Damit wird evident, dass der Leser einen tieferen Einblick in die Problematik des patronus-cliens-Verhältnisses erhält, vor allem in den Episteln, in denen sich der Ich-Sprecher als schon reifer und erfahrener Dichterklient inszeniert, dem es dank der Förderung des Maecenas möglich ist, endlich die so begehrte Ruhe zu genießen. Dabei sind vor allem die epist. 1,7; 1,17 und 1,18 von zentraler Bedeutung. Dort betont der Sprecher die Vor- und Nachteile der amicitia (bzw. des Abhängigkeitsverhältnisses) zu mächtigen Gönnern/amici, indem er sich sogar in einer didaktischen Rolle dem jüngeren Unerfahrenen gegenüber positioniert. Das Ganze wird aber durch Stilbrüche an bestimmten Stellen relativiert, so dass sich die cultura potentis amici (epist. 1,18,86) zwar immer noch als problematische und gefährliche Kunst erweist, doch gleichzeitig über die positiven Aspekte als nutzbringende und empfehlenswerte Tätigkeit betont wird6 – dabei spielen die Kontraste zwischen Land- und Stadtleben sowie innerer und äußerer Freiheit, ähnlich wie in Epode 2 und Satire 2,6, eine wichtige Rolle.
i) Die Kunst des Schenkens und Nehmens: Abhängigkeit und Freiheit in Epistel 1,7.
Horazepist. 1,7Das Verhältnis zwischen Horaz und Maecenas hält die Waage zwischen einer amicitia und einer clientela. Epistel 1,7 beschreibt dieses Verhältnis, indem Horaz hier ein ebenso zentrales wie sensibles Thema aus unterschiedlichen Perspektiven bespricht: die Kunst des Schenkens und Nehmens und die Auswirkungen von Freiheit und Abhängigkeit.1
Der Brief setzt mit einer scheinbar harmlosen Situation und einem vertrauten Tonfall ein, steuert aber damit sofort auf das zentrale Problem zu: Der Sprecher, der sich als vates tuus (11) bezeichnet, wendet sich an Maecenas als seinen dulcis amicus (12), den er um Nachsicht (venia, 5) für einen Wortbruch (mendax, 2) bitten muss: Unter dem Vorwand, sich fünf Sommertage frei zu nehmen, reist er nämlich nun ab, um aus der Ferne anzukündigen, dass er von August bis zum nächsten Frühjahr2 nicht in Rom sein werde. Dem Vorwurf, der wegen der Dreistigkeit dieses Vorgehens zu erwarten wäre, kommt Horaz zuvor, indem er seine angegriffene oder genauer noch seine gefährdete Gesundheit betont (quam mihi das aegro, dabis aegrotare timenti, | Maecenas, veniam, 4F.) und damit an die Fürsorgepflicht des Maecenas (3) appelliert. Die ungesunde Luft im Sommer, an die Horaz dramatisierend mit dem Verweis auf allgemein um sich greifende Todesfälle erinnert, macht die villeggiatura lebensnotwendig. Hinzu kommt die hochgefährliche officiosa sedulitas in der Stadt, die zu Fieberanfällen führt (8). Das rechtfertigt dann offensichtlich auch die Abwesenheit im Winter, denn der Dichter muss sich schonen und bei der Lektüre erholen (11‑12).
Der Ton des Briefes gilt in der Wissenschaft insgesamt als problematisch: Einerseits wird eine gewisse Dreistigkeit gegenüber Maecenas wahrgenommen.3 Andererseits deutet die Epistel jedoch auf einen vertraulichen Umgang mit dem Adressaten hin und weist einen humorvollen Ton auf, der nicht vernachlässigt werden darf.4
Es geht offensichtlich um die Möglichkeit, ein Stück Unabhängigkeit in der Abhängigkeit vom patronus zu wahren. Die Epistel bespricht das heikle Thema durch eine ganze Sequenz von erzählerischen Einlagen,5 die vom Calaber-Witz über die Fabel-Einlage vom Füchslein in der Mehlkiste und das Telemach-Zitat aus der Odyssee bis zur ausführlicher erzählten Geschichte des Volteius Mena, der zum Klienten des Philippus wird, reichen. Horaz akzentuiert damit jeweils unterschiedliche Problemstellungen und gibt i.d.R. auch exegetische Hinweise dazu.
