Der Ich-Sprecher vergleicht sich als beschenkten Klienten mit einem Füchslein, das sich in eine Getreidekiste eingeschlichen hatte,9 nach dem Fressen aber so zugenommen hat,10 dass es nicht mehr ins Freie entschlüpfen kann. Den Rat des Wiesels an das Füchslein, wieder abzunehmen, also auf die Annehmlichkeiten der Abhängigkeit zu verzichten, bezieht Horaz auf seine Situation und antwortet dezidiert: Ja, er kann auf alle Annehmlichkeiten verzichten; nein, er tauscht die otia liberrima11 nicht gegen die Schätze Arabiens ein.12 Es bleibt jedoch trotz der resoluten Aussage ein gewisser Zweifel.13 Dass diese scheinbare oder drohende Absage an Maecenas anders akzentuiert ist, erkennt der Leser durch die nachfolgende dritte Einlage, das Telemach-Zitat aus der Odyssee (4,601ff.).HomerOd. 4,601ff.
Erneut geht es um die sozialen Positionen, die Schenkender und Empfangender einnehmen. Der Geber weist dem Beschenkten mit der Gabe eine Position zu, die dieser akzeptieren oder auch korrigieren kann (epist. 1,7,37‑45):Horazepist. 1,7,37-45
saepe verecundum laudasti, rexque paterque | |
audisti coram, nec verbo parcius absens: | |
inspice si possum donata reponere laetus. | |
haud male Telemachus, proles patientis Ulixei: | 40 |
‘non est aptus equis Ithace locus, ut neque planis | |
porrectus spatiis nec multae prodigus herbae; | |
Atride, magis apta tibi tua dona relinquam.’ | |
parvum parva decent: mihi iam non regia Roma, | |
sed vacuum Tibur placet aut inbelle Tarentum. | 45 |
Zunächst sind die Vielschichtigkeit des Begriffes sowie der betreffende Vers in seinem Zusammenhang zu berücksichtigen: Zwar signalisieren die Anredetermini deutlich ein hierarchisches Gefälle zwischen cliens und patronus; doch dass hierbei rex nicht ganz negativ zu verstehen ist, ist evident: Der Ich-Sprecher gibt die Anrede zum einen humorvoll wieder, denn sie betont offenbar eine gewisse Unterordnung bzw. ein gewisses Gefälle im Verhältnis.14 Zum anderen erkennt Maecenas die Aufrichtigkeit des Horaz (saepe verecundum laudasti, 37) an, so dass der Ausdruck Respekt bezeugt.15 Indem Horaz coram und absens im Gebrauch der Anrede unterscheidet, werden die typischen Verhaltensweisen eines üblichen Klienten angedeutet: Wenn der rex nicht anwesend ist, wird anders über ihn gesprochen. Horaz dagegen beteuert, dass er in Maecenas’ Anwesenheit und Abwesenheit gleich spricht (und empfindet). Mit nec verbo parcius zeigt der Sprecher also deutlich, dass solche Termini, ähnlich wie im Falle von amicitia-Begriffen,16 auch als positiv bewertet werden können.
Andererseits erinnert der Hexameterschluss an epische Anreden. Recht häufig sind bei Homer Vokativ-Ausdrücke von Zeus wie Ζεῦ πάτερ oder Ζεῦ ἄνα zu finden. Als Formel kommt bei Vergil oft das auf Homers πατὴρ ἀνδρῶν τε θεῶν τε zurückzuführende Epitheton divum pater atque hominum rex für Jupiter vor.17 Der Horaz-Sprecher spielt offenbar humorvoll darauf an: Nicht umsonst ist ab dem Vers 40 ausdrücklich vom Homerischen Werk die Rede. Beim Telemach-Zitat (40‑43) werden sogar einige Odyssee-Verse paraphrasiert und wird eine Parallele zur Horazwelt hergestellt (dazu s.u.). Berücksichtigt der Leser außerdem, dass der Horaz-Sprecher Maecenas nicht selten humorvoll den Göttern gleichsetzt (erinnert sei z.B. an die Darstellung davon, was das volgus in sat. 2,6 von Horaz und seiner Nähe zu den „Göttern“, nämlich Maecenas und Augustus, hielt: deos quoniam propius contingis oportet, 52),18 dann ist diese parodistische Anspielung auf Maecenas als beinahe göttlichen rex und pater noch evidenter.
