tali dignus amico. Vicente Flores Militello. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Vicente Flores Militello
Издательство: Bookwire
Серия: Classica Monacensia
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823301752
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findetur munere quadra. sed tacitus pasci si posset corvus, haberet 50 plus dapis et rixae multo minus invidiaeque.

      Nun wird der entscheidende Perspektivenwechsel inszeniert: Aus dem Blickwinkel des patronus ist der bettelnde cliens natürlich ebenfalls lästig, vor allem aber wird die Einschätzung des Vertrauensverhältnisses zum Thema gemacht. Unabhängig davon, ob die Erwähnung einer Reise nach Brundisium selbstreferentiell zu verstehen ist oder nicht,17 zeigen diese Verse (52‑62), wie das poscere und plorare auf den patronus wirken. Wieder wird die Komödie als Bezugspunkt gewählt: Die typischen Tricks der meretrix, um ihren Liebhabern Geschenke abzupressen, werden auf das Verhalten des cliens übertragen. In beiden Fällen wird das Vertrauen (fides) beschädigt. Noch schlimmer wirkt die letzte Szene des Briefs, denn der cliens wird noch einmal daran erinnert, wie nahe er den Bettlern kommt, indem er mit einem Landstreicher (planus) gleichgesetzt wird, der mit einem scheinbaren Gebrechen bettelt, im tatsächlichen Notfall aber keine Hilfe mehr findet.

      Horaz muss kein Resümee an den Schluss stellen. Das Thema der Epistel ist die Würde, die ein cliens in einem patronus-cliens-Verhältnis selbstverantwortlich wahren kann und muss. Der cliens hat es mit seinem Verhalten und seinem Selbstwertgefühl in der Hand, seine eigene Lebenssituation durch das Verhältnis lebenswert zu gestalten oder sich zum Bettler zu degradieren. Aristipp und Diogenes werden als emblematische Figurationen bis zur letzten Szene bestätigt.

      Einen Schritt weiter in der philosophischen Analyse des clientela- (oder clientela-ähnlichen-)Verhältnisses zu mächtigen Gönnern geht der Sprecher im darauffolgenden Brief, der die Thematik wieder aufgreift und als Fortsetzung des Diskurses markiert ist, indem gleich zu Beginn bestimmte Stichwörter, die bereits in epist. 1,17 wichtig waren, erneut eingesetzt werden: Die libertas begegnet im ersten Vers in der Anrede des Lollius als liberrime. Das Beharren auf der libertas erinnert an die Extremposition des Diogenes;18 auch dort gab es zunächst nur die Entweder-oder-Entscheidung zwischen scurra und libertas. Erweitert wird die Thematik in dieser Epistel durch den Begriff der amicitia, der innerhalb des philosophischen Diskurses eine zentrale Bedeutung erhält.

      2) Philosophische Rechtfertigung der cultura potentis amici: epist. 1,18

      Horazepist. 1,8Die wohl Lollius Maximus1 gewidmete Epistel wird thematisch vom „Spannungsverhältnis aus individueller Freiheit (liberrime) und der Eingebundenheit in eine soziale Institution (amicitia)“2 bestimmt. Aus dem Kontext der Epistel geht eindeutig hervor, dass das Wortfeld von amicitia hier für nichts anderes als das klienteläre Abhängigkeitsverhältnis3 steht, das der Sprecher offen cultura potentis amici (86) nennt.