Mit der Beteuerung, dass Maecenas den Dichter reich gemacht hat (tu me fecisti locupletem, 15), wird zugleich die erste der Erzähleinlagen als Vergleich eingeführt, bei dem Maecenas als idealer Geber charakterisiert werden soll. Der Witz führt einen kalabrischen Gastgeber ein, der seinem Gast, der höflich abzulehnen versucht, seine Birnen aufdrängt, indem er am Ende beteuert: „Nimm sie mit, sonst kriegen sie die Säue.“ Diesen Calaber zu übertreffen, ist auf den ersten Blick sicher nicht das größte Kompliment für Maecenas. Aber Horaz interpretiert den an sich leicht eingängigen Witz in einer moralphilosophischen Exegese, die das Verhältnis von Geber und Beschenktem mit der Zielsetzung verdeutlicht, warum Horaz sich im Unterschied dazu durch das Geschenk des Maecenas als locuples fühlen darf (epist. 1,7,20‑28):Horazepist. 1,7,20 28
prodigus et stultus donat quae spernit et odit: | 20 |
haec seges ingratos tulit et feret omnibus annis. | |
vir bonus et sapiens dignis ait esse paratus, | |
nec tamen ignorat quid distent aera lupinis: | |
dignum praestabo me etiam pro laude merentis. | |
quodsi me noles usquam discedere, reddes | 25 |
forte latus, nigros angusta fronte capillos, | |
reddes dulce loqui, reddes ridere decorum et | |
inter vina fugam Cinarae maerere protervae. |
Der Calaber ist prodigus und stultus, weil er das Geschenk geringschätzt und damit zugleich den Beschenkten auf die Stufe seiner Schweine herabsetzt, die mit dem Geschenk gefüttert werden. Damit ist die Aussage des Witzes selbst deutlich geworden. Mit Bezug auf Maecenas ist die Aussage wichtig, dass dem prodigus damit der Lohn für das Geschenk entgeht und die Beschenkten ingrati bleiben. Horaz will aber auf die Wirkung hinaus, die ein würdiges Geschenk auf den Beschenkten und den Schenkenden ausübt: Die Dignität des Geschenks überträgt sich auf den damit Geehrten. Es ist die Wertschätzung, die auf einem positiven Urteil des Schenkenden beruht, die wiederum auf den Schenker angenehm zurückwirkt, weil sich der Beschenkte dieses Urteils als würdig erweisen will. Soweit schließt Horaz die Interpretation mit einer Ich-Aussage ab: Er versichert, dass er sich auch des Maecenas als würdig erweisen wird.6
Die argumentative Funktion des Vergleichs mit dem Calaber muss noch auf die Ausgangssituation zurückgeführt werden: Maecenas soll die Dignität des Horaz auch weiterhin berücksichtigen, indem er die Gabe nicht als etwas abwertet, das durch eine ständige Anwesenheitsverpflichtung erkauft werden muss. Horaz verdeutlicht diese überzogene Forderung durch ein witziges Adynaton, das den Ausgangspunkt der Stadtflucht in Erinnerung ruft: die gesundheitliche Anfälligkeit des alternden Dichters. Wenn nämlich Maecenas auf die Anwesenheit besteht, muss er Horaz etwas schenken: die Jugend.7 Das kann Maecenas nicht. Also muss er Menschlichkeit und Fürsorge im Umgang mit schwachen Menschen zeigen. Wie in epist. 1,1 macht Horaz deutlich, was Maecenas erwarten darf und was nicht: Dichterische Kreativität in 1,1 und freundschaftliche Unterhaltung in 1,7 kann und soll niemand auf Kommando und kontinuierlich leisten.8
Umgekehrt wird mit der anschließenden volpecula-Fabel das Verhalten des Horaz charakterisiert (epist. 1,7,29‑36):Horazepist. 1,7,29 36
forte per angustam tenuis volpecula rimam | |
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