Der auferstandene Jesus als erzählte Figur im Matthäus- und Lukasevangelium. Anna Cornelius. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anna Cornelius
Издательство: Bookwire
Серия: NET - Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000027
Скачать книгу
beiden Figurendarstellungen des Auferstandenen im Matthäusevangelium und im Lukasevangelium lässt das spezifische (christologische) Profil beider Evangelien noch stärker hervortreten. Die Ergebnisse zur literarischen Figur des Auferstandenen werden anschließend in Beziehung gesetzt zur literarischen Figur des irdischen Jesus im jeweiligen Evangelium. Hierfür wird – ausgehend von den Ergebnissen der Figurenanalyse des Auferstandenen in der jeweiligen Ostererzählung – in die vorherigen Kapitel des jeweiligen Evangeliums unter dem Aspekt zurückgefragt, ob die Darstellung der Jesus-Figur kohärent ist, also ob sich Übereinstimmungen in der Figurendarstellung des Auferstandenen und des Irdischen finden lassen, oder ob möglicherweise Akzentverschiebungen und Unterschiede auszumachen sind.

      Bei diesen Rückblicken kann es selbstverständlich nicht um eine detaillierte Figurenanalyse des irdischen Jesus gehen, die sich auf das gesamte Evangelium bis hin zu den Ostererzählungen bezieht. Vielmehr werden einzelne Textabschnitte unter bestimmten, zuvor ermittelten inhaltlichen Gesichtspunkten herangezogen, um die Darstellung des Irdischen innerhalb dieser Abschnitte zu untersuchen.

      

      2 Methodik

      2.1 Narratologie

      Die Narratologie ist eine Forschungsrichtung der Literaturwissenschaften zur Theorie der Erzählung1, aus der sich konkrete Analysemethoden für Erzähltexte ergeben können. Es geht der Narratologie um die „Erforschung der Strukturen und Funktionsweisen narrativer Phänomene mit dem Ziel ihrer Beschreibung und Systematisierung.“2 Dabei kann keineswegs von der Narratologie gesprochen werden, es existieren vielmehr unterschiedliche Theorien, Ansätze und Modelle.3 Die Anfänge der Narratologie liegen bereits Anfang des 20. Jahrhunderts. Von da an hat sie verschiedene Phasen durchlaufen.4 Die Phase, in der sich die Narratologie seit den 1990er Jahren und bis heute befindet, kann mit Finnern als postklassische Narratologie5 bezeichnet werden. Sie zeichnet sich durch eine Fülle, Vielfältigkeit und das Nebeneinander unterschiedlicher Ansätze aus. Signifikant für diese Phase sind darüber hinaus ihre stärkere historische Orientierung6, ihre Interdisziplinarität7 und ihre Einbeziehung der Rezeptionsforschung8. Insgesamt ist die heutige Narratologie von der „kognitiven Wende“9 sowie – damit unmittelbar zusammenhängend – einer historischen und kulturellen Wende10 bestimmt.

      Seit den 1970er Jahren findet die Narratologie zunächst im anglo-amerikanischen Raum, aber auch vermehrt in der deutschen Exegese Beachtung, wobei sich auch hier noch kein einheitliches Verfahren zur narrativen Analyse biblischer Erzählungen durchgesetzt hat.11

      Der Anwendung narratologischer Methoden auf biblische Texte liegt die Einsicht zugrunde, dass die Bibel selbst ein „Buch voller Erzählungen“12 ist und deshalb auch – oder gerade – mit narrativen Methoden untersucht werden kann. Durch eine narratologische Analyse eines Textes können vielfältige Beobachtungen erzielt werden, die im Hinblick auf den Erzählerstandpunkt und damit letztlich im Hinblick auf die Intention und Theologie des Textes ausgewertet werden können. Im Unterschied zu der historisch-kritischen Methodik, die immer auch einen diachronen Schwerpunkt besitzt, und die v.a. nach der Entstehung eines Textes und der Autorintention fragt, geht es der Narratologie vorrangig um Fragen nach der Gestaltung und Komposition des Textes durch den Erzähler, den Figurendarstellungen sowie der Wirkung eines Textes. Der Text wird stärker auf einer synchronen Ebene untersucht. Im Hinblick auf die vier kanonischen Evangelien ist eine narratologische Untersuchung besonders reizvoll, denn „[D]ie vier kanonischen Evangelien erzählen auf jeweils eigene Weise dieselbe Geschichte. In jedem der vier Evangelien wird die Welt etwas anders dargestellt, und das zeigt, dass Erzählen auch Weltentwerfen heißt. […] In erzählte Welten einzutauchen, diese in ihren Strukturen und Funktionsweisen zu erfassen, zu beschreiben und ihre Bedeutungen zu entschlüsseln, ist das Ziel der Erzählforschung bzw. der Narratologie.“13

      Die narratologische Untersuchung von Erzähltexten stellt dabei jedoch keine grundsätzliche Alternative und erst recht keinen Gegensatz zur historisch-kritischen Sichtweise dar, vielmehr kann und sollte sie als sinnvolle Ergänzung verstanden werden.14 Die narratologische Betrachtung von Erzähltexten steht daher „in ergänzender Spannung, aber nicht in einem prinzipiellen Widerspruch zum diachronen Ansatz historisch-kritischer Methode“15.

