aufgaben zur Bewertung von Sprechleistungen sich mit drei Problemfeldern konfrontiert sehe. Zuerst sei, wie bereits erwähnt, keine Sprechaufgabe in der Lage, die gewünschte Kompetenz vollständig losgelöst von anderen Kompetenzen zu betrachten. Rezeptive Kompetenzen wie Hörverstehen (in dialogischen Formaten) und Leseverstehen (Aufgabenstellung, Input) determinierten zumindest in Teilen den Erfolg einer Sprechaufgabe (vgl. Brown/Abeywickrama 2010: 187). Desweiteren sei es schwierig einzelne Aspekte der Sprechkompetenz gezielt anhand von Aufgabenformaten zu überprüfen, da gesprochene Sprache den Lernenden generell eine höhere Anzahl an Möglichkeiten zur kommunikativen Bewältigung einer Aufgabe gestatte und somit ein vorheriges Ausloten der möglichen Schülerlösungen umso wichtiger sei (ibid.). Zuletzt sei, zur Gewährleistung einer bestmöglichen Reliabilität, auf das Erstellen trennscharfer Bewertungsrubriken zu achten, was eine genaue Analyse der Aufgabe, der erwarteten Schülerleistung und der Vorkenntnisse der Lernenden bedingt (ibid.).
Eine wesentliche Grundlage für das effektive Bewerten von Sprechleistungen ist die Kenntnis der Komplexität der am Sprechen beteiligten Vorgänge und die Fähigkeit, Aufgaben zu erstellen, die von den Vorkenntnissen der Lernenden ausgehen und die gewünschten Teilaspekte möglichst gezielt in den Blick nehmen. Über den Schritt der Aufgabenerstellung kann dann die Entwicklung objektiver, reliabler und valider Bewertungskriterien eingeleitet werden. Luoma sieht weitere Anknüpfungspunkte für Forschung vor allem in der Erteilung von Feedback. Sie führt an, dass nützliches Feedback auf Sprechleistungen konkret und deskriptiv sei (Luoma 2004: 189). Lernende benötigen Rückmeldungen, die ihnen gezielt und anschaulich Stärken und Schwächen ihrer Sprechleistung aufzeigen und sich nicht in einem vagen und evaluativen good job oder well done erschöpfen (ibid.). Zu diesem Zweck schlägt sie die Erstellung und Verwendung aufgabenbezogener Feedbackbögen und langfristig angelegter feedback reports vor, hebt aber zugleich hervor, dass die Feedbackpraxis im Fremdsprachenunterricht langfristig empirisch begleitet werden müsse (vgl. Luoma 2004: 189 – 190). Es mangele an Erkenntnissen darüber, welche Rückmeldungen Lehrende auf Sprechleistungen erteilen2 und wie Lernende damit umgehen. Einige Publikationen befassen sich mit der Untersuchung von mündlichen Prüfungen sowie der kriteriengeleiteten Erstellung von Tests zur Erhebung von Sprechkompetenz (Taylor 2011, Hawkey 2011, Khalifa & Salamoura 2011) oder den Eigenschaften von Prüflingen und Prüfern in diesem Zusammenhang (O’Sullivan & Green 2011). Zu wenig liegt der Fokus aber auf den lernwirksamen Rückmeldungen, die Lernende im alltäglichen Unterrichtsgeschehen auf ihre Sprechleistungen erhalten. Im deutschsprachigen Kontext liefert vor allem die Forschung im DaF/DaZ-Bereich und die Didaktik slawischer Sprachen Erkenntnisse zur Feedbackkultur (Kleppin & Mehlhorn 2008, Kleppin 2009, Kleppin 2010, Kleppin 2015, Grotjahn & Kleppin 2015). In diesen Publikationen geht es um den Stellenwert von Fehlern für das Fremdsprachenlernen, geeignete Kriterien für die Beurteilung von mündlichen Leistungen und die Analyse typischer Fehlerquellen. Dass es sich um ein Thema handelt, dass für deutschsprachigen Kontext von wichtiger Bedeutung ist, zeigen die bildungspolitischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre auf (Kompetenzorientierung, Bildungsstandards).
Grünewald betont, dass die veränderte bildungspolitische Rahmung und die Forderung nach mehr Mündlichkeit im Fremdsprachenunterricht mit einem erhöhten Handlungsdruck für Lehrkräfte einhergehen3. Diese müssten sich nun, stärker als zuvor, mit der Planung und Durchführung von mündlichen Prüfungen befassen (vgl. Grünewald 2014: 61). Die in allen Jahrgangsstufen gestiegene Anzahl mündlicher Lern- und Leistungskontrollen, bringe auch einen Backwash-Effekt hinsichtlich der Unterrichtsplanung mit sich. Schließlich müsse ein Fremdsprachenunterricht, der nun verstärkt auf die Überprüfung von mündlichen Kompetenzen abziele, diese Formate auch üben und vorbereiten, was zwangsläufig in einer Ausrichtung zu mehr Mündlichkeit resultiere (ibid.).
Die Überprüfung von mündlichen Kompetenzen sollte, Grünewald zufolge, nicht mittels standardisierter Testverfahren, wie sie unter anderem für Sprachzertifikate verwendet werden, vorgenommen werden (vgl. Grünewald 2014: 62). Er plädiert stattdessen für einen, auf den schulischen Kontext angepassten, Katalog mit Gütekriterien für mündliche Prüfungen4. Diese müssen auch dem Gerechtigkeitsempfinden der Lernenden Rechnung tragen. Grünewald stellt überdies die Bedeutung von formativen Evaluationen der Sprechleistungen heraus. Es solle nicht nur einmalig im Rahmen einer Prüfung zu einer Evaluation kommen, sondern vielmehr kontinuierlich eine möglichst breite Bewertungsbasis erstellt werden, die den Lernenden als Rückmeldung ihres Leistungsstands diene (vgl. Grünewald 2014: 66). Die Vermittlung einer diagnostischen Kompetenz ist daher für die Lehrerbildung wichtiger denn je. Dies kann durch Studien geschehen, die videografierte Prüfungen und die Rückmeldungen untersuchen, aber es bedarf auch an Empirie, die abbildet, welche Rückmeldungen Lehrkräfte im Schulalltag auf mündliche Leistungen erteilen. Hierzu kann auch die vorliegende Studie einen Beitrag leisten.
2.7 Exkurs: Linguistische Zugänge zur Sprechkompetenz und ihre Limitationen
Die Erforschung von Schülersprache kann aus unterschiedlichen Perspektiven geschehen. Da die vorliegende Studie authentische Sprachdaten generiert und untersucht, erscheint es sinnvoll, diese kurz zu verorten. In den letzten vierzig Jahren sind im angloamerikanischen Raum viele Studien veröffentlicht worden, die mündliche Schülerbeiträge betrachten und sich auf die Herausstellung wiederkehrender und charakteristischer sprachlicher Strukturen fokussieren (Sinclair/Coulthard 1975, Sacks 1977, McHoul 1978, Sinclair/Brazil 1982, McHoul 1990, Coulthard 1992, Markee 1995, Mori 2004, Markee 2004, Seedhouse 2004, McCarthy/Slade 2007). Diesen gemein sind ein mikroanalytischer Forschungsansatz und ein eher linguistisches statt fachdidaktisches Erkenntnisinteresse. Es wird sehr kontrovers in der Literatur diskutiert, welchen Beitrag die Gesprächsforschung für die Fremdsprachendidaktik leisten