Paulusstudien. Friedrich W. Horn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friedrich W. Horn
Издательство: Bookwire
Серия: NET - Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000492
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2Kor 9$2Kor 9 erneut an die Gemeinden in der Achaia, um auf die Vollendung der Kollekte einzuwirken.1 Durch eine Voraussendung von Boten soll ihr Abschluss in diesen Gemeinden sichergestellt werden. In Röm 15,26 kann Paulus auf einen erfolgreichen Abschluss der Kollekte in Makedonien und Achaia zurückblicken, um nun die Reise zur Übergabe der Kollekte nach Jerusalem anzutreten, deren Annahme ihm zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits höchst fraglich ist (Röm 15,31). Ob die galatische Kollektenaktion nicht zu einem Abschluss gekommen oder ob sie unabhängig von der Kollektenreise des Paulus durch Delegierte der Gemeinden vollendet worden ist, kann auf der Basis der paulinischen Briefe allein nicht beantwortet werden.2 Demnach hat die Kollektenaktion Paulus mindestens von dem Zeitpunkt des Apostelkonvents bis zu seiner Ankunft in Jerusalem begleitet, nach einer üblichen Berechnung der Chronologie also ungefähr neun Jahre, nämlich von 48/49 bis 57/58 n. Chr.3 Genau genommen aber wird man sagen müssen, dass alle paulinischen Aussagen zur Kollekte in diesem Zeitraum in die letzten Jahre vor ihrer Übergabe fallen4 und hier unter zeitlich höchstem Druck zu stehen scheinen.5

      Doch soll nicht die Analyse dieser hier kurz angesprochenen Belege im Corpus Paulinum im Mittelpunkt des Beitrags stehen, sondern die Kollektenthematik in der Apostelgeschichte. Bekanntlich wird in ihr weder in dem Bericht über den Apostelkonvent noch in den Darstellungen der Missionsreisen in der Asia, in Makedonien und in Achaia, also in denjenigen Gemeinden, die Paulus mit der Kollekte in einen Zusammenhang bringt, die Kollekte erwähnt. Gleichfalls scheint die letzte Reise des Paulus nach Jerusalem nicht der Übergabe der Kollekte zu dienen, sondern wird in Apg 20,16$Apg 20,16 als Wallfahrt bezeichnet. Dennoch gibt es etliche Hinweise in diesem Werk, die darauf hindeuten, dass ihr Verfasser von der Übergabe einer Geldsumme gewusst hat, auch wenn er sie nicht eigens thematisiert. Über die Gründe dieses angeblichen Verschweigens ist viel gerätselt worden, der vorliegende Beitrag wird sich an der Entschlüsselung dieses Rätsels partiell beteiligen. Oft diente das Übergehen der Kollekte der Bekräftigung des Urteils, Lukas stehe in einem historischen Abstand zu Paulus und habe keine deutliche Kenntnis der Vorgänge gehabt bzw. seine Quellen und Traditionen hätten hier eben geschwiegen. Er sei darüber hinaus ein relativ freier Schriftsteller, der im Umgang mit seinen Traditionen und Quellen dem eigenen übergeordneten theologischen Darstellungswillen ein grundsätzliches Prä einräume. Methodisch hat diese in der frühen redaktionsgeschichtlichen Betrachtungsweise vorherrschende Sicht dazu geführt, hinsichtlich der Kollektenthematik den paulinischen Berichten einen Vorrang der Apostelgeschichte gegenüber zu geben und die lukanischen Aussagen in das paulinische Gerüst einzupassen, sofern dies überhaupt möglich ist.

      Jedoch ist auch das Vertrauen in die historische Verlässlichkeit der paulinischen Aussagen durch die Betrachtung einer rhetorischen Dispositionsanalyse der Schreiben und durch die Rezeptionsästhetik in gesunde Grenzen zurückgeführt worden. Denn die paulinischen Briefe sind nicht anders als die Apostelgeschichte auch immer daraufhin zu befragen, wie sie einen leitenden Gesichtspunkt argumentativ inszenieren und wie dieser demzufolge in den Gemeinden aufgenommen werden soll. Und es wird der Stellenwert, den diese Kollekte sowohl für Paulus persönlich als auch im Gegenüber zu seinen Gemeinden und zu der Jerusalemer Urgemeinde hatte, der er das Geld zu überbringen gedenkt (Röm 15,28$Röm 15,28), mit zu bedenken sein, wenn die Apostelgeschichte vergleichend herangezogen wird. Nach dem Zeugnis seiner Briefe ist die Kollekte, je länger je mehr, nicht mehr nur als eine Aktion der heidenchristlichen Gemeinden für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem, sondern auch als eine Maßnahme des Paulus, die der Rechtfertigung seiner Evangeliumsverkündigung unter den Heiden dient. Erscheint es noch in 1Kor 16,3f. als eher unwahrscheinlich, dass Paulus persönlich die Kollekte nach Jerusalem bringt, so geht er nach 2Kor 8,19$2Kor 8,19 von einer Übergabe durch sich und den in den Gemeinden dazu bestimmten Bruder aus, thematisiert in Röm 15,28.31 aber ausschließlich allein die Erfüllung dieser Aufgabe und seinen Dienst an Jerusalem, wenngleich er weiß, dass diese Kollekte das Werk der makedonischen und achaischen Gemeinden ist (Röm 15,26$Röm 15,26).

