Deutsch-jüdische Orientalisten in Jerusalem
Als die hebräische Universität im April 1925 in Jerusalem eröffnet wurde, war ein Institut für Jüdische Studien schon Ende 1924 gegründet worden. Da diese Universität eine sehr starke deutsche Tradition hatte, waren die deutschen Orientalisten gut vertreten und selbstverständlich deutsche (oder österreichische) Juden. Seit kurzer Zeit liegt uns eine vorzügliche Geschichte der Hebräischen Universität25 in vier Bänden vor, die u.a. ein Kapitel über die Geschichte der Jüdischen Abteilung und der Orientalischen Abteilung aus der Feder von Menahem Milson enthält.26 Die Jüdische Abteilung war „als Forschungszentrum über Judentum, jüdische Religion, hebräische und semitische Sprachen, Literatur, Geschichte, hebräisches Recht, Philosophie und andere Themen/Aspekte in Beziehung mit der jüdischen Geschichte insgesamt und besonders Palästina“ konzipiert. Sie wurde am 22. Dezember 1924 in Anwesenheit der Professoren Jacob Epstein, Joseph Klausner, Samuel Klein eröffnet.
Jacob Nahum Epstein (1878-1962) stammte aus Brest Litovsk (Brisk in Litauen), wo ihm eine ,klassische‘ Bildung (Cheder usw.) zuteil wurde. Er besuchte die Cheder und Yeschiva in Mir und Vilna, das Rabbinische Seminar (1907) und die Universität in Wien (1911), studierte dann semitische Philologie, Philosophie und Geschichte in Bern, wo er seine Dissertation unter der Leitung von Karl Marti schrieb (1913). Er kam nach der Eröffnung der Hebräischen Universität im April 1925 in Jerusalem dorthin. Sein Lehrstuhl hieß: Talmudische Philosophie. Er wollte, dass die Universität ein Zentrum der Wissenschaft sei und sich auf gar keinen Fall in eine religiöse Einrichtung verwandele.
Joseph Klausner (1874-1958) stammte auch aus Litauen, aus Olkeniki, im heutigen Russland. Er besuchte die Cheder, dann die Yeschiva bis zum Abitur am Gymnasium in Odessa. Ab 1897 studierte er Semitische Philologie und Sprache, Philosophie (bei Kuno Fischer) Geschichte und politische Wirtschaft (bei Max Weber) an der Universität Heidelberg bis zu seiner Dissertation (1902). Er kam 1919 nach Palästina. Schon vor seiner Auswanderung leitete er als Nachfolger von Achad Ha-Am die Zeitschrift Ha-Shiloah (1903-1918) und unterrichte an der Universität Odessa. Er wurde Professor für Moderne Hebraïsche Literatur in Jerusalem, und erst 1944 wurde er an den Lehrstuhl für Geschichte des Zweiten Tempels berufen. Er vereinte zwei Lehrstühle – mit großem publizistischen Erfolg.
Es soll hier noch Samuel Klein (1886-1940) erwähnt werden. Er stammte aus Ungarn (Szilas-Balhas), wo sein Vater Rabbiner war. Er besuchte das Gymnasium in Budapest bis zum Abitur (1905), dann das Rabbinerseminar in Berlin. Nach seiner Dissertation in Heidelberg (1909) und der rabbinischen Smiha (1910) kam er erst 1929 nach Jerusalem und unterrichtete hier Palästinologie und Topographie von Erez Israel. Schon 1920 hatte er das Jüdisch-palästinensische Corpus Inscriptionum gegründet.
Innerhalb von kurzer Zeit wurden auch „junge Löwen“ wie Gershom Sholem (1897-1982) nach Jerusalem eingeladen, dessen Autobiographie Von Berlin nach Jerusalem ein einzigartiges historisches Dokument darstellt.27 Harry Torczyner (Tur Sinai, 1886-1973) hatte auch in Berlin studiert und in Wien promoviert und wurde 1933 Bialikprofessor für Hebraïsche Sprache. Mosche Schwabe (1889-1956), der Direktor des Gymnasiums in Kaunas (wo Emmanuel Lévinas Schüler war), hatte in Halle und Berlin studiert, war Gräzist und Latinist, stand aber auch mit der jüdischen Abteilung in Verbindung. Einen besonderen Fall stellt Hartwig Baneth (1893-1973) dar, dessen Vater (Ezekiel) Rabbiner und ehemaliger Professor für Talmud und Midrasch an der Berliner Hochschule für Wissenschaft des Judentums war. Hartwig Baneth hatte 1920 über die Briefe Muhamads promoviert und die ersten Schritte des Instituts für Orientalische Forschung in Jerusalem 1926 begleitet. Er wurde Nachfolger von Levi Billig, der 1936 ermordert wurde. Sein Schwerpunkt war die jüdisch-arabische Sprache28. Diese Domäne wurde zum Spezialgebiet der Hebräischen Universität. Die School of Oriental Studies sollte ihren Sitz eben nicht am Institut für Jüdische Studien haben, sondern eine eigenständige Universitätseinrichtung bilden. Sie wurde im April 1926 eröffnet. Horovitz kam 1925 zur Eröffnung und bekam die feindliche Stimmung bei den Arabern in Jerusalem zu spüren!
