Ein Storyline-Projekt kann man trotz time limits nie auf die Minute genau vorausplanen, und es ist utopisch, dass alle Lernenden ihre Arbeitsprodukte zur gleichen Zeit fertiggestellt haben. Deshalb muss auch akzeptiert werden, dass manche Schülerinnen und Schüler mehr (oder weniger) produzieren als andere oder eine Storyline-Episode vielleicht bereits einige Minuten vor Stundenende abgeschlossen ist. Als hilfreich und sinnvoll erweist sich das gemeinsame Sammeln gewisser Verhaltensregeln, an die sich die Lernenden halten müssen, um sich gegenseitig nicht bei der Arbeit zu stören. Erfahrungsgemäß fühlen sie sich bei selbst formulierten Regeln eher zum Einhalten verpflichtet als bei auferlegten Leitsätzen, da sie die jeweiligen Begründungen konkret und einsichtig nachvollziehen können.
Die Wirkung des ownership principle beeinflusst indes nicht nur die Lernenden, sondern auch die Lehrkräfte nachhaltig: “A teacher who has the idea to be an influential factor in the educational process, will have better results and more satisfaction“ (Letschert 1992b, 15). Eiriksdóttir (2001) resümiert ihre langjährige Storyline-Arbeit mit folgenden Worten: “Our pupils are involved and interested and therefore learn more and this gives the teacher the drive to continue his work with pleasure“ (Ebd., 154). Somit trägt Storyline auch mit dazu bei, die Schule als Lernort und als Arbeitsplatz positiv zu gestalten (vgl. Kapitel 1.5). Ob diese Aussage auch für den hiesigen Kontext und verschiedene Altersgruppen der Sekundarstufe I zutrifft, sollen meine Fallstudien zeigen (vgl. Teil B).
2.4 Storyline und Task-based Language Learning
2.4.1 Einleitung
Here was a child who has knowledge (...). All he needed was an audience and a purpose
(Bell 1995b, 7)
Grundsätzlich kann der Storyline Approach – neben den bereits erwähnten bzw. in Kapitel 3.4 teilweise noch näher erläuterten Kontexten wie Simulationen (z.B. Simulation globale, Szenariendidaktik, Dramapädagogik), narrativen Ansätzen (z.B. Story Approach, Situated Cognition, Anchored Instruction), explizit inhaltsorientierten Ansätzen (z.B. Content-based Instruction1, Content and Language Integrated Learning) oder sozialformorientierten Konzepten (z.B. Cognitive Apprenticeship, Communities of Practice) – auch in die Reihe der aufgabenorientierten Lernarrangements2 und deren Forschungskontext integriert werden, denn das Storyline-Konzept verfolgt in vielerlei Hinsicht ähnliche Prinzipien, wie sie im Rahmen von Task-based Language Learning (TBL) für gelungene Fremdsprachenlernprozesse formuliert werden.3 Andreas Müller-Hartmann und Marita Schocker-von Ditfurth (2004, 50) bezeichnen das Storyline-Modell als Beispiel für eine spezifische Projektform4 und somit als komplexes Aufgabenformat. Sie beziehen sich dabei auf Willis (1996), die insgesamt 6 Aufgabentypen5 unterscheidet: Auflisten; Ordnen und Sortieren; Vergleichen; Problemlösen; Austauschen von persönlichen Erfahrungen; komplexe kreative Aufgaben wie zum Beispiel Projekte. Während sich TBL allerdings eindeutig auf das Aufgabenlösen mit dem Ziel des fremdsprachlichen Lernens bezieht, basiert Storyline auf einem weiter gespannten philosophischen, pädagogischen und psychologischen Rahmenkonzept. Die Implementierung des Storyline-Konzepts im Fremdsprachenunterricht bietet zudem nur eine von vielen Einsatzmöglichkeiten (vgl. Kapitel 2.2.3).
Nachfolgend werden einige Grundzüge des Task-based Approach zusammengetragen und in Bezug zum Storyline Approach gesetzt. Danach werden Parallelen zwischen den beiden Konzepten aufgewiesen, indem einzelne Aspekte und konkrete Beispiele aus Storyline-Projekten in den von Willis (1996) konzipierten TBL-framework übertragen werden. Zum Schluss wird der Stand der fremdsprachenspezifischen Aufgabenforschung kurz skizziert und ein Katalog mit einigen noch offenstehenden Fragen erstellt. Wie sich zudem später noch zeigen wird, überlagern sich Aufgaben- und Motivationsforschung in vielerlei Hinsicht (vgl. Kapitel 4).
