Standardsprache zwischen Norm und Praxis. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000249
Скачать книгу
in die nationalen Varietäten des Deutschen. Berlin: Schmidt.

      Klein, Wolf-Peter (2003): Sprachliche Zweifelsfälle als linguistischer Gegenstand. Zur Einführung in ein vergessenes Thema der Sprachwissenschaft. In: Linguistik online 16, 4/03.

      Markhardt, Heidemarie (2005): Das Österreichische Deutsch im Rahmen der EU. Frankfurt am Main: Peter Lang.

      Polenz, Peter von (1988): ‚Binnendeutsch‘ oder plurizentrische Sprachkultur. Ein Plädoyer für Normalisierung in der Frage der ‚nationalen‘ Varietäten. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 16, 198–218.

      Ransmayr, Jutta (2006): Der Status des Österreichischen Deutsch an Auslandsuniversitäten. Eine empirische Untersuchung. Frankfurt am Main etc.: Peter Lang.

      Reiffenstein, Ingo (2001): Das Problem der nationalen Varietäten. Rezensionsaufsatz zu Ulrich Ammon: Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 120, 78–89.

      Scharloth, Joachim (2005): Asymmetrische Plurizentrizität und Sprachbewusstsein. Einstellungen der Deutschschweizer zum Standarddeutschen. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 33/2, 236–267.

      Scheuringer, Hermann (1996): Das Deutsche als pluriareale Sprache: Ein Beitrag gegen staatlich begrenzte Horizonte in der Diskussion um die deutsche Sprache in Österreich. In: Die Unterrichtspraxis/Teaching German 29, 147–153.

      Schmidlin, Regula (2011): Die Vielfalt des Deutschen: Standard und Variation. Gebrauch, Einschätzung und Kodifizierung einer plurizentrischen Sprache. Berlin: de Gruyter.

      Seifter, Thorsten & Ingolf Seifter (2015): Warum die Frage, ob sich „pfiati vertschüsst“, keine linguistische ist. Zur Fundamentalkritik am „Österreichischen Deutsch“. In: Lüger, Heinz-Helmut (Hrsg.): Beiträge zur Fremdsprachenvermittlung. Landau: Verlag Empirische Pädagogik, 65–90.

      Sutter, Patrizia (2017): Diatopische Variation im Wörterbuch. Theorie und Praxis. Berlin: de Gruyter.

      Wissik, Tanja (2014): Terminologische Variation in der Rechts- und Verwaltungssprache. Deutschland – Österreich – Schweiz. Berlin: Frank & Timme.

      I. Theoretische Betrachtungen

      Die Rolle der deutschen Sprache in ideologischen Konstrukten der Nation1

      Martin Durrell

      1 Sprache und Nation im deutschsprachigen Raum

      2 Der ethnolinguistische Nationalismus im 18. und 19. Jahrhundert

      3 Die sprachliche Situation aus der Perspektive der Soziolinguistik

      4 Zu einer Neuevaluierung der Bedeutung des „Alten Reichs“ im Standardisierungsprozess

      5 Literatur

      1. Sprache und Nation im deutschsprachigen Raum

      In diesem Beitrag werden zwei Ansichten über das Verhältnis zwischen Sprache und Nation im deutschsprachigen Raum im 18. und 19. Jahrhundert zur Diskussion gestellt, die auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, die jedoch, wie hier gezeigt werden soll, eng miteinander verknüpft sind und auf Auffassungen über den Verlauf der deutschen Geschichte in dieser Zeit zurückzuführen sind, die die neueste historische Forschung in Frage gestellt hat.

      Als erstes geht es um die ethnolinguistische Grundlage des deutschen Nationalismus, m.a.W. um die Annahme, dass die deutsche nationale Identität in Ermangelung anderer signifikanter identitätsstiftender Merkmale, wie z.B. eines klar definierbaren Territoriums, allein auf der gemeinsamen Sprache basieren könnte. Daraus entstand der besonders im 19. Jahrhundert verbreitete Topos, dass in Deutschland die sprachliche Einheit der politischen Einheit vorausging und die unabdingbare Voraussetzung für diese bildete – in den von Meinecke (1908) geprägten Termini hatte nach der nationalistischen Ideologie der Zeit eine Sprachnation (und eventuell auch eine Kulturnation) schon lange bestanden, die die Bildung einer Staatsnation in der Gestalt des „kleindeutschen“ Reichs von 1871 rechtfertigte.

