Chiara Adorisio / Lorella Bosco
Zwischen Orient und Europa
Orientalismus in der deutsch-jüdischen Kultur im 19. und 20. Jahrhundert
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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ISBN 978-3-7720-8642-7 (Print)
ISBN 978-3-7720-0068-3 (ePub)
Zwischen Orient und Europa. Orientalismus in der deutsch-jüdischen Kultur im 19. und 20. Jahrhundert
Einleitung
Chiara Adorisio/Lorella Bosco
Seit der Veröffentlichung von Eduard Saids einschlägigem Buch Orientalism (1978) ist der Terminus „Orientalismus“ zu einem der zugleich am kontroversesten diskutierten und am meisten verwendeten Begriffe auf dem Feld der Geistes- und Sozialwissenschaften avanciert. Er hat zudem weitere Entwicklungen im Bereich der Kolonialen und Postkolonialen Studien eingeleitet und zu einer Horizonterweiterung der Geisteswissenschaften beigetragen. In Anlehnung an Foucaults Theorien versteht Said unter ,Orientalismus‘ den europäischen Orientdiskurs, „a set of representative figures, or tropes“,1 welcher mithilfe ideologischer Konstruktionen die politische und kulturelle Autorität der westlichen Mächte über die als subaltern eingestufte orientalische Welt instituiert und verstärkt hat. Orientalismus, als Ergebnis westlicher Wissensproduktion über den Orient, bringt einen ,orientalisierten‘ Orient2 hervor, welcher als das Andere schlechthin geschildert wird. Darüber hinaus betont Said, dass die Entwicklung der Wissenschaften im Westen mit der Konstruktion des ,Orientalen‘ und des ,Orientalischen‘ eng einhergeht, zumal das Wort ,Orientalismus‘ ursprünglich das philologisch fundierte Studium der „orientalischen“ Sprachen (Arabisch, Chinesisch, Hindustani, Japanisch, Persisch und Türkisch u.a.) bezeichnete. Man denke etwa – im Hinblick darauf – an die sprachwissenschaftlichen Wurzeln des sich im Laufe des 19. Jahrhunderts allmählich etablierenden „arischen Mythos“.3
Saids Thesen einer für das westliche Denken charakteristischen grundlegenden Dichotomie zwischen Orient und Okzident, zwischen einem orientalischen Objekt und einem beherrschenden westlichen Subjekt, haben eine breite Debatte angeregt und Kritiken hervorgerufen. Der Haupteinwand bestand in der theoretisch-methodischen Unschärfe von Saids Ausführungen, welche nicht selten auf essentialistische und eurozentrische Positionen verfallen. Man warf Said vor allem die ungenügende Kenntnis der marxistischen Philosophie und die nicht immer stringente Einbettung von Foucaults und Gramscis Gedanken in das theoretische Gerüst seines Buches vor. Auch die Gender-Implikationen des Orientalismus-Diskurses sind bei ihm weitgehend ausgeblendet.4 In ihrer kritischen Auseinandersetzung mit Saids Thesen, vor allem im Hinblick auf die deutsche Orientalistik des 18. Jahrhunderts, bemerkt Katherine Arens deshalb:
Said’s Orientalism is thus an Orientalizing methodological fantasy, just as it is a map of a particular imaginary European colonialism. He takes Arab/Islamic and Christian cultural blocks as monolithic; he ignores the ways in which the material practice and dissemination of institutionalized knowledge bases vary, across history and across national lines; and he rejects any notion that local everyday practices might impact blanket Orientalist attitudes. His is a world without stable bilingualism, competing class, gender, and ethnic positions within the nationalist identity, pilgrimages, crusades, business trips, and beneficial relationships across block lines.5