2.4.2 Grundzüge des Task-based Language Learning
Der methodische Ansatz Task-based Language Learning entstand in den 1980er Jahren aus der Unzufriedenheit von Erwachsenen mit herkömmlichen Sprachkursen, denn diese vermissten beim institutionalisierten Lernen den direkten Bezug zu alltagsrelevanten Kommunikationssituationen, für deren Bewältigung sie schließlich die Fremdsprache lernen wollten (Müller-Hartmann/Schocker-von Ditfurth 2005). TBL wurde zudem als Alternative zu dem im Sprachunterricht lange vorherrschenden behavioristischen Rahmenkonzept Presentation – Practice – Production (PPP) entworfen und wird auch als Weiterentwicklung von Communicative Language Teaching verstanden (Richards/Rodgers 2014; Samuda/Bygate 2008). Allerdings stellte dieses Konzept der Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht zum damaligen Zeitpunkt nicht etwas grundsätzlich Neues dar, wie beispielsweise auch Burwitz-Melzer (2006), Klippel (2006), Leupold (2006) oder Thaler (2008) zu Recht hervorheben, denn aufgabenorientiertes Lernen war bereits aus der Reform- und Projektpädagogik des ausgehenden 19. bzw. beginnenden 20. Jahrhunderts bekannt.
In den 1980er Jahren kritisierte die Zweitsprachenerwerbsforschung die Konzeption und Vorgehensweise des vorherrschenden inputorientierten und weitgehend linear verlaufenden Fremdsprachenunterrichts mit seinem vordergründigen focus on forms1 und sah im Vergleich zu natürlichen und authentischen Lernumgebungen nicht nur Widersprüche, sondern auch deutliche Defizite, was das Sprachkönnen und Interaktionsvermögen der Lernenden anbelangte (vgl. Ellis 2000; 2003). Im Rahmen der einschlägigen Fremdsprachendidaktik wurden schließlich neue Prinzipien und Perspektiven formuliert, die (im Gegensatz zum bisherigen, detailliert strukturierten schulischen Sprachlernen) einen eher naturalistischen Spracherwerb anvisierten. Diese liegen auch dem Konzept des TBL zugrunde und überschneiden sich weitgehend mit den Zielsetzungen und Kernpunkten des Storyline Approach sowie den allgemein formulierten Ansprüchen an eine konstrukti(vistisch)e Lernumgebung (vgl. Kapitel 3.4). Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen (vgl. Kocher 2007; 2016):2
Sprache als Mittel zur authentischen, mitteilungsbezogenen Kommunikation (statt nur Fokus auf deren Form)
Komplexe Aufgaben und bedeutungsvolle Aktivitäten (statt lineare Vorgehensweise, kleinschrittige Sprachübungen und sinnentleerte Drills)
Vielseitige authentische Materialien und Bezug zur außerunterrichtlichen Lebens- und Erfahrungswelt der Lernenden (statt didaktisierte und simplifizierte Texte aus dem Schulbuch, die einer inhaltlichen und grammatischen Progression unterliegen)
Aktiv handelnde und kreative Sprachlernende in einem kommunikativen und realistischen bzw. realitätsnahen Kontext (statt rezeptive und passive Konsumentinnen und Konsumenten)
Lernende als Mitglieder von sozialen Gruppen (social agents), in denen durch das gemeinsame Lösen von sinnstiftenden Aufgaben Bedeutungen konstruiert und ausgehandelt werden (statt Still- bzw. Einzelarbeit)
Neue und vielseitige Rollen für Lernende und Lehrende sowie Schaffung einer positiven Lernumgebung (statt Hierarchie, Belehrung und Machtausübung)
Fokus auf die individuellen Lernprozesse (statt einseitige Ergebnisorientierung)
Fokus auf neue Formen der Leistungsmessung und (Selbst-)Evaluation, die nicht nur erkennbare (sprachbezogene) Ergebnisse berücksichtigen, sondern auch individuelle Lernprozesse – und zwar jeglicher Art – einbeziehen (statt eindimensionale Fremdbeurteilung)
Abgesehen