      Um den Stellenwert der Kollekte im paulinischen Missionswerk möglichst präzise zu erfassen, scheint mir eine Zurückstellung des Berichts der Apostelgeschichte methodisch nicht gerechtfertigt zu sein.6 Vielmehr werden einerseits alle Hinweise des Lukas sorgsam aufzunehmen und zu analysieren sein, andererseits aber auch die paulinischen Aussagen nicht unbesehen für eine historische Rekonstruktion verwertet werden dürfen. Die an die Analyse der Kollektenthematik innerhalb der Apg gerichtete Frage lautet, ob es gelingt, die historischen Konturen des paulinischen Kollektenwerks präziser zu erfassen.

      1. Die Kollektenthematik im Kontext des Apostelkonvents

      Der lukanische Bericht über den ApostelkonventApostelkonvent (Apg 15,1–35$Apg 15,1–35) erwähnt im Zusammenhang der Beschlüsse eine Kollektenvereinbarung nicht, wohl aber ein den Gemeinden in Antiochia, Syrien und Kilikien in Briefform vorgelegtes AposteldekretAposteldekret, welches den Heidenchristen die Enthaltung von Götzenopfer, Blut, Ersticktem und Hurerei auferlegt (Apg 15,23–29). Paulus hingegen hält als Beschlusslage die Aufteilung der Missionsgebiete fest und spricht das ihm und Barnabas anempfohlene Gedenken an die Armen an, das nach Gal 2,6 allerdings keinesfalls als Vereinbarung des Konvents verstanden werden darf. Die Differenzen können nicht einseitig entweder Paulus oder Lukas als absichtliches Verschweigen oder als bewusstes Ersetzen des Beschlusses durch einen anderen angelastet werden. Die Sachlage stellt sich weitaus komplizierter dar. Es wird erwogen, ob das Aposteldekret etwa ursprünglich nicht mit dem Apostelkonvent zu verknüpfen ist, sondern in der Folge des antiochenischen Konflikts oder gar als dessen Auslöser1 von den Jerusalemer Aposteln und Ältesten ausgegeben wurde. Die Nichterwähnung des Dekrets in Gal 2,1–10$Gal 2,1–10 wäre dann nachvollziehbar und mit dem emphatischen ἐμοι γάρ οἱ δοκοῦντες οὐδὲν προσανέθεντο (Gal 2,6) in Einklang zu bringen, wiewohl gleichzeitig eine Kenntnis dieses Dekrets, unbeschadet auch weiterer Nicht-Erwähnung in den Briefen, indirekt von einigen Forschern erschlossen wird.2

      Es ist zweifelhaft, ob es jemals einen formalen Beschluss auf dem Apostelkonvent zur Durchführung einer Kollekte in den heidenchristlichen Gemeinden für die Armen in Jerusalem gegeben hat. Dies wird weder in Apg 15,1–35 bzw. in der weiteren Apostelgeschichte gesagt noch in Gal 2,1–10 vorausgesetzt. Keine einzige Erwähnung der Kollekte in den paulinischen Briefen bezieht sich auf einen solchen Beschluss. Röm 15,26 spricht vielmehr von einem Vorsatz der Gemeinden in Makedonien und in der Achaia, eine Sammlung für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem durchgeführt zu haben. Dies sei, so 2Kor 8,3f., freiwillig geschehen und stelle allenfalls einen Gehorsamsakt gegenüber dem Evangelium Christi dar (2Kor 9,13), nicht aber gegenüber einem zurückliegenden Beschluss.

      Es ist zudem durchaus fraglich, ob Gal 2,10$Gal 2,10 die aufgebürdete Beweislast für einen formalen Beschluss tragen kann. Die nach dem paulinischen Bericht getroffene Übereinkunft zwischen einerseits Jakobus, Kephas und Johannes, den Säulen also, und andererseits Paulus und Barnabas sieht eine Trennung der Missionsgebiete „wir zu den Heiden, ihr zu der Beschneidung“ vor und fügt einleitend mit μόνον einen Nachsatz an, demzufolge sich Paulus und Barnabas verpflichten, der Armen zu gedenken. Diese Übereinkunft ist in allen ihren Teilen undeutlich. Die Aufteilung der Mission in eine reine Heidenmission und eine reine Judenmission ist praktisch unmöglich und ist auch sowohl von Petrus als auch von Paulus als Vertragspartnern des Apostelkonvents nach Auskunft der Quellen nie durchgeführt worden. Der Hinweis auf die Kollekte spricht zunächst eine Erwartung sowohl an Barnabas als auch an Paulus als den antiochenischen Delegaten auf dem Konvent aus, jedoch betont Paulus in einem weiteren Nachsatz, dass er dieser Erwartung nachgekommen sei. Ob auch Barnabas, dessen Mission im Anschluss an den Apostelkonvent getrennt von Paulus verlief, seinerseits im Anschluss an den Konvent eine Kollekte gesammelt hat, bleibt offen.

      Kann μόνον τῶν πτωχῶν ἵνα μνημονευώμεν dahingehend aufgenommen werden, dass hiermit auf eine auf dem Konvent erstmals beschlossene und von beiden Vertragsparteien per Handschlag (Gal 2,9) besiegelte Aktion zugunsten der Urgemeinde angespielt wird? Paulus leitet mit μόνον einen Satz ein, dessen betontes Glied, die Armen, vor den mit der Konjunktion ἵνα eingeleiteten Wunsch tritt. Dieser Wunsch steht nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem vorausgehend genannten Beschluss und dem angesprochenen Handschlag, sondern stellt eine eigene Aussage dar.3 Sie bezieht sich auf Paulus und Barnabas