Um über die Sachgemäßheit dieses Bildes und über die These eines möglichen Verschweigens der Kollekte urteilen zu können, möchte ich festhalten, was aus paulinischen Aussagen zur Kollekte zu erheben und was überhaupt für Lukas vorauszusetzen ist. Der Stellenwert der Kollektenaktion scheint innerhalb der Gemeinden gering gewesen zu sein. Zwar spricht Röm 15,26$Röm 15,26 abschließend von einem Kollektenbeschluss der makedonischen und achaischen Gemeinden (ohne jegliche Erwähnung einer auf dem Apostelkonvent eingegangenen Verpflichtung), 2Kor 8–9$2Kor 8–9 zeigt jedoch, dass allenfalls die makedonischen Gemeinden freiwillig für die Kollekte eingetreten sind, während die achaischen Gemeinden durch Boten zu einem Abschluss der Sammlung genötigt werden müssen. Die Beschreibung der Kollektendelegation nennt aber keine achaischen Vertreter. Wenn man zugleich deutlich zwischen der Erinnerung an die Vereinbarung in Gal 2,10a, die Barnabas und Paulus als Vertreter der antiochenischen Gemeinde betraf, und der eigenständigen Kollekte des Paulus12, deren Abschluss in die letzte Phase seines Wirkens fällt, unterscheidet, dann wird das paulinische Anliegen und seine spezifische Interpretation der Kollekte nur derjenige nachvollziehen können, der 2Kor 8–9 und den Römerbrief gelesen hat. In diesen Schreiben tritt Paulus in sehr persönlicher Weise für die Durchführung der KollekteKollekte ein, um durch sie die Verbundenheit der Heidenchristen mit der Jerusalemer Gemeinde zu demonstrieren. Da Lukas keine Kenntnis paulinischer Briefe in der Apostelgeschichte zeigt, wird man folgern dürfen, dass Lukas offensichtlich auch nicht bekannt war, „welche Bedeutung Paulus mit diesem Zeichen der Solidarität der Heidenchristen mit der Mutterkirche in Jerusalem beigemessen hatte.“13
Die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes und die vergänglichen Bilder der Menschen*
Überlegungen im Anschluss an Röm 1,23$Röm 1,23
* Zuerst erschienen: Die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes und die Bilder der vergänglichen Menschen. Überlegungen im Anschluss an Röm 1,23, in: A. Wagner/V. Hörner/G. Geisthardt (Hg.), Gott im Wort – Gott im Bild. Bilderlosigkeit als Bedingung des Monotheismus?, Festschrift für Klaus Bümlein, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlagsgesellschaft 2005; 22008, 43–57.
Nachdem die Theologie sich in den vergangenen Jahrzehnten nacheinander mit der Soziologie, sodann mit der Psychologie und schließlich mit der Literaturwissenschaft befasst und arrangiert hat, ist sie jetzt vom iconic turn erfasst worden.1 Doch wird die Begegnung vermutlich von einer tief sitzenden Ambivalenz gezeichnet sein. Die theologische Tradition vermittelt auf vielfache Weise, angefangen vom alttestamentlichen Bilderverbot und seiner Rezeption in Judentum und Christentum über Bilder stürmende Reformatoren bis hin zum calvinistisch geprägten Kirchbau, vielfache Vorbehalte. Die Lebenswirklichkeit des evangelischen Christentums jedoch kann ohne Bilder gar nicht sein, sie haben in Didaktik und Literatur, in Kirchbau und christlicher Kunst einen festen Platz. Unverzichtbare Bilder christlichen Glaubens speisen sich aus dem reichen metaphorischen Schatz der biblischen Tradition.2 In welche Richtung wird die gegenwärtige Diskussion verlaufen, welcher Stellenwert wird in ihr der kirchlichen Tradition, vor allem dem biblischen Zeugnis zukommen?3
Ich möchte in diesem Vortrag von der ersten Anklage des Apostels Paulus in Röm 1,23 ausgehen, die dem Zorn Gottes über allen Frevel und alle Ungerechtigkeit der Menschen Raum gibt und sagt: … sie haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit dem Abbild der Gestalt eines vergänglichen Menschen und mit Vögeln und mit Vierfüßlern und mit kriechenden Tieren. In einem ersten Abschnitt soll diese Aussage eingeordnet werden in den Duktus der Argumentation des RömerbriefRömerbriefs. Ein zweiter Abschnitt wird fragen, was Paulus zu seiner Zeit konkret vor Augen hatte, wenn er von dem Abbild der Gestalt eines vergänglichen Menschen und mit Vögeln und mit Vierfüßlern und mit kriechenden Tieren spricht. Paulus ist hellenistischer Jude, die ihn prägende Tradition ist das hellenistische Judentum, speziell das Diasporajudentum. An dessen Polemik und Apologetik schließt Paulus sich an, wie in einem dritten Schritt exemplarisch dargelegt werden soll. Schließlich abschließend viertens einige Bemerkungen zum Verhältnis von Gottesverehrung und Ethik im Anschluss an Röm 1,23.
