Die Folgen dieser „LebenskrisisLebenskrisis“3 des modernen Menschen waren mit der SinnlosigkeitSinnlosigkeit ebenso angesprochen wie das TherapeutikumTherapeutikum (gr. θεραπεύειν – heilen) mit den in die TranszendenzTranszendenz weisenden Fragen bezeichnet. Denn bereits in seiner 1971 posthum erschienenen Schrift The Farther Reaches of Human Nature erklärte der US-amerikanische Psychologe Abraham MaslowMaslowAbraham (1908–1970) das BedürfnisBedürfnis nach Transzendenz zum höchsten menschlichen Bedürfnis.4 Mit seiner sogenannten BedürfnispyramideBedürfnispyramide will er die Motivationen von Menschen beschreiben, wobei die verschiedenen Bedürfnisse die Stufen der Pyramide bilden. Nach diesem Modell müssen die grundlegenden Bedürfnisse befriedigt sein, bis die nächsthöheren befriedigt werden können. Von da her ist ihm das Bedürfnis nach Transzendenz ein Metabedürfnis, d.h. ein instinktives Streben nach Wachstum (growth motivation),5 das hierarchisch geordnet auf die Befriedigung der physiologischen Grundbedürfnisse (deficiency-needs wie Hunger, Durst etc.) und der übrigen Bedürfnisse (z.B. soziale oder kognitive Bedürfnisse) letztlich folgt.6 Wenngleich er die Metabedürfnisse instinktiv nennt, sind es ihm doch eher Möglichkeiten als natürliche Aktualisierungen.7
Ohne an dieser Stelle nun auf die gängige Kritik einzugehen, dass das Verlangen nach dem ganz Anderen gerade auch dann auftreten kann, wenn die Grundbedürfnisse nicht befriedigt sind, sei MaslowMaslowAbraham an dieser Stelle vor allem wegen seiner Unterscheidung der sog. B-WerteWerte angeführt. Als B-Werte versteht er die „intrinsic or ultimate values“8. Neben der WahrheitWahrheit, der GüteGüte, der SchönheitSchönheit, der EinheitEinheit u.a. rechnet er ihnen auch den SinnSinn bei. Sie alle werden wahrgenommen und nicht erfunden (perceived, not invented) und sind zudem in Beschreibungen religiöser Erfahrungenreligiöser Erfahrungenreligiöse eingegangen, was sie zu empirisch sinnvollen und nachprüfbaren Aussagen mache.9
Diesem Ansatz folgte der Wiener Psychiater Viktor E. FranklFranklViktor E. (1905–1997) in seiner Auseinandersetzung mit dem weltweit um sich greifenden SinnlosigkeitsgefühlSinnlosigkeitsgefühl.10 Zwar waren die Grundbedürfnisse der im WohlstandWohlstand lebenden Tatsachenmenschen11 befriedigt, zwar konnten sie sich auch darüber hinaus Gehendes beschaffen und über einen Grossteil ihrer Zeit frei verfügen, dennoch aber litten sie „an einem abgründigen Sinnlosigkeitsgefühl, das mit einem LeeregefühlLeeregefühl vergesellschaftet ist“12. Was nach FranklFranklViktor E. darin begründet liegt, dass diesen beständig um die Verwirklichung des eigenen Selbst sich bemühenden Menschen die Aufgaben fehlen, an die sie sich hingeben können. Den sinnentleerten Menschen fehlt das Ausgerichtet- oder Hingeordnetsein auf etwas oder jemanden, es mangelt ihnen an der SelbsttranszendenzSelbsttranszendenz.13 Denn ohne sich selbst zu transzendieren, „sackt ExistenzExistenz in sich selbst zusammen“14. „Menschsein weist immer schon über sich selbst hinaus, und die TranszendenzTranszendenz ihrer selbst ist die Essenz menschlicher Existenz.“15 Bringt man diesen SachverhaltSachverhalt in die Problemstellung mit ein, so verdeutlicht sich, dass der postmoderne MenschMensch weder an der SinnlosigkeitSinnlosigkeit noch an einem Überangebot an SinnSinn leidet, sondern das Problem vielmehr in der Stellung wurzelt, die die betreffende PersonPerson zur WirklichkeitWirklichkeit einnimmt, die sie erfahren kann und zu beantworten eingeladen und gerufen ist.16
Für MaslowMaslowAbraham beinhaltet das BedürfnisBedürfnis nach TranszendenzTranszendenz die Suche nach einer Dimension, die das individuelle Selbst überschreitet oder ausserhalb des beobachtbaren Systems liegt. Zu dieser Dimension ist die ReligionReligion insofern zu rechnen, als sie für die gelebte Beziehung des Menschen mit dem Transzendenten steht. Selbst wenn die Religion an dieser Stelle nur als Möglichkeit verstanden wird, selbst dann ist es unabweisbar, dass ein solches Verhältnis für den Menschen förderlich wäre.17 Sei dies hinsichtlich der AntwortenAntworten auf die entscheidenden Fragen (HusserlHusserlEdmund), sei dies im Sinne der Befriedigung der Bedürfnisse nach Wachstum (MaslowMaslowAbraham), oder sei dies zur Findung und zur Stabilisierung des Lebenssinnes (FranklFranklViktor E.). Die ReligioReligionn scheint den Menschen also zumindest in potentia an seinem Lebensnerv zu treffen. Grund genug also, sich mit der Religion zu befassen und den Bedingungen nachzuspüren, die erfüllt sein müssen, damit die Möglichkeit zu einer sinnerfüllten WirklichkeitWirklichkeit wird.18 Von da her gilt das primäre Interesse nicht den Konsequenzen der Religion, diese werden von selbst in den Blick kommen, sondern der Sache selbst. Mit anderen Worten, die Religion interessiert weder als kulturelles Phänomen noch als UrsacheUrsache für Krieg oder Frieden und dergleichen mehr, sondern einzig in individual-existentieller Hinsicht.