Unter dieser Voraussetzung wird offenkundig, warum der Dichter dem Adressaten provozierend seine Bereitschaft kundtut, alle Geschenke zurückzugeben (inspice si possum donata reponere laetus, 39): Die Homerische Anspielung in den Versen 40‑43 dient zur Veranschaulichung. Der Gestus des Menelaos gegenüber Telemach ist zwar im Rahmen der Homerischen Xenia zu verstehen, doch er deutet auch auf einen Überlegenheitsgestus des Königs gegenüber dem jungen Besucher hin.19
Es ist ein Signal des Reichen, der übertriebene Geschenke gibt, die aber den Bedürfnissen des Beschenkten nicht ganz entsprechen. Die vorbildliche Höflichkeit, mit der Telemach das unangemessene Geschenk zurückzuweist, ohne Menelaos zu beleidigen, wird zum Signal dafür, dass Horaz ebenfalls Maecenas davor bewahren möchte, als rex unangemessen zu schenken. Mit Menelaos gleichgesetzt zu werden, ist nun keine Schande. Und dass Horaz in den Werken Homers seine ethischen Modelle findet, hat er in epist. 1,2 schon betont. Aus dieser seiner Lektüreerfahrung in der Ruhe von Praeneste wagt er es, Maecenas seine Ergebnisse mitzuteilen. Mit der Parallele in den Versen 44f. zeigt er Maecenas, dass regia Roma zwar beeindruckend, doch für ihn nunmehr unpassend ist: Horaz will keine soziale Gleichstellung mit regia Roma und rex Maecenas – er akzeptiert den Unterschied, fordert aber, dass auch Maecenas die Folgen anerkennt und Horaz bescheiden leben lässt (parvum parva decent, 44).20 Dabei liegt das Schlüsselwort dieser Verse vor allem in der adverbialen Zeitangabe iam non (44). Denn der Sprecher inszeniert sich, ähnlich wie in Epistel 1,1, als erfahrener cliens, der seine Ruhe endlich genießen darf: Bemühte sich der jüngere Horaz-Sprecher unter großen Anstrengungen, die städtischen aliena negotia centum, die etwa in sat. 2,6 vorkommen, zu erledigen, so gehören sie nunmehr zur Vergangenheit. Damit knüpft er implizit auch an die Verweigerung der officiosa sedulitas und der opella forensis vom Epistelanfang an. Die Erwähnung von vacuum Tibur und inbelle Tarentum (45) erinnert außerdem indirekt an das Motiv der vita solutorum misera ambitione gravique des ersten Satirenbuches (sat. 1,6,129)Horazsat. 1,6,129 und an die topische Gegenüberstellung von Stadt- und Landleben, etwa in sat. 2,6 oder epod. 2Horazsat. 2,6Horazepod. 2 – doch in epist. 1,7 wird das Landleben an sich nicht gepriesen, und dies muss betont werden.21 Denn im Mittelpunkt steht die Thematik des richtigen Schenkens.
Dies wird auch in den gleich darauffolgenden Versen gezeigt, in der sog. Philippus-Mena-Anekdote (epist. 1,7,46‑95).Horazepist. 1,7,46-95 Dort erfolgt einerseits die Gegenüberstellung von Stadt- und Landleben, doch andererseits wird diese nur als Ausgangspunkt der Thematik des Schenkens und seiner Folgen im Rahmen des Kontrasts zwischen innerer Freiheit und Abhängigkeit genutzt. Dabei unterscheidet sich diese letzte Erzählung nicht nur durch ihre Ausführlichkeit, sondern vor allem durch die explizite Vergleichbarkeit der Situation: Hier wird im Rom der Gegenwart gezeigt, wie ein patronus-cliens-Verhältnis entsteht und sich zu Ungunsten des cliens entwickelt, obwohl der patronus Hochachtung für den cliens hegt und aus Fürsorge für ihn handelt. Aber durch diese Fürsorge verliert der cliens die Eigenschaften, die ihm zuvor die Aufmerksamkeit und Hochachtung des patronus verschafft haben.
In dieser beinahe 50 Verse langen Erzählung treten zwei Figuren auf: der erfahrene und reiche Redner Philippus sowie der wohl jüngere, schüchterne praeco,22 Volteius Mena. Zwischen den