      Die Epistel beginnt mit einer Ausdifferenzierung von drei Typen des cliens: Die beiden Pole des parasitischen scurra einerseits und der asperitas als demonstrativer Unabhängigkeit andererseits werden beide als unangemessen erwiesen. Wie das Ideal des amicus aber konkret aussieht und durch richtiges Verhalten erreicht werden kann, muss im Verlauf der Epistel geklärt werden (epist. 1,18,1‑9):Horazepist. 1,18,1 9

Si bene te novi, metues, liberrime Lolli,
scurrantis speciem praebere, professus amicum.
ut matrona meretrici dispar erit atque
discolor, infido scurrae distabit amicus.
est huic diversum vitio vitium prope maius, 5
asperitas agrestis et inconcinna gravisque,
quae se commendat tonsa cute, dentibus atris,
dum volt libertas dici mera veraque virtus.
virtus est medium vitiorum et utrimque reductum

      Beschreibt der Sprecher in epist. 1,17,3ff. seine Erfahrung so bescheiden, als wolle er gewissermaßen als Blinder den Weg zeigen (ut si | caecus iter monstrare velit, 3f.), so berät er hier doch aus der Position eines erfahrenen Klienten seinen Adressaten, den er gut zu kennen scheint, geschickt. Wie bei Horaz zu erwarten, sorgen humorvolle Relativierungen dafür, dass cliens und dives amicus nie idealisiert, sondern auf ein Normalmaß reduziert agieren,4 selbst wenn philosophische Sentenzen diese Ratschläge in ihrer Gültigkeit wieder aufwerten. Ähnlich wie in epist. 1,17 werden die Begriffe durch Vergleiche aus anderen sozialen Bereichen in ihrer moralischen Wertigkeit bzw. Wertlosigkeit charakterisiert.5 Der scurra entspricht in der Zuverlässigkeit der Beziehung der meretrix:6 Nur wenn er bzw. sie materielle Vorteile erkennt, wird er bzw. sie die Beziehung pflegen. Die moralische Festigkeit des wahren amicus entspricht dagegen der fides einer matrona. Schon bei Cicero galt ein solcher Mangel an fides als amicitia-ausschließendes Merkmal: firmamentum autem stabilitatis constantiaeque est, eius quam in amicitia quaerimus, fides; nihil est enim stabile quod infidum est (Cic. Lael. 18,65; davor sprach er vom nullus locus amicitiae, wo nulla fides sei, fehle es an einer stabilis benivolentiae … fiducia (ebd. 15,52)). Dazu stellt fides ein grundlegendes Element im patronus-cliens-Verhältnis dar, wie in der Einleitung gezeigt wurde.CiceroLael. 15,52CiceroLael. 18,65

      Bei der Charakterisierung des scurra kann man Horaz leicht folgen, denn er bezieht sich mit diesen Aussagen auf eine konsensfähige Auffassung. Überraschend ist nur (wie schon das Diogenes-Bild in der vorausgehenden Epistel), dass das gegenteilige Verhalten, das zunächst moralisch sehr positiv erscheint, ebenfalls verurteilt wird: libertas kann sogar zu einem maius vitium werden.

      Die übertriebene Freiheit (libertas mera), die sich als vera virtus ausgibt, wird als Fehler entlarvt und als eine asperitas agrestis definiert, also im Sinne eines kynischen Verstoßes gegen Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens ausgelegt.7

      Der scurra- und der asper-Typus werden in den folgenden Versen genauer charakterisiert (10‑14; 15‑20): Stellt der scurra einen unverhohlenen Schmeichler dar (alter in obsequium plus aequo, 10), so handelt es sich beim asper um einen „intransigent unsociable dogmatizer“8 (alter rixatur de lana saepe caprina,9 15), welcher mit Rechthaberei über Banalitäten10 streitet und daher unsympathisch wirkt.11

      Der Sprecher führt nun einen Perspektivenwechsel mit Hilfe des sog. vitia-Katalogs (mit abschließendem Beispiel) durch und demonstriert aus der Sicht des dives amicus, welche vitia auf patroni abschreckend wirken (epist. 1,18,21‑36):Horazepist. 1,18,21 36


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quem damnosa venus, quem praeceps alea nudat,
gloria quem supra vires et vestit et unguit,
quem tenet argenti sitis inportuna famesque,
quem paupertatis pudor et fuga, dives amicus,
saepe decem vitiis instructior, odit et horret, 25
aut, si non odit, regit ac veluti pia mater
plus quam se sapere et virtutibus esse priorem