Wir dürfen nicht vergessen, dass, bevor die hebräische Universität gegründet wurde, die israelitische, jüdische und christliche Geschichte ein Streitobjekt zwischen Juden und Christen einerseits, und zwischen Katholiken und Protestanten andererseits bildete. Die Exegese wurde auch zum Mittel der wissenschaftlichen Kriegsführung und zwar unter Einmischung der politisch-diplomatischen Organe. Nachdem zum ersten Mal ein englischer Konsul ernannt worden war (1838), wurde ein preußischer und unmittelbar danach ein französischer Konsul nach Jerusalem gesandt. Die ersten deutschen Konsulen waren Orientalisten. Dann enstand die von den französischen Dominikanern geleitete École Biblique et archéologique,29 deren wissenschaftliche Autorität bald von deutschen Jesuiten in Frage gestellt wurde! Englische und amerikanische Institute für die Geschichte des Heiligen Landes waren ebenfalls in Jerusalem tätig. Diese Stadt wurde in kurzer Zeit das ,Mekka‘ der Wissenschaft des Judentums.
Die damalige deutsche Judaïstik war eine Mischung aus zwei Traditionen: der rein philologischen Tradition und der ,anderen Tradition‘, die man an jüdischen Seminaren und Hochschulen hören könnte. In Breslau, in Wien, in Budapest und selbstverständlich in Berlin besuchte man hauptsächlich zwei Institutionen, die an manchen Orten – zum Beispiel in Berlin – drei wurden: Universität, Hochschule für Wissenschaft des Judentums und Rabbinerseminar, wie z.B. im Fall von Alexander Altmann, der damals eigens noch ein Rambam Seminar in Berlin gründete. Es ist also kein Wunder, dass die Wissenschaft des Judentums in Palästina/Israel auch zur Hochburg der deutschen Wissenschaft wurde. Was sowohl die Judaistik und die Arabistik als auch die Islamwissenschaft angeht, ist der deutsche Einfluss nicht übersehbar.
Aber kehren wir zurück zur Arabistik an der hebräischen Universität, die am Anfang in der jüdischen Abteilung angesiedelt war. Die eigentliche School of Oriental Studies (ha merkaz/machon le-madai ha-mizrach) wurde erst 1926 gegründet. Fünf Gelehrte: Ludwig A. Mayer, David Hartwig (Zwi) Baneth, Levi Billig, Walter Joseph Fischel30 und N. Braun, wurden hierhin berufen. Man wollte unbedingt eine Brücke zum überwiegend arabischen Umfeld schlagen. Übrigens wurde die Gruppe Brith Shalom um Buber, Scholem und die Arabisten aus diesen Instituten, die sich der jüdisch-arabischen Verständigung widmeten, auch 1925 gegründet. Man kann also auch in diesem Fall von einer deutschen (mitteleuropäischen) Konstellation sprechen. Schon als Student war Judah Magnes, der erste Kanzler der Hebraïschen Universität, in Heidelberg und in Berlin.31 Er promovierte über die arabische Kultur (Heidelberg 1902). Er lernte junge Judaisten kennen, die Islamwissenschaftler wie er waren, darunter drei, die später in Palästina tätig sein sollten: Arthur Biram (1878-1967),32 Max Schloessinger (1877-1944) und Gotthold Weil (1882-1960).33
Josef Horovitz (1873-1931), der erste und wichtigste unter den mitteleuropäischen Gelehrten, der schon 1925 Mitgleid des Kuratoriums der Hebräischen Universität war, stammte aus einer berühmten Rabbinerfamilie aus Frankfurt. Als Sohn des orthodoxen Rabbiners Markus Horovitz (1844-1910), war Josef der erste Direktor der School of Oriental Studies – als visiting director wohlbemerkt, weil er inzwischen 1915 als ordentlicher Professor für Semitische Philologie nach Frankfurt berufen worden war. Der ungarisch-stämmige Josef Horovitz war in Lauenburg geboren und hatte in Frankfurt und Berlin studiert. Er war Schüler von Eduard Sachau, dem Begründer des Seminars für Orientalische Sprachen. 1907 wurde Horovitz Professor.
Als der junge Student nach Berlin ging, um dort sein Studium zu beginnen, das aus Neigung und innerem Bedürfnis gewählt war, und von dem man nicht wissen konnte, wie er es einmal zu einem bürgerlichen Berufe führen würde, war er für sein Fach mehr vorgebildet, als ein Student der orientalischen Sprachen gewöhnlich vorgebildet zu sein pflegt. Im dem Elternhause hatte er so viel Sinn für wissenschaftliches Denken und Arbeiten, so viel Scheu vor religiösem Erleben, soviel Verständnis für die liebvolle Versenkung in die Vergangenheit, so viel positive Kenntnis der hebräischen Sprache und der biblischen und nachbiblischen Literatur mit auf den Weg bekommen, dass die Erlernung des Arabischen und der anderen orientalischen