1. Röm 1,23 im Kontext des Römerbriefs
Der Brief des Paulus an die ihm bislang unbekannten Christen in Rom ist nach herrschender Sicht das letzte Schreiben des Apostels. Es wurde abgefasst möglicherweise im Jahr 56 n. Chr. in Korinth und es blickt bereits vor auf die anstehende Reise zur Überbringung der Kollekte nach Jerusalem, an die sich der Besuch in Rom als Zwischenstation auf einer Missionsreise nach Spanien anschließen soll. Diese Vorhaben stehen unter der enormen Sorge, ja der Todesangst (Röm 15,22–33), dass bereits die erste Reisestation Jerusalem zu einer feindlichen Begegnung mit der jüdischen Gemeinde führen wird.1 Zwischenzeitlich ist die Kritik an Paulus und seiner Auslegung des Evangeliums in solch einem Maß gewachsen, dass der Apostel meint, im Osten des Römischen Reiches, also in seinem eigentlichen Missionsgebiet keine Wirkmöglichkeit mehr zu haben (Röm 15,23). Die besondere Situation der Abfassungsverhältnisse lässt mit Recht im Römerbrief ein von den anderen Gemeindebriefen des Apostels unterschiedenes Schreiben erkennen. Ohne die Gattungsfragen hier strapazieren zu wollen, deuten die Kategorien ‚Testament‘2 oder ‚Rechenschaft vom Evangelium‘3 die Richtung an, in der das Schreiben an die Römer gelesen sein will.
Im Anschluss an den üblichen Briefeingang, der mit der Propositio und des hier vorgelegten und sodann im Briefganzen durchhaltenden Themas der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im Evangelium schließt (Röm 1,16f.), hebt der Brief zunächst zu einer umfangreichen und weit über ähnlich lautende Kritik in früheren Briefen4 hinausgehenden Anklage der Heiden (Röm 1,18–32) und der Juden (Röm 2,1–3,20) an. Sie endet für beide Gruppen mit dem Urteil, für das zurückliegende Fehlverhalten schuldig zu sein (Röm 1,32) bzw. mit der Feststellung, dass beide Gruppen, also alle gesündigt haben und der Herrlichkeit Gottes ermangeln (Röm 3,9.23), daher unter dem Zorn GottesZorn Gottes stehen (Röm 3,9–20).
Für das Verständnis des angekündigten Zorngerichtes Gottes sind einige exegetische Grundentscheidungen, die hier nur kurz angesprochen werden können, unabdingbar. Zunächst ist zu klären, auf welchen Zeitpunkt die Offenbarung des Zorngerichtes blickt und sodann, in welchem Verhältnis die Offenbarung des Zorngerichts zu der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im Evangelium steht, von der zuvor in der Propositio oder dem Themavers des Römerbriefs (Röm 1,16f.) die Rede war. In beiden Fällen verwendet Paulus die Zeitform Präsens und liest ἀποκαλύπτεται. Während aber hinsichtlich der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes durch das Evangelium und ihrer Annahme im Glauben die Gegenwart angesprochen ist und im Blick auf die Rettung (εἰς σωτηρίαν) der Zukunftsaspekt nur angedeutet wird, steht dieser bei der Offenbarung des Zornes Gottes eindeutig im Vordergrund.5 Darauf deutet etwa die adverbiale Bestimmung ἀπ᾽ οὐρανοῦ, die, gemeinsam mit dem Begriff ὀργή, den apokalyptischen Hintergrund des ganzen Komplexes anzeigt (vgl. äthHen 91,7) und ohne den die Gerichtsansage nicht zu verstehen ist. Es geht mithin „… um das In-Erscheinung-Treten einer Wirklichkeit, die bei Gott verborgen ist, aber erst im Vollzug ihrer Offenbarung ankommt,