Nicht erst die Moderne bzw. die PostmodernePostmoderne hat im Übrigen die Frage nach dem Verhältnis von TranszendenzTranszendenz und SinnSinn gestellt. Da die ganze abendländische Philosophie nach dem UrteilUrteil von Alfred North WhiteheadWhiteheadAlfred North (1861–1947) nur aus Fussnoten zu PlatonPlaton (427–347 v. Chr.) besteht, ist es nicht verwunderlich, die Behandlung der Problematik bereits bei Platon zu finden.19 Obgleich Platon den Terminus „Sinn“ nicht explizit verwendet hat, lässt sich die Sache nichtsdestotrotz in der Bestform (ἀρετή) ausmachen. Wie jedes andere Seiende auch,20 so hat auch der MenschMensch eine Bestform, die in der Ordnung (κόσμος, τάξις) besteht21 und zur jeweils eigentümlichen Leistung (ἔργον) befähigt.22 Ein Strebeziel ist die Bestform insofern, als sie die UrsacheUrsache des Glücks (εὐδαιμονία) ist.23 Wobei GlückGlück nicht, zumindest nicht ausschliesslich, im Sinne eines Gefühls zu verstehen ist, sondern vor allem im Sinne des guten, gelingenden Lebens. Dieses aber erfolgt wesentlich über den Erwerb und den Besitz der ἀρετή.
Die aretê des Menschen besteht in der EinheitEinheit seiner drei Seelenvermögen;24 ein Zustand, der vermittels des Wissens erreicht wird. Nicht jedes beliebigen Wissens jedoch, sondern nur des Wissens um die transzendenten IdeenIdeen, welche in ihrer Absolutheit und Subsistenz, in ihrer IntelligibilitätIntelligibilität, Unkörperlichkeit und inneren Einheit die an ihr partizipierenden Dinge zu einer vereinheitlichten Vielheit gestalten.25 Im Zuge ihrer ErkenntnisErkenntnis gleichen sich die drei Seelenvermögen der erkannten Einheit an, was den betreffenden Menschen innerlich ordnet, in seine Bestform bringt und die UrsacheUrsache eines glücklichen Lebens ist.
In diesem Verhältnis stehen die TranszendenzTranszendenz und das GlückGlück bzw. der SinnSinn nach dem Verständnis von PlatonPlaton. Der MenschMensch befindet sich ihm nicht in einem unveränderlichen existentiellen Stand, auch dann nicht, wenn dieser aktuellaktuell im Unglück oder in der SinnlosigkeitSinnlosigkeit besteht. Durch den Zugang zur Transzendenz eröffnen sich ihm vielmehr höchst beglückende Möglichkeiten.
3 Die verschiedenen Bedeutungen von „TranszendenzTranszendenz“
Das angemessene Befassen mit der ReligionReligion setzt die Klärung des Begriffs der TranszendenzTranszendenz voraus. Die NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive dieses Unterfangens zeigte sich alleine schon an der äquivoken Verwendung dieses Terminus. Denn ob von einem BedürfnisBedürfnis nach der Transzendenz oder von der SelbsttranszendenzSelbsttranszendenz die Rede ist, beide Male bedeutet Transzendenz offensichtlich nicht dasselbe. Und nicht als hätte es mit diesen zwei – noch zu klärenden – Bedeutungen sein Bewenden, Transzendenz kann auch noch anderes bedeuten. Das WortWort „Transzendenz“ kommt aus dem Lateinischen (transcendere) und weist seinem Wortsinne nach auf ein Hinübersteigen, Übersteigen oder Übertreten hin. Damit verweist es auf eine Grenze, die überstiegen wird, um in eine jenseits liegende WirklichkeitWirklichkeit zu gelangen. Dann kann es aber auch den personalen Akt des Übersteigens selbst bedeuten, mit dem eine Grenze bewusst überschritten wird. In seinem HöhlengleichnisHöhlengleichnis hat PlatonPlaton ein solches Übersteigen