      2.2 Erzählmodelle

      In der Narratologie existieren – wie bereits erwähnt – verschiedene Ansätze und damit auch unterschiedliche Erzählmodelle.1 Ein Erzählmodell bildet die Basis und Grundlage jeder Figurenanalyse, denn Figuren sind Akteure in einer Erzählung. Je nachdem, welches Erzählmodell einer Figurenanalyse zugrunde gelegt wird, wird diese mit bestimmten Begrifflichkeiten (sozusagen den „Werkzeugen“ einer Analyse) durchgeführt. Da sich in der Sekundärliteratur die narratologischen Begrifflichkeiten wie „Autor“, „Erzähler“, „Leser“ etc. zum Teil stark voneinander unterscheiden oder unterschiedlich verwendet werden, ist es nötig, vor Beginn der Figurenanalyse genau zu definieren, welche narratologischen Begriffe in dieser Arbeit wie verwendet werden. Denn sie sind bei der anschließenden Figurenanalyse des Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium die „Werkzeuge“, mit denen die Analyse durchgeführt wird. Die Entscheidung für ein bestimmtes Erzählmodell wird daher bereits an dieser Stelle der Arbeit vor den Überlegungen zur Methodik der Figurenanalyse getroffen. Im Folgenden soll zunächst ein knapper Überblick über verschiedene Erzählmodelle gegeben werden.2 Ein solcher Überblick über unterschiedliche Modelle ist notwendig, da das in dieser Arbeit zugrunde liegende Erzählmodell in vielen Punkten auf andere Modelle zurückgreift bzw. sich kritisch gegen sie abgrenzt. Im Anschluss an die Darstellung der vorgegebenen Modelle wird gezeigt, wie sich aus der kritischen Auseinandersetzung ein Modell entwickeln lässt, an dem sich die geplante Analyse dieser Arbeit orientieren kann. Abschließend werden die für dieses Modell wichtigen Begriffe geklärt.

      Insgesamt wird beim folgenden Überblick der Fokus auf die Kommunikationssituation in einer Erzählung, also auf die Frage nach der Verwendung von Begrifflichkeiten wie „Autor“, „Erzähler“, „Leser“, etc. gelegt, da diese für die Figurenanalyse eine große Rolle spielt.3 Aber auch die Frage, welche Ebenen in einer Erzählung grundsätzlich unterscheidbar sind, wird dabei thematisiert. Auch diese Frage ist im Hinblick auf die Figurenanalyse relevant, da die Analyse von Figuren in der Forschung jeweils unterschiedlichen Ebenen zugeordnet wird. Zur besseren Veranschaulichung und Vergleichbarkeit untereinander werden die Erzählmodelle der unterschiedlichen Autoren sowie das dieser Arbeit zugrundeliegende Erzählmodell jeweils am Ende in Form eines Schaubildes dargestellt.

      2.2.1 Überblick über verschiedene Erzählmodelle

      2.2.1.1 Genette

      Genette teilt eine Erzählung grundsätzlich in drei Ebenen, Erzählung, Geschichte und Narration, ein.1 Dabei kann der Begriff Geschichte mit der Handlung gleichgesetzt werden. Er beschreibt das, was passiert, den „narrativen Inhalt“2. Der Begriff Erzählung bezeichnet dagegen bei ihm den narrativen Text und die Aussage.3 Unter den Begriff Narration fällt bei Genette die Situation des Erzählens, der narrative Akt.4 Die Dreiteilung einer Erzählung in Geschichte, Erzählung und Narration ist in der Literatur vielfach rezipiert und weitergeführt worden.5

      Auf der Ebene der Erzählsituation unterscheidet Genette zwischen Autor, Adressaten, Leser und Erzählinstanz, wobei er letztere besonders betont.6 Er geht von einem realen Autor aus, der eine Erzählinstanz bzw. einen Erzähler erschafft (wobei es auch mehrere sein können), der dann aus einer bestimmten Erzählposition heraus an einen Adressaten eine Geschichte erzählt.7 Dabei wird der Adressat wiederum unterschieden in einen intradiegetischen Adressaten, eine Figur, die explizit im Text selbst genannt wird, und in einen extradiegetischen Adressaten. Dieser extradiegetische Adressat ist dabei mit dem virtuellen Leser identisch: „Denn der extradiegetische Adressat ist nicht, wie der intradiegetische, eine 'Zwischenstation' zwischen dem Erzähler und dem virtuellen Leser: er ist mit dem virtuellen Leser (mit dem der reale Leser sich