Einwände kamen vor allem aus dem Lager von Intellektuellen und Wissenschaftlern aus den einst ‚subalternen‘ Ländern.6 Homi K. Bhabha z.B. hat an Saids postkoloniales Paradigma angesetzt und es revidiert. Er greift auf strukturalistische Philosophie, auf Semiotik und Psychoanalyse zurück, um die Starrheit von Saids Dichotomien durch den zentralen Begriff der kulturellen Differenz zu lockern und den Blick stattdessen auf die Aushandlungsprozesse zwischen den Kulturen zu lenken. Sie finden nicht nur an den Peripherien, sondern schon immer im Zentrum statt. Differenzen betreffen also zugleich das Außen und das Innen von Kulturen und Subjekten, sie trennen und verbinden gleichzeitig, indem sie die Grenzen zwischen Fremdem und Vertrautem ständig verschieben, neu definieren, anders setzen oder gar unterlaufen. Darüber hinaus beschreibt Bhabha ein „in-between“ oder „third space“ innerhalb der und zwischen den Kulturen und Individuen, wo Identitäten und Positionen in einem ständigen und ununterbrochenen Verhandlungsprozess hervorgebracht und modelliert werden.7
The concept of cultural difference focuses on the problem of the ambivalence of cultural authority: the attempt to dominate in the name of a cultural supremacy which is itself produced only in the moment of differentiation. […] Cultures are never unitary in themselves, nor simply dualistic in the relation of Self to Other.8
Bhabha hat dabei das Konzept von „kultureller Hybridität“9 herausgearbeitet, welches sich jeder hegemonialen Denkkategorie und jedem Versuch, die orientalischen Kulturen zu definieren und zu kontrollieren, entzieht. Der Begriff bezeichnet die prozessuale und schöpferische Transformation von Identitäten und die Neubesetzung von eindeutig kodierten, hegemonischen Zuordnungen, die auf diese Weise polysemische, ambivalente, widersprüchliche Zeichen hervorbringen. Diese Strategie der Veruneindeutigung stellt insofern einen Gegenentwurf zu Saids binärer Denkstruktur dar, als sie auf beiden Seiten wirksam wird, sie betrifft also sowohl die Kolonisatoren als auch die Kolonisierten. Durch die Entwicklung von Mimikry-Strategien können die ,Orientalen‘ zudem koloniale Herrschaftsstrukturen subversiv und erfolgreich unterwandern. Bhabha bringt dieses Verfahren auf die Formel „the ambivalence of mimicry, always the same, but not quite […] almost the same but not white.“10
In seinem Buch hatte Said außerdem bestritten, dass Deutschland – aufgrund der bis zur Reichsgründung andauernden politischen Fragmentierung – eine mit dem britischen oder französischen Orientalismus vergleichbare Rolle gespielt hätte. Said hatte zwar erkannt, dass deutsche Wissenschaftler und Orientforscher zur Etablierung der Orientalistik und letztendlich eines Orientalismus-Diskurses maßgeblich beigetragen hatten, ohne jedoch auf ihre Arbeit und ihre Spezifizität näher einzugehen. Unter den Wissenschaftlern, die Saids Thesen weiterentwickelt oder zurechtgewiesen haben, findet sich auch Susanne Marchand mit ihrem 2009 veröffentlichten Buch German Orientalism in the Age of Empire. Religion, Race and Scholarship.11 Dieses Buch ergänzt Saids Studie, indem es unterstreicht, wie deutsche Wissenschaftler zur Wiederentdeckung und zum Studium der orientalischen Literatur und Philosophie beigetragen haben, obwohl sie von Vorurteilen und imperialistischen Interessen nicht frei waren. Marchand schreibt:
We need […] a synthetic and critical history, one that assesses oriental scholarship’s contributions to imperialism, racism, and modern anti-Semitism, but one that also shows how modern orientalism has furnished at least some of the tools necessary for constructing the post-imperialist worldviews we cultivate today.12
Marchand konzentriert sich in ihrem Buch auf einige der prominentesten deutschen ,Orientalisten‘, z.B. Heymann Steinthal, Max Müller, Carl Heinrich Becker, Ignaz Goldziher, Carl Brockelmann, Theodor Noldeke, deren Werke und Tätigkeit Saids Thesen widersprechen. Sie stellt klar, dass in ihrem Buch der Begriff „Orientalismus“ beschrieben und definiert wird als:
a set of practices, practices that were bound up with the Central European institutional settings in which the sustained and serious study of the languages, histories, and cultures of Asia took place. Many, but by no means all, of the scholars treated in this book actually did call themselves “orientalists” – some would have described themselves as theologians, classicists,