      Aus der Perspektive der Soziolinguistik erscheint der Begriff einer einheitlichen deutschen Sprache im frühen 19. Jahrhundert jedoch hoch problematisch, denn das Sprachgebiet bestand um diese Zeit aus einem äußerst heterogenen Dialektkontinuum, in dem Sprecher aus entfernten Gegenden sich nur mit großer Schwierigkeit verständlich machen konnten. Wie Barbour (1994: 332) sagt: „[…] probably no other European language is so diverse, and groups of dialects elsewhere which show a similar diversity are considered to be several languages“ (vgl. auch Durrell 2002). Dieser Topos trat in einer Rezension von Misha Glenny (2014) in der britischen Zeitung „The Observer“ neulich wieder auf, in der er anlässlich eines Buches über die ethnische und sprachliche Vielfalt Indonesiens schrieb: „What was it that bound Catholic Bavaria to Protestant Prussia? It clearly wasn’t religion, or language.“ Hier spielt er klar auf die alltägliche Beobachtung an, dass man in Berlin anders spricht als in München, aber in diesem Zusammenhang interessieren vor allem die Anspielungen auf die Mythen um die Bildung eines deutschen Nationalstaats.

      Diese sprachliche Heterogenität steht anscheinend in krassem Widerspruch zu der Annahme, dass sich die politische Einigung auf die Einheit der Sprache gründete und darin ihre Rechtfertigung fand. Diese Auffassung war jedoch im 19. Jahrhundert – vor allem im Nachhinein, nach der Reichsgründung 1871 – allgemein akzeptiert, und sie gilt auch heute noch als Gemeinplatz der Geschichte. In einer Rezension des Bandes, in dem Durrell (2002) erschien, schrieb Bonnell (2003: 146), dass Durrells Beitrag „challenges long-conventional assumptions about German linguistic unity preceding political unity“. An dieser Stelle möchte ich jedoch die in Durrell (2002) vertretenen Ansichten sowie auch den Topos der sprachlichen Einheit als Grundlage für die politische Einigung revidieren, denn erstens ist es klar, dass man trotz der eben besprochenen Vielfalt der Erscheinungsformen schon im ausgehenden 18. Jahrhundert von einer „deutschen Sprache“ in einem in diesem Zusammenhang relevanten Sinne sprechen kann. Und zweitens hat es um diese Zeit trotz der späteren Behauptungen einer nationalistischen Ideologie auch ein politisches Gebilde gegeben, das wir mit guten Gründen als einen „deutschen“ Staat bezeichnen dürfen und in dem die deutsche Sprache die wesentlichen Stadien im Prozess der Standardisierung durchmachte. Dieses Gebilde war dann ein wichtiger Fokus für die nationale Identität. Diese Erkenntnis ist m.E. eine klare Folgerung aus der neuen historischen Forschung, insbesondere Whaley (2012) und Wilson (2016), die die Geschichte des „Alten Reichs“ völlig neu evaluiert hat und Einsichten bietet, die eine Überprüfung der herkömmlichen Ansichten über das Verhältnis von Sprache und Nation im deutschsprachigen Raum in dieser Zeit notwendig machen.

      2. Der ethnolinguistische Nationalismus im 18. und 19. Jahrhundert

      Bei dem ersten der zu besprechenden Themen ist es aus der Perspektive der modernen Soziolinguistik klar, dass die Tatsache der sprachlichen Heterogenität für die Annahme einer vorwiegend ethnolinguistischen Grundlage für den deutschen Nationalismus im 19. Jahrhundert problematisch erscheinen dürfte. Jedoch erscheint diese Annahme durch die Aussagen zeitgenössischer Autoren als vollständig gerechtfertigt. Im 1785 erschienenen 2. Teil seiner „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ hatte Herder die Ansicht vertreten, dass die Sprache die menschliche Natur widerspiegele und dass jede Sprache also der unverkennbare Ausdruck des Charakters eines besonderen Volkes in der menschlichen Gemeinschaft sei. Für ihn waren alle Sprachen gleichberechtigt und hatten jeweils das Wesentliche der Identität des Sprachvolks durch alle Zeiten gestiftet. So sei nach ihm der natürlichste Staat (Herder 1984: III/1, 337) „also Ein Volk, mit Einem Nationalcharakter“, denn die Sprache verbinde ein Volk mit seiner Vergangenheit und die Grenzen eines jeweiligen Staates sollten sich mit dem historischen Territorium des Sprachvolks decken.

      Herders Überlegungen zum Verhältnis von Volk, Sprache und Staat wurden während der traumatischen Jahre der napoleonischen Kriege und nach dem Ende des „Alten Reichs“ weiter ausgebaut zu einem klar artikulierten nationalistischen Diskurs. Dieser neue Nationalismus sah genau wie Herder